Der Green New Deal verspricht zwar allen alles – am Ende geht es aber darum, Widersprüche des Kapitalismus zu bearbeiten und subalternen Klassen zu integrieren
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen „Ökologie“ auf der einen und Kapitalismus auf der anderen Seite ist natürlich ebenso wenig neu, wie die nach der Form einer möglichen „grünen“ Wirtschaft. Konzeptionen eines grünen Kapitalismus finden sich seit den siebziger Jahren in verschiedenen Gewändern auf den relevanten intellektuellen und parteipolitischen Laufstegen. So wie die ökonomischen Moden sich veränderten, so kleideten sich auch diese Entwürfe mehrmals neu. Spätestens mit der Epochenwende von 1989 brachen diejenigen Diskussionen jedoch abrupt ab, die auf eine tiefgreifende industrielle Konversion der Ökonomie jenseits des Marktes zielten.
Die großen UN-Konferenzen der neunziger Jahre, insbeso
e, insbesondere die Rio-Konferenz von 1992, fassten die Frage des Metabolismus von Mensch und Natur unter dem Stichwort der „Nachhaltigkeit“ zusammen. Die systemischen Eigenschaften des Kapitalismus – Profit, Privateigentum, Wachstum – erschienen darin nicht mehr als strukturelle Gefahr für das Überleben von Menschen in komplexen Ökosystemen. Stattdessen ging es darum, quasi-korporatistische Kompromisse zwischen den Ansprüchen von Unternehmen und denjenigen Akteuren zu finden, die sich für ökologische Belange engagierten. Das Ergebnis sollten Leitplanken und Standards sein, die elegant den Weg nicht in eine andere, aber doch in eine bessere Zukunft lenken sollten. Das Ende der Geschichte war gekommen, begrenzte Verbesserungen blieben jedoch gestattet.Angesichts der ökonomischen, sozialen und ökologischen Fakten, die eine sich globalisierende Weltwirtschaft im Laufe der neunziger Jahre schuf, inklusive der dazugehörigen ideologischen Dominanz des Neoliberalismus, entpuppte die „Nachhaltigkeit“ sich mehr und mehr als ein trügerisches Konzept, nachdem es zunächst durchaus progressive Hoffnungen in einigen Segmenten der Mittelschichten des Nordens geweckt hatte. Ökologische Grundsatzfragen waren zu „Umweltpolitik“ geworden, die als Teilbereichspolitik zivilgesellschaftlicher Akteure ihren Platz in kleinen Ministerien hatte, ohne eine grundsätzlich andere Gesellschaft suggerieren zu wollen und zu können. Dementsprechend wurden die Regeln der jeweils aktuellen politischen Ökonomie zur Basis des Öko-Geschäfts: Liberalisierung, Privatisierung, Marktanreize.Cheerleader kapitalistischer MärkteIm Zuge dieser Entwicklung verwandelten sich auch große Teile grüner Parteiapparate in Cheerleader kapitalistischer Märkte. Ralf Fücks, an der Spitze der Heinrich Böll Stiftung, bestätigt daher auch eloquent unsere Hypothese über die Rolle der Biokrise für die Rettung des Kapitalismus in einem programmatischen Manifest: „Der Kapitalismus ist ein hochgradig lernfähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Krise und jede Opposition in einen Innovationsschub verwandelt hat“ – und führt als Beleg für diese These eben die „Zivilisierung“ des Kapitalismus durch die Sozialdemokratie, die wiederum durch Erhöhung der Massenkaufkraft zur »modernen Konsumgesellschaft« führte. Mit für globalisierungskritisch bewegte ZeitgenossInnen unangenehme Bilder wachrufendem Pathos wird weiter argumentiert, dass die ökologische Modernisierung des Kapitalismus bereits begonnen hat: „Wenn es stimmt, dass im Wettlauf mit der Klimakatastrophe nur eine kurze historische Frist bleibt, gibt es dazu auch keine ernsthafte Alternative“. Schon wieder: There is no alternative (TINA) – eine ergrünte Margaret Thatcher lässt grüßen?Auch jenseits von Zitaten der Großen und Mächtigen, die leicht als ideologische Spiegelfechterei abgetan werden könnten, tut sich etwas – wenngleich mitnichten so viel, wie sich die BefürworterInnen einer grünen Marktwirtschaft oder gar eines Green New Deal wünschen würden. Da wären die „grünen Konjunkturprogramme“, oder genauer gesagt, die mehr oder minder grünen Aspekte der verschiedenen momentan diskutierten oder schon verabschiedeten Programme: vom bundesdeutschen Paket, dass relativ armselige 10 Prozent in ›grüne‹ Sektoren investiert, bis hin zum südkoreanischen, bei dem diese Zahl 80 Prozent beträgt.