Die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat einen Vorschlag zum Ausstieg aus dem Corona-Lockdown vorgelegt. In diesem Zusammenhang ist die Leopoldina in die Kritik geraten, weil sie in einem „Diskussionpapier“ von 2016 bereits für den Abbau von Krankenhauskapazitäten plädiert hatte. Der Tagesschau-Faktenfinder hat sich die Kritik vorgenommen, um die Leopoldina im Kern zu verteidigen. Die Wissenschaftler hätten sich gar nicht für die Schließung von 1.300 Krankenhäusern ausgesprochen, „sondern verglichen an einer Stelle die Krankenhausdichte in Deutschland mit der in Dänemark, um die Unterschiede zu verdeutlichen.“
Am Schluss lässt der Faktenfinder die Kritiker als undifferenzierte Populisten dastehen, indem er einen der Autoren des Leopoldina-Diskussionspapiers – Professor Dr. Detlev Ganten – eine Einordnung vornehmen lässt – mit dem Hinweis, man müsse die Thesen als Ganzes sehen: „Eine These aus dem Papier sei ,von einigen Medien herausgegriffen und unverhältnismäßig in den Vordergrund gestellt‘ worden.“
Vielleicht eignen sich manche Fragen nicht für den Faktenfinder, weil es hier zu sehr um Argumentationszusammenhänge geht, die sich einem „Faktencheck“ versperren. Insgesamt ist dieser Beitrag jedoch ein Griff ins Klo, weil er statt Fakten darzustellen, der Argumentationsstrategie auf den Leim geht, die in der offiziellen Gesundheitspolitik im Moment tonangebend ist.
Es geht los mit Wortklauberei: Die Thesen von 2016 seien gar keine „Handlungsempfehlungen der Leopoldina“, sondern lediglich ein „Autorenbeitrag von Wissenschaftlern“ gewesen. Man fragt sich: Was wollen uns die Faktenfinder damit eigentlich sagen? Das hier nicht die Leopoldina spricht, sondern sie lediglich einigen Wissenschaftlern die Möglichkeit gegeben hat, etwas zu sagen? Oder – was aus dem Rest der Argumentation wahrscheinlicher scheint –, dass es nicht „Empfehlungen“ sind, sondern nur die Darstellung von ein paar Vergleichen, garniert mit ein paar Thesen? Beides scheint ein wenig schwach: 1. Wenn die Leopoldina ein solches Papier unter ihrem Titel veröffentlicht, stellt sie sich mit ihrer Autorität dahinter. Es wird ja auch als Leopoldina-Papier rezipiert – wie das aktuelle übrigens auch – und nicht als Papier von Prof. Busse, Prof. Ganten und anderen, die einer breiteren Öffentlichkeit ohnehin nicht bekannt sein dürften. 2. Indem in dem Papier Zusammenhänge behauptet werden, werden natürlich auch implizit Handlungsempfehlungen gegeben.
Heureka, es gibt gar keinen Fachkräftemangel!
Es werden in dem Leopoldina-Papier von 2016 Zusammenhänge hergestellt, die selbstverständlich sehr konkrete politische Handlungsempfehlungen implizieren. Ganz prominent ist diesbezüglich These 5: „Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt.“ In einer Situation, in der ganz Deutschland über Pflegekräftemangel – in diesem Fall in den Krankenhäusern – diskutierte, sagen die Wissenschaftler: Es gibt gar keinen Fachkräftemangel! Die schlechten Arbeits- und Pflegebedingungen liegen an zu vielen Krankenhäusern bzw. zu vielen Betten – denn nur bezogen auf die Betten ergibt das Argument überhaupt Sinn. Und natürlich lässt sich daraus eine Handlungsempfehlung ableiten. Ich habe dazu in meinem Freitag-Artikel geschrieben: „Nachdem der Pflegenotstand nicht mehr von der Hand zu weisen war, entdecken auch die Ideologen der flächendeckenden Kapazitätsreduzierung in diesem eine Chance für die weitere Legitimation von Bettenabbau.“
Das damalige Leopoldina-Papier stellt auch nicht einfach einen Vergleich mit Dänemark her – im Übrigen ein komplett staatliches System, weshalb die im Leopoldina-Papier ebenfalls aufgestellte Behauptung, Marktsysteme würden für Effizienzsteigerungen im System eingesetzt, ziemlich fragwürdig ist –, sondern ausdrücklich einen Vergleich mit ganz Europa, damit also auch mit den Werten zum Beispiel aus Italien: „Vergleicht man diese Zahlen mit dem Durchschnitt der EU15-Länder, so hatte Deutschland 58% mehr Betten für die akute Versorgung“. Dabei lernen wir aus der aktuellen Situation eben, dass solche Vergleiche Unfug sind, weil wir nicht wissen, ob wir uns mit einer Mangelsituation vergleichen. Michael Simon hat darüber hinaus schon in einer Arbeit aus dem Jahr 2000 (Krankenhauspolitik in der Bundesrepublik Deutschland) darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Betten für sich genommen ein unbrauchbarer Vergleichsmaßstab für (Kosten)-Effizienz eines Krankenhaussystems ist. In den USA betrugen die Ausgaben für die Krankenhäuser 1989 4,45 Prozent vom Bruttoinlandsprdukt (BIP) bei 59,9 Betten pro 10.000 Einwohner. In der BRD betrugen sie 2,79 Prozent vom BIP bei 115,5 Betten pro 10.000 Einwohner. Das war übrigens die Zeit, in der es die deutschen Gesundheitsökonomen für eine gute Idee hielten, das amerikanische DRG-System (Diagnosis Related Groups; deutsch: Diagnosebezogene Fallgruppen) auch in Deutschland einzuführen.
