Geschlechterdemokratie als neues strategisches Konzept von Geschlechterpolitik ist in aller Munde. Aber so recht weiß eigentlich noch niemand, was Geschlechterdemokratie eigentlich genau heißen soll. Nur eines ist unbestritten: Geschlechterdemokratie wendet sich auch an Männer, sich verstärkt für eine egalitäre Gestaltung des Geschlechterverhältnisses zu engagieren. Somit bekommt auch kritische Männerforschung einen besonderen Stellenwert, hat sie doch wichtige Beiträge zu einem umfassenden Verständnis der Geschlechterverhältnisse geliefert. Vor allem hat sie den Blick für die Innenperspektive männlicher Macht und auf die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten geöffnet.
Männlichkeit als Macht
Männlichkeit i
Männlichkeit ist in unserer Gesellschaft eng mit der Vorstellung vom Besitz grenzenloser Gestaltungs-Macht verbunden. Männlichkeit ist jedoch keinesfalls dauerhaft fixiert, sondern Männer müssen sich quasi täglich wieder als Männer beweisen. Dabei kollidiert das Machtversprechen der Männerrolle bisweilen mit subjektiven Machtlosigkeitserfahrungen bei Männern. Männlichkeit ist von daher nach Ansicht des amerikanischen Männerforschers Michael Kaufman immer fragil.Fragile Männlichkeit, die Erfahrung von Machtlosigkeit durch Männer kann als eine zentrale Ursache männlicher Gewalt gesehen werden. Gewalt von Männern richtet sich jedoch nicht nur gegen Frauen, sondern vor allem gegen andere Männer - so sind zwei Drittel der Opfer männlicher Gewalt Männer. Aber gerade die generalisierend unterstellte Verbindung von Mann mit Macht und Täterschaft verhindert häufig eine genauere Analyse der Situation von Männern als Opfer männlicher Gewalt. So werden etwa Vergewaltigungen von Männern (anale Penetration) in Gefängnissen von den Opfern verschwiegen oder nicht weiter untersucht, Vergewaltigungen von Männern durch Männer in Kriegssituationen bleiben weitgehend unthematisiert. Beim sexuellen Missbrauch von Jungen liegt die Dunkelziffer extrem hoch - denn junge Männer haben bei Offenlegung der Tat die Furcht, als homosexuell, als Opfer und folglich als nicht männlich stigmatisiert zu werden.Der Zwang, ihrer männlichen Rolle gerecht zu werden, führt schließlich zu Gewalt von Männern gegen sich selbst, die sich in einem gegenüber Frauen schlechteren Gesundheitszustand niederschlägt. So liegt die Suizidrate von Männern allgemein höher als die von Frauen, infolge eines riskanteren Verhaltens in der Freizeit sind mehr männliche als weibliche Jugendliche von Unfällen betroffen, Männer liegen in der Altersgruppe zwischen 18 und 59 Jahren sowohl beim Tabak- als auch beim Alkoholkonsum vor Frauen, Männer betreiben weniger Körperhygiene und Körperpflege und weisen in der Altersgruppe der 45- bis 65jährigen die höchste Todesrate durch Herzinfarkt auf. Die Tätigkeiten mit den meisten Arbeitsunfällen sind typische Männerberufe, Berufskrankheiten erleiden mit Ausnahme der Hautkrankheiten ausnahmslos Männer.Männlichkeit als Negation des Weiblichen führt schließlich zu einer spezifischen Form männlicher Emotionalität. Männer sind jedoch - wie so häufig fälschlicherweise unterstellt - keineswegs un-emotional (man braucht nur einen Blick in die Fußballstadien zu werfen), sondern Männern wird - ebenso wie Frauen - aus dem gesamten Horizont möglicher Emotionalitätsformen gesellschaftlich nur ein gewisser Anteil zugestanden. Hänschen darf eben als Mann nicht weinen. Diese spezifische Form männlicher Emotionalität als Resultat eines geschlechtsspezifischen Sozialisationsprozesses beinhaltet allgemein einen Mangel an Empathie und konstituiert Konkurrenz sowie insbesondere Homophobie