Ökologische RenovierungHier besteht die Hoffnung, dass der Staat mithilfe einer interventionistischen Politik, ganz im Sinne Keynes, die Überakkumulationskrise lösen kann, indem zum Beispiel massiv in die ökologische Renovierung sowohl der privaten als auch der öffentlichen Infrastruktur investiert wird oder in die angeblich ökologische Konversion der Autoindustrie (obwohl es am Ende doch wieder nur um Individualverkehr gehen wird). Ein grün-kapitalistischer Staat würde also in seiner Funktion als „ideeller Gesamtkapitalist“ folgende Funktionen übernehmen müssen: erstens, eine industriepolitische Entscheidung treffen, „grüne“ Sektoren zu unterstützen; zweitens, durch massive Investitionen in diese Sektoren die für einzelne Kapitalisten exzessiven Kosten, zum Beispiel für Forschung und Entwicklung, übernehmen, welche eine „dritte industrielle Revolution“ mit sich bringen würde – mit anderen Worten, neue Akkumulationsräume schaffen; drittens, angesichts des strukturellen Nachfragedefizits in der Weltwirtschaft die Nachfrage sicherstellen, wie in der Bundesrepublik schon durch Einspeisetarife für erneuerbare Energien geregelt.Für den Fall, dass dies sehr positiv klingt, muss aber daran erinnert werden, dass all dies nur »die Wirtschaft« retten könnte, wenn es sich nicht auf relativ marginale Aktivitäten wie das Windrad nebenan oder ein bisschen organischen Ackerbau beziehen. Vielmehr muss es sich um Aktivitäten von gigantischem Ausmaß handeln, weshalb Investitionen in vermeintlich „grüne“ Autos – Elektroautos, deren Strom immer noch mit Öl oder Kohle produziert wird –, vermeintlich „saubere“ Kohle, denn Kohlenstoffsequestrierung wird massiv unterstützt werden – und vermeintlich sichere Atomkraft deutlich interessanter sind. Neben den »grünen Sprossen«, die sich innerhalb einiger Staatsapparate zeigen, lässt sich derzeit auch die, sicherlich langsame, Entstehung »grüner« Kapitalfraktionen beobachten. Zwar steht diese Entwicklung noch am Anfang, aber einige Umrisse lassen sich doch erkennen.Umrisse einer EntwicklungErstens, es ist wahrscheinlich, dass – es sei denn, wir erleben ihre bisher unerwartete Entmachtung im Rahmen der Wirtschaftskrise – die im Neoliberalismus dominanten finanzkapitalistischen Akteure (Banken, Ratingagenturen, Versicherungen, Investoren, Hedgefonds usw.) weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden. Schon jetzt wird an den Finanzmärkten darauf gesetzt, dass die staatliche Regulation von Treibhausgasen (vor allem durch die massive Ausweitung von Emissionshandelssystemen) dazu führen wird, die momentan noch darnieder liegenden Finanzmärkte zu revitalisieren. Manche sprechen schon vom Emissionshandel als dem „neuen Subprime“, und man erwartet bis 2020 einen Markt für Emissionsrechte, der bis zu drei Billionen US-Dollar groß werden könnte – aus der Perspektive überakkumulierten Finanzkapitals entspricht dies genau dem, was der Doktor verschrieben hat.Eine zweite Gruppe innerhalb des Blocks werden die ehemaligen IT-Revolutionäre in Silicon Valley sein, die nun auf eine neue technologische Revolution hoffen, diesmal „eine, die auf photovoltaischen Solarzellen beruht, auf Quellen von Biotreibstoffen wie z. B. Algen, und auf der Nutzung von Informationstechnologie zur Steigerung der Energieeffzienz“.Drittens werden Energiekonzerne mit Sicherheit einen der zentralen Sektoren ausmachen – denn die von ihnen verkaufte Ware ist zwar nicht sonderlich grün, aber auf jeden Fall auch und gerade in einem relativ energiearmen globalen grünen Kapitalismus dennoch ein rares Gut und daher ein zentrales Feld sozialer Auseinandersetzungen.Greenwashing und SchönwetterprogrammeSicherlich sind derartige Vorhersagen mit Vorsicht zu genießen, und es ist leicht, in diesem Bereich einer neuen Form des „Greenwashing“ aufzusitzen. Realistisch betrachtet sind die wirklich "ökologischen" Investitionen in den Konjunkturpaketen relativ begrenzt – die deutsche Regierung zählt zum Beispiel die äußerst unökologische Abwrackprämie dazu. Dazu kommt die Gefahr, die von vielen in der Umweltbewegung benannt wird: dass, wie üblich, Umweltprogramme „Schönwetterprogramme“ seien, und im Rahmen der Krise schnell unter den Tisch fallen werden.Mittel- und langfristig bleibt für Regierungen und Unternehmen die Frage, wie die Bedingungen der erweiterten Kapitalakkumulation wieder hergestellt werden können. Und da gibt es bisher kein Projekt, dass der grünen Marktwirtschaft, der ökologischen Modernisierung des Kapitalismus mit all ihren