Zu guter Letzt fällt der Faktefinder auf einen entscheidenden Kniff der neoliberalen Gesundheitspolitiker und deren Umgang mit „Fakten“ herein. Der Kontext hierzu: In der Forschung, die die DRG-Einführung begleitete, kam man im Jahr 2012 zu einem Urteil, das für das DRG-System, das angeblich zur Effizienzsteigerung eingeführt wurde, katastrophal war. In den dürren Worten des Spitzenverbandes der Krankenkassen (GKV) klang das so: „Die DRG-Begleitforschung zeigt, dass im Untersuchungszeitraum 2008 bis 2010 lediglich ein Drittel der jährlichen Leistungssteigerungen auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen ist. Um der „Mengenproblematik“ begegnen zu können, müssen aus Sicht der Krankenkassen Anreize minimiert werden, die dazu führen, dass Krankenhäuser medizinisch nicht notwendige Leistungen erbringen.“
Die DRGs, die angeblich für Transparenz und schlanke Finanzierung sorgen sollten, setzen also wirtschaftliche Anreize zur Mengenausweitung. Die Forschung konnte statistisch recht eindeutig zeigen, wie Mengen von Behandlungen durch die Steigerung der entsprechende Preise bedingt werden. Dieser Umstand stellt das System selbst vor ziemliche Legitimationsprobleme. Aus diesem Grund begann man schnell mit einer entsprechenden interpretativen Rahmung. Diese gab der Abteilungsleiter des Bereichs Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband, Wulf-Dietrich Leber, schon 2014 vor: „Mengen- und Ausgabenentwicklung liegen nicht im DRG-System begründet. Wenn man aber bei Überkapazitäten und erhöhten Preisen ein leistungsorientiertes Vergütungssystem etabliert, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen.“
Warum will man so einen Unsinn verteidigen?
Nicht die DRGs, sondern die Krankenhauskapazitäten seien also laut der DRG-Befürwortern das Problem für ökonomisch motivierte Eingriffe. Mit dieser Argumentationsfigur vor Augen lohnt sich nun noch einmal ein Blick auf die Argumentationsführung der Leopoldina.
Die Akademie bringt in den Vorbemerkungen die nicht-medizinisch motivierte Mengenausweitung zunächst zwar etwas distanziert mit den DRGs und noch etwas kryptisch mit „fehlenden Strukturveränderungen“ in Verbindung: „Die genannten Fallzahlsteigerungen werden mit ökonomischen Fehlanreizen durch die Einführung des DRG-Systems bei gleichzeitig fehlenden Strukturveränderungen in Verbindung gebracht.“ Dann wird sie bereits im Sinne von Wulf-Dietrich Lebers Argument konkreter: „Allerdings: Einzig auf DRGs als Ursache für mögliche Fehlentwicklungen wie Fallzahlsteigerungen zu fokussieren, verstellt den Blick auf die Komplexität des Geschehens und vor allem auf strukturelle Probleme. Ein solches strukturelles Problem ist die – gerade auch im internationalen Vergleich deutlich werdende – Vielzahl von Krankenhäusern und Krankenhausbetten, die miteinander um Patienten und finanzielle Mittel konkurrieren.“ Um schließlich den Sack in den Thesen selbst zu zu machen: „These 3: Vorhandene Überkapazitäten dürfen nicht dazu führen, dass außermedizinische Überlegungen die Indikationsstellung beeinflussen.“ Von den DRGs ist hier bereits keine Rede mehr. Was das alles für das DRG-System bedeutet, kommt dann in den Thesen gar nicht mehr vor. Es wird nur darauf verwiesen, das dessen „Weiterentwickung“ nicht ausreicht und weitere Krankenhäuser geschlossen werden müssen (These 4).