als zentrales Beziehungsmuster zwischen Männern.Männlichkeit ist jedoch nicht homogen, sondern verschränkt sich mit anderen sozialen Differenzierungsmustern, ist dabei historisch variabel sowie kulturell differenziert, so dass von unterschiedlichen Männlichkeiten ausgegangen werden muss. Von zentraler Bedeutung ist nun, dass diese in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, wobei "hegemoniale Männlichkeit" den jeweils dominanten Typus von Männlichkeit bezeichnet. Hegemoniale Männlichkeit ist nach Bob Connell, der das Konzept gemeinsam mit Tim Carrigan und John Lee in den 80er Jahren entwickelt hat, jedoch keineswegs beliebig, sondern in den westlichen kapitalistischen Industriestaaten immer heterosexuell und weiß sowie eng verbunden mit der Abwertung von Weiblichkeit und mit ökonomischem Erfolg. Homosexuelle und/oder farbige Männer markieren demzufolge marginalisierte Männlichkeiten. Vom Theorem der hegemonialen Männlichkeit ausgehend kann das patriarchale Geschlechterarrangement adäquat nur als ein doppeltes Herrschaftsverhältnis - als Hierarchie zwischen Männern und Frauen und zwischen Männern - gefasst werden.Macht der MännlichkeitPatriarchale Strukturen erschöpfen sich also nicht in einer quantitativen Dominanz von Männern allgemein, sondern beinhalten vielmehr die Dominanz eines spezifischen männlichen Geschlechterprojekts, welches sich als soziales Konstrukt von den Körpern lösen kann und tief in Institutionen eingeschrieben ist.Die strukturelle Abwertung des Weiblichen zeigt sich dabei deutlich in den vorherrschenden Karrieremustern in Wirtschaft und Verwaltung. Diese setzen - wie die Organisationssoziologin Joan Acker herausgearbeitet hat - die Erledigung der als weiblich konnotierten Haus- und Familienarbeit stillschweigend voraus, messen dieser aber - ob von Hausmann oder Hausfrau erledigt - keinen Wert bei. Reproduktionsarbeit bleibt allgemein außerhalb von Organisationen angesiedelt. Organisationen als vergeschlechtlichte Prozesse sind jedoch nicht homogen männlich, sondern beinhalten unterschiedliche Männlichkeiten, welche sich in unterschiedlichen Abteilungen und Apparaten verdichten, wobei hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen vor allem im Management lokalisiert sind. Die wenigen Frauen, die den Sprung in diesen Bereich schaffen, sind gezwungen, sich dieser männlich geprägten Kultur anzupassen und so zeigt sich einer Untersuchung Judy Wajcmans zufolge bei ihnen auch keine signifikant geringere wöchentliche Arbeitszeit als bei den männlichen Managern.Hegemoniale Männlichkeitsbilder sind auch tief eingeschrieben in sogenannte Staatsdiskurse, welche die Kohärenz staatlichen Handelns absichern und politische Zielvorstellungen formulieren. Wie in meiner Untersuchung zum verborgenen Androzentrismus staatlicher Forschungs- und Technologiepolitik gezeigt werden konnte, führt das im forschungspolitischen Staatsapparat tief eingeschriebene Bild des weißen männlichen Naturwissenschaftlers und die mit ihm verbundene Dominanz von - harten, männlich konnotierten - naturwissenschaftlich-technischen Ansätzen im Bereich der sich seit Ende der 70er Jahre entwickelnden Umweltforschung dazu, dass - weiche und folglich weiblich konnotierte - sozialwissenschaftliche Ansätze und die sie repräsentierenden Männer kaum Zugang zur forschungspolitischen Arena fanden. In diesem Sinne beinhaltet auch der gegenwärtige Anpassungsprozess staatlicher Politik an das Leitbild des männlichen, flexiblen Unternehmer-Spekulierers zu spezifischen Ausgrenzungsmustern gegenüber bestimmten Männern auf der einen Seite, zu einer weiteren Abwertung vermeintlich weiblich