Als Iraks Diktator Saddam Hussein 2003 durch eine US-Intervention gestürzt wurde, hatte er sein Atomprogramm schon lange aufgegeben – ohne dies öffentlich zu erklären oder die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) nachprüfen zu lassen. Er wurde zu Fall gebracht, weil Washington nicht daran glaubte. Der Libyer Gaddafi beendete vor einem Jahrzehnt sein Nuklearprogramm unter internationaler Kontrolle – und wurde später ebenfalls gestürzt, aus Gründen, die nichts mit Atompolitik zu tun hatten.
Der Iran hat – nach inzwischen übereinstimmendem Urteil der amerikanischen und israelischen Nachrichtendienste – bisher noch nicht über den Bau von Atomwaffen entschieden und lehnt diesen öffentlich ab. Er sieht sich dennoc
ich dennoch der Drohung ausgesetzt, dass seine Nuklearanlagen durch Luftangriffe zerstört werden könnten. Die israelischen, indischen und pakistanischen Atombomben scheinen demgegenüber kein besonderer Grund für Besorgnis zu sein – selbst die realen nordkoreanischen Arsenale werden offenbar als weniger schlimm betrachtet als die potenziellen iranischen. Zumindest war bisher von Bombardierungen dort keine Rede.Das Problem mit einer möglichen iranischen Bombe dürfte also vor allem im Zusammentreffen dreier Aspekte zu suchen sein. Erstens liegt der Iran – wie der Irak und mit Abstrichen Libyen – in einer strategisch zentralen Region, aus der ein großer Teil der Weltwirtschaft mit Energie versorgt wird. Zweitens sind die iranische Regierung und ihr politisches Regime offen anti-westlich und unterstreichen dies oft und gern durch eine überhitzte Rhetorik. Und drittens wird der Iran als potenzielle Bedrohung Israels betrachtet, was nicht nur dort, sondern auch in Europa und den USA Gegenreaktionen hervorruft. Anders ausgedrückt: Der politische und geografische Kontext des iranischen Atomprogramms ist für die internationale Reaktion vermutlich noch wichtiger als dieses selbst. Es scheint bisher keinen militärischen Charakter zu besitzen, könnte aber eine solche Option in der Zukunft eröffnen. Nur wegen des Kontextes werden hier auch zivile Atomanlagen als gefährlich betrachtet, die anderswo gefördert würden – der Atomwaffensperrvertrag (NPT/s.o.) sieht ja bei Verzicht auf ein militärisches die Förderung eines zivilen Programms vor.Wer gegen wen?Die Führung in Teheran sieht sich in einer schwierigen Lage. Beim größten Teil der Bevölkerung ist sie seit der Wahlfälschung von 2009 verachtet oder verhasst, die Wirtschaft ist durch internationale Sanktionen und Währungsverfall in einer ernsten Krise, von außen ist das Land durch Luftangriffe bedroht. Und die Führung leistet sich gleichzeitig den Luxus schwer durchschaubarer innerer Machtkämpfe, die an Härte ihresgleichen suchen. Dabei geht es nicht nur um die bekannten Scharmützel zwischen Präsident Ahmadinedjad und Revolutionsführer Khamenei, sondern offenbar auch um solche innerhalb der regimenahen Anti-Ahmadinedjad-Fraktionen. Dieser letzte Aspekt ist so verwirrend, dass selbst kluge Köpfe in Teheran nicht sicher sind, wer aus welchen Gründen gegen wen intrigiert. Es wird höchstens über Tendenzen einer Verselbstständigung von Teilen des Sicherheitsapparates spekuliert, die zwischenzeitlich auch zu Wirtschaftskonzernen geworden sind. In der Konsequenz all dessen scheint die iranische Führung derzeit kaum handlungsfähig – zwar handeln einzelne ihrer Bestandteile, aber oft ohne Kenntnis der und gegen die Absichten anderer. Es stellt sich gar die Frage, ob Teile des Machtapparates ihre Interessen nicht über die des Regimes stellen. Dabei besteht das Problem eben nicht primär in einem Widerspruch zwischen dem Präsidenten und dem Obersten Führer, sondern in den darüber hinaus tobenden Machtkämpfen zwischen verschiedenen persönlichen Seilschaften, ideologischen Strömungen und ökonomischen Interessengruppen innerhalb der Machtelite. Um sich in diesem Getümmel Gehör zu verschaffen, neigen viele Akteure zu schrillen Tönen. Auch deshalb sind die Reaktionen auf die Bedrohung von außen oft erstaunlich realitätsfern.Mal wird die Gefahr heruntergespielt nach dem Motto: „Die werden es nicht wagen“, mal direkt oder indirekt mit hartem „Zurückschlagen“ gedroht, sollte es zum Krieg kommen. Es heißt dann, die libanesische Hisbollah werde gegen Israel vorgehen, die Straße von Hormuz für den Schiffsverkehr – und damit einen großen Teil der Weltölversorgung – gesperrt. Auch werde man die Ölförderanlagen in den Scheichtümern südlich des Persischen Golfs zerstören. Nun ist denkbar, dass die Hisbollah symbolisch gegen Israel agiert. Dass sie sich für den Iran opfert, darf jedoch ausgeschlossen werden.Zugleich ist der Iran zu einer längerfristigen Sperrung der Öllieferungen aus dem Persischen Golf militärisch so wenig in der Lage wie zur Zerstörung der Förderkapazitäten in den Golfemiraten. Schwer zu beurteilen ist, ob diese realitätsferne Großsprecherei für den einheimischen Bedarf oder für den Export gedacht ist – oder ob die Akteure solche Szenarien tatsächlich ernst nehmen. Ebenso lässt sich kaum sagen, was schlimmer ist: eine hilflose Politik der leeren Worte und hohlen Gesten angesichts der Gefahr eines Krieges oder der tatsächliche Realitätsverlust durch Selbstüberschätzung. Es wäre den Menschen im Iran und der Region zu wünschen, dass die Regierungen in Teheran, Tel Aviv und Washington politisch wie rhetorisch abrüsten und sich stattdessen um pragmatische Lösungen bemühen. Leider sieht es nicht so aus.