SPD-Chef Gabriel spricht in Berlin mit Vertretern der weltweiten Occupy-Bewegung. Aber Aktivisten und Politiker haben an diesem Abend mehr Fragen, als Antworten
Yonatan Levi hat die Lacher auf seiner Seite. Der Aktivist der israelischen Sozialproteste berichtet von den Treffen mit Spitzenpolitikern, an denen er seit dem Sommer teilgenommen hat. Oft habe er in den klimatisierten Büros den Eindruck gehabt, die Politiker sprächen eine völlig andere Sprache, sagt der 26-Jährige. „Es war, als rede man mit Robotern.“ Und dann fährt er mit gepresster, mechanischer Stimme fort: „Guten-Tag-wie-lautet-Ihre-Liste-mit-Forderungen?“ Da muss sogar Sigmar Gabriel schmunzeln.
Seit Beginn der Proteste, die nach dem Vorbild des Kairoer Tahrir-Platzes in Tel Aviv und Madrid begonnen haben und sich unter dem Label „Occupy“ weltweit ausbreiten, stellen sich Politik und Medien die Frage: Wo liegt die politisch
politische Relevanz dieser Bewegung? Vier Vertreter der Proteste aus New York, Tel Aviv, Madrid und Rom sind der Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung gefolgt, um für zwei Stunden mit dem SPD-Vorsitzenden über ihre Bewegungen zu diskutieren. Warum ausgerechnet mit Sigmar Gabriel? Vielleicht, weil der schon Anfang November der taz gesagt hatte: „Die trauen der etablierten Politik nicht über den Weg.“ Trotzdem suche er den Dialog mit den Aktivisten.„Die Politik wurde immer verrückter“Im edel beleuchteten „Palais“ der Kulturbrauerei gibt man sich zumindest Mühe. Zu Beginn schildern die Gäste – fast alle sind unter 30 – warum sie sich den Protesten angeschlossen haben. „Die Politik in den USA wurde einfach immer verrückter“, sagt der 26-jährige Max Berger aus New York. „Sämtliche Parteien folgen der neoliberalen Doktrin, auch Obama hat keine Antwort auf die Systemkrise.“ Als an der Wall Street das erste Mal 300 Menschen zusammenstanden, um über Wirtschaftskrise und radikale Demokratie zu reden, da habe er zum ersten Mal den öffentlichen Raum erlebt, der in der bestehenden Gesellschaft fehle.Die anderen Gäste nicken heftig. Überhaupt ist auffällig, dass die vier sich gegenseitig ausschließlich zustimmen. Max Berger aus New York und Yonatan Levi aus Tel Aviv eint sogar ihr Modegeschmack: Dreitagebart, Wuschelfrisur, Röhrenjeans. Für Íñigo Errejón Galván aus Madrid war es ebenfalls das Gefühl, in der Masse etwas bewegen zu können, das ihn zu den Indignados („Empörte“) brachte. Derzeit würden Debatten geführt, die es vorher nur unter linken Studierenden gegeben habe – sogar das Thema Gender sei in der Bewegung angekommen. Irgendwann sei eine Gruppe von Frauen mit dem Transparent aufgetaucht, auf dem stand: „Die Revolution wird feministisch sein – oder sie wird nicht sein“. Plötzlich sei es möglich geworden, mit ganz normalen Leuten über Feminismus zu reden, sagt Galván.Wo bleiben die Forderungen?Die vier Aktivisten sind sich einig: Occupy hat den politischen Diskurs aufgerüttelt. Das allein sehen sie schon als Erfolg. In den USA sei es vorher immer nur darum gegangen, wie hart die Austeritätspolitik ausfallen werde, sagt Max Berger – nie darum, ob Sozialkürzungen überhaupt sinnvoll seien. „Jetzt kann man sogar über Einkommensunterschiede und Klassenfragen diskutieren.“ Die Bewegung vernetze sich derzeit mit Linken, Anarchisten und Gewerkschaften, um neue Gesellschaftsentwürfe zu erarbeiten. Lorenzo Romito aus Rom ergänzt: „Das Interessanteste ist doch, neue Formen des kollektiven Lebens auszuprobieren.“Sigmar Gabriel hat die meiste Zeit des Abends mit Zuhören verbracht. Nur am Anfang hat er kurz erzählt, wie er als junger Mann durch den Kampf für ein Jugendzentrum politisiert wurde – da klang es so, als wolle er den Verdacht der Anbiederung bestätigen. Jetzt aber bekennt er, er selbst sei ja „ein personifizierter Vertreter dieses Systems“. Und er will wissen, wie sich denn die Empörten den Wandel vorstellten. Würden sie irgendwann Forderungen aufzustellen? Wolle man sich mit Parteien vernetzen?Yonatan Levi erzählt, dass in Tel Aviv viele Politiker mit einem Tross aus Fotografen zu den Zelten gekommen seien – nur um sich mit der Bewegung ablichten zu lassen. „Die wurden sofort wieder weggejagt.“ Aber es habe auch Politiker gegeben, denen es nicht nur um eine Inszenierung ging. „Die haben sich mit ihrem Hintern auf den Boden gesetzt, um mit uns zu sprechen.“ Solcher Austausch sei wichtig für konkrete Verbesserungen, in Israel etwa für günstigere Mieten. „Aber es geht um viel mehr. Der Wandel, den wir wollen, ist riesig.“ Eine vage Formulierung. Gabriel reicht sie nicht: „Irgendwann muss man doch sagen, was geändert werden soll!“ Levi lächelt schief. Sein Blick scheint zu sagen: Der hat’s noch immer nicht kapiert.Fragen, keine Antworten Ein Vertreter von „Occupy Berlin“, der sich zu Wort gemeldet hat, versucht noch einmal, die zwei fremden Welten zusammenzubringen: Der Bewegung gehe es derzeit vor allem um Austausch, nicht um konkrete Antworten. Rundherum wedeln die Gäste mit beiden Händen – das Zeichen für Zustimmung in ihren Vollversammlungen von Madrid bis New York. So sympathisch die Occupy-Aktivisten sind: Viel konkreter werden sie nicht an diesem Abend.Was die Politik denn von den Protestbewegungen lernen könne, will die Moderatorin noch von Gabriel wissen. Der sagt, es sei völlig richtig, dass die soziale Frage und die Krise der Demokratie jetzt auf die Agenda gehörten. „Vielleicht kann die Politik etwas Grundsätzliches lernen: dass sie keine Angst haben muss, sich auch gegen den Druck aus der Wirtschaft zu stellen. Wenn wir es schaffen, wieder etwas angstfreier zu werden – das wäre was.“ Der versöhnliche Schluss soll wohl bedeuten: Wir haben verstanden.