Gerade also, wenn man die Argumentation des Leopoldina-Papiers von 2016 im Kontext betrachtet, wird deutlich: Es soll im Kern den Abbau von Krankenhauskapazitäten begründen und von der damals schon immer lauter werdende Kritik am DRG-System abgelenkt werden. Warum der Tagesschau-Faktenfinder meint, das verteidigen zu müssen, bleibt sein Geheimnis.
Kommentare 15
Ich war angesichts der »Faktenfinder«-Intervention »pro Leopoldina-Papier« ebenfalls etwas perplex – kapriziert sich die Reihe doch sonst recht gut auf rechte Argumentationsstränge, Verschwörungstheorien und Ähnliches. Meine persönliche Vermutung ist, dass der für die Checks verantwortliche Journalist entweder Druck von oben ausgesetzt war oder aber sich innerhalb der ARD-Hierarchie mit einem Artikel gegen »links« profilieren wollte.
Rückschließen lässt sich daraus meiner Meinung nach nur, dass die von der Akademie publizierten Positionen bei den Entscheidungsträgern derzeit ganz oben rangieren und in ungefähr die Richtung aufzeigen, wie die Krise final gelöst werden soll. Entsprechend haben wir es hier mit einem klaren Spin zu tun – öffentlich-rechtliche Meinungsmanipulation mit dem Ziel, die neoliberalen Ursachen der jetzigen Malaise in den Hintergrund zu rücken und der erkennbaren Absicht, die neoliberale Politik, die für den Schlamassel verantwortlich ist, »nach Corona« bruchlos fortzusetzen.
Die inhaltliche Dürftigkeit des Versuchs, die marktradikalen Positionen der Akademie zu verharmlosen bzw. zu verschleiern, ist in den Beitrag gut herausgearbeitet. Hinzufügen könnte man noch, dass die Sparempfehlungen von anno 2016 ihren Teil dazu beigetragen haben, die Kliniken-Versorgung in ländlichen Regionen auszudünnen. Fragwürdig erscheint mir auch das recht eindimensionale Effizienz-Verständnis der an den damaligen Thesen Beteiligten. Thematisiert wird ausschließlich der High-Tech-Medizinbereich – als ob Apparate-Medizin der einzige Medizin-Bereich sei, der diese Bezeichnung verdient und das ganze vorgeschaltete System bis hin zum Hausarzt auf dem Land bedeutungslos.
Zugespitzt könnte man sagen: Der Bock von 2016 empfiehlt sich 2020 als Gärtner. Dass er in den Reihen der derzeitigen Entscheidungsträger anscheinend mit offenen Armen aufgenommen wird, sollte stark zu denken geben.
Danke, für den Artikel.
Eine leider etwas ambivalente Situation. Einerseits muss man sich darüber freuen, dass wir – wenn keine groben Fehler passieren – mit einem tiefblauen Auge davon kommen. Dass die Versorgungsengpässe der Materiealien und wichtiger Alltagsmedikamente, bei denen es schon in Vor-Corona-Zeiten erhebliche Probleme gab, demnächst behoben werden, davon gehe ich aus.
Dass man von der Strategie abrückt, Krankenhäuser kaputt zu sparen (über den Personalmangel, der dann keiner mehr ist, wenn 1/3 Krankenhäuser weg sind), das steht glaube ich noch immer auf der Kippe. Man wird das propagandistisch ausschlachten, in der Weise, dass man unser super Medizinsystem loben wird.
Das beste Argument dagegen scheint mir zu sein, dass unsere Krankenhäuser in der Krise ja überwiegend gar nicht gefordert waren. Man hat es durch die logistischen Maßnahmen vor einem Testfall bewahren können, Glück gehabt zu haben, ist aber keine Strategie.