konnotierter Politikbereiche der Vor- und Fürsorge auf der anderen Seite.Die zu geringe Beachtung der in die institutionellen Strukturen eingeschriebenen Männlichkeit wird mehr und mehr zu einem zentralen Kritikpunkt der bisher verfolgten Frauen- und Gleichstellungspolitik: "Das Maß dieser Gleichstellung" - so Beate Hoecker - "orientiert sich dabei an der Position der Männer, an die Frauen angepasst werden sollen. Damit strebt die Frauenpolitik eine Reformierung der Gesellschaft an, ohne allerdings deren Strukturen, die diese Ungleichheiten produzieren und verfestigen, grund sätzlich in Frage zu stellen". Auch die amerikanische Arbeitsmarktforscherin Christine Williams verweist auf die Gefahr, mit einer nur einseitigen Förderung von Frauen in sogenannten Männerberufen, die nicht begleitet wird durch eine Förderung von Männern in sogenannten Frauenberufen in Verbindung mit der gesellschaftlichen Aufwertung dieser Tätigkeiten, die geschlechtsspezifische Hierarchie und die Entwertung weiblich konnotierter Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt nur unter anderen Vorzeichen zu reproduzieren.Geschlechterdemokratie alsDe-MaskulinisierungVor diesem Hintergrund kann Geschlechterdemokratie nicht nur Ablösung der Männer - die es als homogene Gruppe nicht gibt - bedeuten, sondern vor allem Ablösung von Männlichkeit als dominantes gesellschaftsstrukturierendes Prinzip.Dies heißt zunächst Anerkennung von weiblich konnotierter Haus- und Familienarbeit als Arbeit, sowie Anerkennung von hier erworbenen Fähigkeiten als berufsrelevante Qualifikationen. Ablösung von Männlichkeit führt zwangsläufig auch zu einem neuen Leitbild von wirtschaftlichem Handeln und von Wirtschaftspolitik. Eine derartige Umorientierung wird seit längerem unter dem Begriff "vorsorgendes Wirtschaften" diskutiert. Vorsorgendes Wirtschaften meint im Gegensatz zum heute vorherrschenden, nur an kurzfristiger Gewinnmaximierung ausgerichtetem wirtschaftlichem Handeln eine Wirtschaftsweise, welche sich primär an der Erhaltung der natürlichen Ressourcen für nachkommende Generationen orientiert und gekennzeichnet ist durch Kooperation statt Konkurrenz zwischen den Wirtschaftssubjekten.Ablösung von Männlichkeit als dominantes gesellschaftliches Strukturprinzip beinhaltet vor allem den Abschied vom mächtigen Mann, verbunden mit einer generellen Flexibilisierung von Geschlechterrollen - in dem Sinne, dass Hänschen auch in der Öffentlichkeit weinen dürfen sollte. Eine solche Perspektive beinhaltet zugleich eine generelle Absage an alle männerpolitischen Ansätze mythopoetischer Provenienz, die in Abgrenzung zu Frauen eine wie auch immer unterstellte Männlichkeit, die zudem als essentialistische Konstante postuliert wird, rekonstituieren wollen. Denn Geschlechterdemokratie als Ablösung von Männlichkeit kann nur von Männern und Frauen gemeinsam erreicht werden, nur gemeinsam können nach Brian Easlea "Männer und Frauen ... wahrhaft menschliche Wesen werden ... und nicht in erster Linie männliche beziehungsweise weibliche Wesen".Dr. rer. pol. Peter Döge, Diplom-Politologe, Jahrgang 1961, Gründer und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für anwendungsorientierte Innovations- und Zukunftsforschung e.V. (IAIZ), Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Politische Techniksteuerung, Männlichkeit und Politik, Nachhaltigkeit und Politik; zuletzt erschienen: Männlichkeit und Politik, Krise der fordistischen Naturverhältnisse und staatliche Forschungs- und Technologiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Bielefeld: Kleine Verlag.
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