Was hat die Alternative für Deutschland mit der Linkspartei zu tun? Jedenfalls mehr, als der Linken lieb sein kann, das haben die Wählerwanderungen in Brandenburg und Thüringen bei den Landtagswahlen gezeigt. Der Protest, so scheint es, rutscht nach rechts, wenigstens zum Teil. Aber so paradox es klingen mag: Rot-Rot-Grün könnte daraus eine Chance zum Neuanfang machen.
Es gab Kommentare, die eine simple Gleichung aufmachten. Kurzfassung: Regieren heißt Verlieren, speziell für die Linke. Schließlich, so das Argument, habe die Partei in Brandenburg aus der Regierungsverantwortung heraus schwere Einbußen erlitten, während sie in Thüringen als Oppositionspartei das beste Ergebnis aller Zeiten erzielte.
Diese Gleichung vernachlässigt all
hlässigt allerdings die Frage, um welche politischen Inhalte es ging. In Brandenburg beteiligte sich die Linkspartei zum Beispiel an einer Braunkohle-Politik, die mit der Idee einer sozial-ökologischen Erneuerung etwa so viel zu tun hat wie AfD-Chef Bernd Lucke mit der Homo-Ehe. Könnte es nicht sein, dass gut informierte Wählerinnen und Wähler sich – anders als viele Medien – nicht nur fragten, wer regiert, sondern auch, wie?Wer nicht glauben mag, dass das Wahlvolk durchweg zu dumm sei, um nach Inhalten zu urteilen, sollte aus Brandenburg keine voreiligen Schlüsse auf Thüringen ziehen. Bodo Ramelow hat gute Gründe, unbeirrt vom Potsdamer Ergebnis in Erfurt das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben. Er hat sogar fast die Pflicht, das zu tun. Denn Thüringen könnte eine der vorerst letzten Chancen sein, echter Reformpolitik eine rot-rot-grüne Chance zu geben. Selbst diejenigen SPD-Abgeordneten, die aus historischen Gründen Bauchschmerzen haben, einen Linken zum Regierungschef zu wählen, sollten den demokratischen Charakter seiner Partei auf die Probe stellen, indem sie den Versuch wagen, mit ihr reale Politik zu machen.Dass erstmals ein Linker Ministerpräsident würde, könnte allen Beteiligten nur recht sein. Nicht nur Ramelows Partei würde in der allgemeinen Wahrnehmung profitieren, wenn es ihm gelänge, sich über die eigene Klientel hinaus als verlässlicher Reformpolitiker zu präsentieren, und sei es zunächst nur mit einigen wenigen Initiativen im Sozial- und Bildungsbereich. Öffentlicher Beschäftigungssektor, Verbot der Vergabe öffentlicher Aufträge an Dumpinglohn-Firmen, Gemeinschaftsschule – das wären wichtige Schritte. Aber auch SPD und Grüne könnten profitieren, jedenfalls soweit sie die Idee einer Alternative zur Großen Koalition noch nicht aufgegeben haben: Die Normalität einer linksgeführten Regierung trüge sicher zur Enttabuisierung rot-rot-grüner Bündnisse bei, egal unter wessen Führung. Allerdings: Für Optimismus, was Rot-Rot-Grün 2017 im Bund betrifft, gibt all das keinen Anlass. Und damit wären wir wieder bei der AfD.Der Erfolg der Rechtspopulisten ist auf erschreckende Weise paradox: Einerseits verdankt er sich der Enttäuschung über die herrschende Politik. Eine Politik, die den Verunsicherten in einer globalisierten und europäisierten Welt kein Angebot macht außer Wohlfühl-Worten vom glücklichen Deutschland. Dass sich da viele alleingelassen fühlen mit ihren Abstiegs-Ängsten oder ihrer Furcht vor Kriminalität, ist in Zeiten Großer Koalitionen kein Wunder. Dass sie ihre Ängste auf Ausländer, Schwule und unkonventionelle Familienverhältnisse projizieren, nutzt die AfD schamlos aus. Sie verpackt diese Ressentiments in eine Sprache, die zivilisierter klingt, als der Inhalt ist.Andererseits aber, und hier liegt das Paradoxe, wählen die Protestler damit eine Partei, die an der neoliberalen Politik, durch die sie sich abgehängt fühlen, nichts ändern will. Im Gegenteil, der Staat – vielleicht nicht als Polizei-, sehr wohl aber als Sozialstaat – ist der AfD ein Gräuel. Käme sie je an die Macht, es wäre ein übles Erwachen gerade auch für ihre eigenen Wählerinnen und Wähler.Was das mit Rot-Rot-Grün zu tun hat? Eine Regierung in Thüringen wäre nutzlos, wenn das Reformlager in Deutschland nicht genau jetzt begänne, an der gesellschaftlichen Mehrheit für einen Wechsel im Bund zu arbeiten. Spätestens die Erfolge der Rechtspopulisten haben gezeigt, dass das linke Lager auf die Verunsicherung vieler Bürgerinnen und Bürger keine attraktive Antwort hat.Wenn es auf absehbare Zeit eine Chance für den Wechsel geben soll – für 2017 ist das womöglich schon jetzt zu spät –, dann bedarf es jetzt einer neuen linken Idee. Über Themen wie Verteilung, soziale Geborgenheit oder persönliche Sicherheit muss neu nachgedacht werden, gemeinsam mit den zahlreichen Initiativen in der Gesellschaft, die es ja gibt. SPD, Linkspartei und Grüne müssen gegen die Rechten um jene kämpfen, die sich – im Grunde oft mit Recht – unzufrieden und unbehaglich fühlen.So gesehen, steht Rot-Rot-Grün mal wieder am Anfang, erst recht, da zwei der drei möglichen Partner nicht mal sicher sind, ob sie sich gegen die Gefahr von rechts nicht in ganz große Koalitionen flüchten sollen (die dann der Alternative für Deutschland noch mehr Zulauf bringen würden). Ob Bodo Ramelow regiert oder nicht – daran allein wird sich nicht entscheiden, ob es ein Neuanfang wird.