Ich würde sorgfältig die einzelnen Schwachpunkte weiter darstellen: Personalschlüssel, Fallpauschalen, Belohnung für Operationen, statt für deren Vermeidung, ein bürokratischer Wasserkopf, zu viele medizinfremde Tätigkeiten (Dokumentation).
Aber auch Ausblicke geben: mehr Prävention durch Information, mehr sprechende Medizin, durchaus gemischt mit Telemedizin und optimierten Abläufen (würde man sich gerade in der Pflege wünschen) mehr Orientierung an Gesundheit und Glück, statt an Wirtschaftsleistung. Das Medizinsystem muss von dem eingebildeten Zwang profitabel agieren zu müssen, entlastet werden.
Man wird gelernt haben, dass Ausnahmesituationen jederzeit auftreten können.
Grundsätzlich gehört öffentliche Daseinsvorsorge gehört nicht in private Händen Hände. Dazu zählen Post, Bahn, Energie, Wasser und Krankenhäuser Altenheime. Wir sehen ja immer wieder wohin es führt, wenn Privatisierung zuschlägt. Personalabbau, weniger Leistung usw. Aber die neoliberalen werden nicht müde das hohe Lied der Privatisierung zu singen. Es ist viel Geld unterwegs das Anlageformen sucht.
Ach herrlich, wie sich die neoliberale Propaganda wieder selbsts entlarvt.
"Warum der Tagesschau-Faktenfinder meint, das verteidigen zu müssen, bleibt sein Geheimnis."
-> Ganz einfach weil der sogenannte "Faktenfinder" selbst ein Kontrollinstrument ist, dass objektivität verspricht, sich aber oft hinter einer Meinung versteckt. Und die ist, wie in der ARD üblich, westlich, transatlantisch und natürlich wirtschaftlich neoliberal.
Man muss sich nur mal die "Faktenfinder" beiträge zum Syrienkrieg durchlesen. Gerade die öffentlichen Sender ARD/ZDF sind in ihrer Berichterstattung nicht unabhängig sondern folgen einem Narrativ. Im Gesundheitswesen heißt dies nach wie vor Verschlankung, Geld sparen, privatisieren. Wer das kritisiert muss sich einer "Faktenprüfung" unterziehen. Wie krampfhaft da etwas zusammengeschustert wird, um eine Meinnug zu stützen sieht man schön in diesem Beitrag. Also Finger weg vom Faktenfinder.
>>Dazu zählen Post, Bahn, Energie, Wasser und Krankenhäuser Altenheime.<<
Das kann man erweitern: zum Beispiel ist eine pharmazeutische Industrie mit dem Arbeitsziel Privatprofit auch nicht sozialkompatibel. Und andere Zweige sind nicht umwelt/klimakompatibel oder zerstören menschliche Gesundheit durch ihr primäres Arbeitsziel Privatprofit.
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>>Es ist viel Geld unterwegs das Anlageformen sucht.<<
Und es wird stets mehr, weil ja trotz sinkender Profitrate die Profitsumme wächst und reinvestiert werden soll, um weiteren Profit zu generieren, der auch wieder investiert werden soll, um weiteren Profit zu generieren... Daher der wachsende Druck des Privatkapitals auf immer weitergehende Privatisierung, um möglichst alle Lebensbereiche dem Primat des privaten Profites zu unterwerfen. Bis zum globalen Zusammenbruch des ganzen Systems.
>>Aber die neoliberalen werden nicht müde das hohe Lied der Privatisierung zu singen.<<
Ja klar, wir sollen ja der Katastrophe gelassen zuschauen und meinen dass Alles irgendwie gut werden wird.
>>Zu guter Letzt fällt der Faktefinder auf einen entscheidenden Kniff der neoliberalen Gesundheitspolitiker und deren Umgang mit „Fakten“ herein.<<
Der Auffassung bin ich nicht, dass der Faktenfinder darauf reinfällt. Der Faktenfinder, auch gerne Faktenvernichter genannt, ist eine Verteidigungsmaschinerie des Mainstreamjournalismus, wie er in nahezu idealer Form von der 'tagesschau' betrieben wird. Im Grunde geht es in diesem Fall gegen zwei Abgeordnete der Linkspartei, die sich auf das Leopoldina-Papier bezogen und kritisierten.
Wenn Wissenschaft gar kein Wissen mehr schafft ...
