Behaupte keiner, Verfahrensfragen hätten keine politischen Konsequenzen: Hätte in der abschließenden Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen nicht Joachim Stünker, sondern ein Kollegen das letzte Wort gehabt, wäre vielleicht eine andere Mehrheit zustande gekommen. So aber zog der SPD-Mann mit einem eindringlichen Appell für Selbstbestimmung die Unentschlossenen auf seine Seite und bescherte dem Land eine gut gemeinte Regelung, deren Folgen aber noch gar nicht absehbar sind.
Künftig sind Ärzte an Patientenverfügungen gebunden, unabhängig vom Krankheitsstadium. Sie müssen die Behandlung etwa einstellen, wenn ein Patient schwer dement ist oder sich im Wachkoma befindet – vorausgesetzt, er hat den Behandlungsabbruch für diesen Fall unmissverständlich und schriftlich verfügt. Eine Beratung durch einen Arzt oder eine andere Person muss dem nicht vorangegangen sein. Gibt es keine klare Anweisung oder existiert keine Vorausverfügung, entscheiden Betreuer und Ärzte nach dem „mutmaßlichen Willen“ des Patienten; im Streitfall wird das Vormundschaftsgericht angerufen.
Ein Durchbruch für die Selbstbestimmung, wie die Unterstützer des Gesetzes glauben? Besser ein schneller Tod als ein langes Dahinsiechen unter unwürdigen Umständen? Manchem mag das plausibel erscheinen und dazu bringen, schnell seinen Willen zu dokumentieren. Andere dürften verunsicherter sein als zuvor: Denn wer schützt ihn noch, wenn Ärzte auf solche Art vom hippokratischen Eid entbunden und zu „therapeutischem Nihilismus“ (Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery) angehalten werden? Klamme Sozialkassen, ein dramatischer Pflegenotstand und eine unterentwickelte Schmerzmedizin – viele Wege führen zur selbst bestimmten Selbstabschaffung. Mutmaßlich muss dann über den Willen eines Patienten gar nicht mehr gestritten werden.