Produktivitäts- und Profitpotenzialen Paroli bieten könnte. Während, nach Fücks, nur der Markt die Probleme der Umwelt lösen kann, so kann, nach Stern und anderen, nur die Umwelt die Probleme des Marktes lösen.Mit anderen Worten, das öko-keynesianische Projekt, die kapitalistische Weltwirtschaft durch massive Investitionen in „grüne“ Technologien und den ökologischen Umbau der Energie- und anderer Infrastruktur wieder in Gang zu bekommen und damit gleichzeitig die Klima- und Energiekrise zu lösen, gewinnt an Fahrt. Aber es ist nicht nur eine Riege von mittlerweile ökologisch geläuterten Neoliberalen, die sich die grüne Wendung des globalen Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben haben. Tatsächlich kommt die bestechendste Formulierung dieses Vorschlages eher von links: die britische Green New Deal Group (GNDG) – ein Zusammenschluss grüner Parteiintellektueller, NGO-Akteure, und Ökonomen des progressiven think-tanks new economics foundation – brachte die Idee, die „dreifache Krise“ (Finanz-, Energie- und Klimakrise) mit einem Schlag zu lösen im Kontext der gegenwärtigen Krisen auf den politisch interessanten Nenner des Green New Deal.Wie ein LauffeuerSeitdem hat sich der Begriff, wie oben schon angedeutet, wie ein Lauffeuer verbreitet und wurde in der Bundesrepublik vor allem von der Grünen Partei als neues Projekt angenommen. Auf einer im Sommer 2009 von der Heinrich Böll Stiftung in Berlin veranstalteten Konferenz zum Thema „Transatlantischer Green New Deal“ saßen VertreterInnen der Grünen (in Personalunion Staat und „die Umwelt“ symbolisierend) harmonisch neben der IG Metall und Gesamtmetall, der Deutschen Bank und US-Gewerkschaften, und alle zusammen waren plötzlich grün geworden. Es blieb dem Vertreter von Gesamtmetall überlassen, darauf hinzuweisen, dass man es mit den Arbeitsrechten auch im Green New Deal nicht übertreiben sollte, aber das ging im allgemeinen Harmoniegesäusel eher unter.Wenn aber nicht alles harmonisch zugeht, zugehen kann, dann müssen wir über Antagonismus, Konflikt, und soziale Kräfteverhältnisse nachdenken. Denn traditionellerweise verursacht die Bearbeitung sozialer Antagonismen durchaus Kosten, die dann auch getragen werden müssen – und meistens werden sie von denen getragen, die sie nicht auf andere abwälzen können. So ist es denn auch nicht wirklich überraschend, dass durch die grün-rosa Brille des Green New Deal-Projektes der Fordismus als „goldenes Zeitalter ökonomischer Aktivität“ beschrieben wird. Vergessen wird die dem fordistischen Projekt zugrunde liegende Ausbeutung des globalen Südens sowie unbezahlter weiblicher (Reproduktions-)Arbeit; vergessen der Taylorismus in den Fabriken; vergessen all das, was Ende der sechziger Jahre zu einer globalen Revolte führte, zur Dekolonisierung, zu „1968“, den sogenannte neuen sozialen Bewegungen, zu denen auch die Umweltbewegung gehörte. Lohnabhängige forderten höhere Löhne, und der Süden suchte nach eigenen Entwicklungswegen, in deren Zuge die Rohstoffpreise angehoben wurden. Neue sozialpolitische Forderungen wurden u.a. durch die Frauenbewegung artikuliert, was zu höheren Steuerquoten führte. Allein dieser Druck für ein Mehr an Sozialstaatlichkeit genügte letztlich, um das fordistische Arrangement zu sprengen – der Klassenkompromiss wurde von Seiten des Kapitals einseitig aufgekündigt.Interessenskonflikte dethematisiertWoher aber die plötzliche Popularität dieses Green New Deals? Die Antwort liegt darin, dass der Vorschlag ein klassisches hegemonisches Projekt ist: In einem politischen Vakuum werden partikulare Herrschaftsinteressen (in diesem Fall: das einer „grünen“ Kapitalfraktion, einer wohlhabenden Mittelklasse und ihrer politischen Repräsentanten in den europäischen Grünen Parteien) zum Allgemeininteresse, indem unterschiedliche Interessen der Subalternen (z.B. an intakter Umwelt, Einkommen, sinnvoller Tätigkeit) in herrschaftsförmiger Weise integriert werden, also ihre Realisierung in bestimmten Grenzen und Formen ermöglicht, die Interessen selbst dabei verrückt werden (Inwertsetzung von Natur, Wachstum, Lohnarbeitsplätze), während existierende Interessenskonflikte dethematisiert werden.Der Green New Deal verspricht zwar allen alles – am Ende geht es aber vor allem darum, die ökonomischen, sozialen und ökologischen Widersprüche des Kapitalismus zu bearbeiten und die subalternen Klassen zu integrieren.