Dann bekommt man den Eindruck, dass sie am abgeklemmten Tropf der öffentlichen Geldgeber zum Teil, eher eine billige und willige Schlampe ist, denn ein Wissensproduzent!
Das deckt sich jedenfalls mit den Erfahrungen, die man macht, wenn man von ARD und ZDF zur erwünschten "Meinungsbildung" hinterlegte Studien, wirklich liest! Da denkt man eher an Satire, als an ernsthafte Forschungsarbeit! Zum Lachen taugt es aber immerhin ... !
Wie schamlos und dreckig sogenannte "Experten" aus der Wissenschaft, Ihre Doktorenstellen und Ihre Professuren für Gefälligkeitsgutachten und wissenschaftlich anspruchslose und nichtssagende Pseudoarbeiten mit dem unverdienten Namen Studie misbrauchen, ist jedenfalls mindestens erschreckend - eigentlich aber schon beschämend!
Das Land der emeritierten Täuscher und Blender eben!
Neu ist das aber nicht! Und angesichts der politischen Finanzierungs-Daumenschrauben der Nachkohlpolitik aber auch kein Wunder! Seit Schröder ist die Forschung ja nur noch Mittel zum Zweck für die politisch Handelnden! Jedenfalls solange sie öffentliche Gelder braucht!
Ich erinnere nur an Lungenärzte, die Abgase als gesundheitlich unbedenklich bewerten und es wagen diese wissenschaftliche Bankrotterklärung auch noch öffentlich zu kommunizieren! ;-)
Da verliert man doch jeglichen Respekt und wie ich finde hat sich die Leopoldina das auch mehrfach und damit redlich verdient!
Es gibt schon seit einiger Zeit zwei wesentliche Entwicklungen beim wissenschaftlichen Personal: Zum einigen immer mehr Wissenschaftler, die immer mehr von immer weniger wissen, also immer extremeres Spezialistentum, die Äquivalenz zum Fachidioten. Dem gegenüber Wissenschaftler, die recht wenig von ziemlich viel wissen, aber zusätzlich in erheblichem Maße über Management-Skills verfügen. Wer sieht denn jetzt wirklich etwas? Die Spezialisten, die jenseits der Grenzen ihres kleinen Erkenntnisflecks keine Welt mehr erkennen, oder die Manager, denen alles gleichgültig ist, solange die Finanzen stimmen?
Vermutlich niemand.
Das ist die Situation. Reinhard Mey war dazu ein hübsches Lied eingefallen, schon älter, aber immer wieder tagesaktuell.
Ein besonderer Hinweis gilt den neoliberalen Demokratie- und Gesellschaftszerstörern. Haben sie doch dazu beigetragen, unser medizinisches System auf einen Stand zurückzufahren, der uns heute Probleme bereitet. Und wäre ihnen das CORONA-Virus nicht dazwischen gekommen, hätten sie unaufhörlich und unbeirrt weiter an dieser Schraube der behaupteten Ineffizienz gedreht. Die einschlägigen Think Tanks wie z.B. die Bertelsmann-Stiftung haben das ja laut genug artikuliert. Und die Demokratiezerstörer hätten weiterhin "Bedenkenträger" in die Ecke gestellt, mit dem Königsargument der neoliberalen Weisheit, dass vergleichbare Volkswirtschaften wie Italien, Spanien, UK und die USA doch mit weit weniger Krankenhausbetten oder gar Intensivbetten auskommen als wir! Geht es noch eindrucksvoller?Übrigens hatte 1985 die damalige CDU/„C“SU/FDP-Regierung unter Kohl begonnen, die Gesetze zu ändern, die es bis dahin untersagten, mit Krankenhäusern Gewinne zu erwirtschaften! Die Krankenhäuser wurden zum Geschäftsmodell. Nicht mehr das gesundheitliche Wohlbefinden stand im Mittelpunkt, sondern die Rendite.Danke Konservative! Danke Liberale!Und wenn diese Schlauberger bald wieder aus Ihren Corona-Schutzräumen kommen - wie vereinzelt bereits FDP-Lindner, CDU-Merz, „C“SU-Dobrindt - und uns ihre altbackenen Vorschläge aus der Ante-Corona-Zeit wieder für die Post-Corona-Zeit andienen wollen, dann lasst uns diese Zunft endlich in den Orkus jagen!
Kritik an den politischen und wirtschaftlichen Akteuren eines neoliberalen und profitorientierten Gesundheitssystems und dessen Misstände, die durch gesetzliche Vorgaben ambulant und stationär eingetreten sind, ist sehr angebracht, Herr Kunkel.
Bezogen auf das Thesenpaier der Leopoldina, aus dem Jahr 2016, kann aber nicht davon gesprochen werden, dass dieses dem Primat der Wirtschaft, der Investoren und Anleger (Profit) das Wort redet oder uneingeschränkten Wettbewerb fordere. Die 8 Thesen sind leicht zugänglich.
Momentan entsteht da eine Mythe, weil angeblich eine rein wirtschafts- und profitorientierte Umstrukturierung der deutschen Krankenhauslandschaft dort vorgeplant worden sei. (Reduzierung der Krankenhäuser auf 330 Einrichtungen, im Verhältnis zum Vergleich Dänemark). Daher, so die Kritiker, sei diese Wissenschaftseinrichtung nicht geeignet, Ratschläge zur jetzigen Epidemie zu formulieren.
Wer das Thesenpapier studiert, der kann leicht erkennen, dass keineswegs den ökonomischen Optimierern ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde und der Staat, bzw. die Bundesländer, an ihre Verantwortlichkeit für Vorsorge und Fürsorge erinnert werden.
Harte Kritik gab es gerade an den Fallpauschalen, die zu seltsamen Ökonomisierungeffekten führen; an der Verdichtung der Arbeitsbelastung für das KH- Personal; an der ungleichen Verteilung der Ressourcen in der Fläche; an der Bevorzugung der Ballungsräume; am Primat der Kaufleute in den KHern; an der mangelnden Transparenz; an der fehlenden freien (universitären) Begleit- und Versorgungsforschung; an der schlechten Investitionslage (Stau: fehlende Geräte (CT) und Zustand der KH- Immoblien, besonders außerhalb der Ballungsräume ) und dem Rückzug des Staates, der diese sicherstellen müsse, weil die Gelder der Krankenversicherten, nach den Gesetzen, dafür nicht eingesetzt werden sollen, aber werden; an dem Faktum, dass viel Geld eingesetzt wird (11,1% des BIP), aber die Ergebnisse, z.B. in der Herzinfarkt - Behandlung, nicht auf dem Niveau vergleichbarer Länder lagen; an der mangelnden Einbindung von Patienten und Patientenvertretenden; an der zu langsamen Umsetzung neuer Forschung in den Vertragskrankenhäusern. Usw.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Man kann die Thesen der Leopoldina so (wie Sie) lesen und interpretieren.
Aber (vielleicht?) durchaus auch so:
"Einseitige wirtschaftswissenschaftliche Ausrichtung:
Insbesondere im wirtschaftspolitischen Bereich erscheinen die Empfehlungen der Expertenrunden unausgewogen, so LobbyControl. In der Arbeitsgruppe der Leopoldina waren mit Lars Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts an der Universität Freiburg, und dem Präsidenten des ifo-Instituts, Clemens Fuest, lediglich zwei Ökonomen vertreten. Beide sind Mitglieder des Kronberger Kreises der Stiftung Marktwirtschaft, der eine neoliberale Wirtschaftspolitik vertritt. Eine plurale volkswirtschaftliche Perspektive ist so nicht gegeben. Entsprechend einseitig fallen die wirtschafts- und steuerpolitischen Empfehlungen des Leopoldina-Papiers aus. So fordert das Papier die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle, also auch für Spitzenverdiener, sowie einen schnellen Abbau der Staatsverschuldung. Imke Dierßen: „Diese Forderungen entsprechen einer wirtschaftsliberalen Perspektive und werden bereits seit längerem von verschiedenen Lobbygruppen vorgetragen. Andere Perspektiven kommen hier bedauerlicherweise zu kurz“, so Dierßen."
https://www.lobbycontrol.de/2020/04/lobbycontrol-kritisiert-unausgewogene-corona-expertenrunden/
Oder auch wie die Fraktion der Linken in Halle:
https://dubisthalle.de/linke-leopoldina-papier-neoliberalismus-statt-krisenbewaeltigung
Es gibt einen einzigen Passus im Leopoldinatext, auf S.10 oben:
"Hätte Deutschland die Krankenhausstruktur von Dänemark mit einem Krankenhaus pro 250.000 Einwohner, wären es bei uns 330 – und alle mit CT, MRT (Magnetresonanztomographie) und Fachärzten für Innere Medizin/Kardiologie, Allgemeinchirurgie, Unfallchirurgie und Anästhesie/ Intensivmedizin, die rund um die Uhr und an allen Tagen der Woche verfügbar sind. Die dänische Krankenhausstruktur ist das Resultat einer landesweit abgestimmten Reform, die für rund 1.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung viele kleinere ältere Krankenhäuser durch wenige neue ersetzt hat."
Das ist ein Vergleich mit der Situation in Dänemark und keine Forderung, in Deutschland 1300 Kliniken zu schließen. Die ARD hat daher (ausnahmsweise) recht, und "Kalle Kunkel" wieselt sich mit anti-marktwirtschaftlichen Parolen dranlängs.
Man kann für und gegen Krankenhausschließeungen usw. sein (Geld genug wird in D wahrhaftig ausgegeben, 11% des BIP, jeder 9. Euro!), aber die Berichterstattung über die Leopoldina war gelogen, "fake", wenn Ihnen das lieber ist.
"Das ist ein Vergleich mit der Situation in Dänemark und keine Forderung, in Deutschland 1300 Kliniken zu schließen. Die ARD hat daher (ausnahmsweise) recht, und "Kalle Kunkel" wieselt sich mit anti-marktwirtschaftlichen Parolen dranlängs."
Nein. Einspruch.
Welchen anderen Sinn sollte denn der vergleichende Verweis auf die Situation in Dänemark haben, als den, uns ebenfalls in diese Richtung zu bewegen. Wie folgender Passus (aus These 5 / Seite 14) belegen mag:
"Die derzeitige Mangeldiskussion resultiert zu großen Teilen aus einem unnötig aufgeblähten System mit zu vielen Krankenhäusern, hohen Betten- und stationären Fallzahlen und der immer noch überdurch- schnittlich langen Verweildauer im Krankenhaus. Eine entsprechende Reduktion der Krankenhäuser, vor allem in Ballungsräumen, und die Aufstockung des medizinischen Personals in den verbleibenden Häusern würden zu adäquateren Patienten-Pflegepersonal-Zahlen führen und damit sowohl die Versorgungsqualität deutlich erhöhen als auch Überlastungen beim medizinischen Personal reduzieren."
Dies war also eine nicht misszuverstehende, eindeutig positionierte Empfehlung. Punkt.
Sie meinen jetzt das neue, dritte "Corona"- Adhoc-Papier der Leopoldina zum Wiederstart der Wirtschaft, eingefordert von höchster Stelle, Stiller.
Da gebe ich Ihnen Recht: Besonders am Ende, fallen die Vorschläge und Formeln so aus, wie man es aus den Statements der bekannten, von Ihnen zitierten Personen, schon lange gewohnt ist.
Aber auch diese Arbeitsgruppe war sehr heterogen besetzt und deren Ergebnis ist, bis auf das formelhafte Bekenntnis zur Marktwirtschaft, nicht hauptsächlich oder überwiegend neoliberal formuliert.
Ich konnte dieses Papier bisher nur schnell überfliegen. Es stehen da aber auch Bewertungen und Formeln für das zukünftige Handeln, die im Prinzip eine deftige Klatsche für die christlich- sozialdemokratische GroKo-Regierung und ihren Wirtschaftskurs sind!
Die Bildungslandschaft wird klar als sozial ungerecht eingeschätzt. Die Chance nach der Krise, die die besonders Benachteiligten noch extra hart treffe, müsse genutzt werden, um daran endlich etwas zu ändern.
In der höflichen Sprache einer Wissenschaftsgesellschaft, wird ebenso der Europapolitik Deutschlands ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt! Mangelnde deutsche EU-Solidarität, das ist die Befürchtung der Leopoldina, schadet Europa und wird sich auch wirtschaftlich für uns rächen.
Das Leopoldina- Papier lässt sich an unterschiedlichsten Stellen dazu aus, wie denn Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz endlich zu einem wirtschaftlichen Durchbruch kommen können. In den Formulierungen steckt überall eine klare Kritik am Ist-Zustand, z.B. bezüglich der Mobilitäts- und der Umweltpoltik.
Demgegenüber, stehen einige eher halbherzige Formulierungen, wie denn die Steuererleichterungen (besonders für Firmen und Selbstständige) aussehen sollen und ein eher altbackener Vorschlag, den "Soli" sofort abzuschaffen.
Es fehlen, das fällt sofort auf, im Leopoldina- Papier Vorschläge, wie denn die Steuereinnahmen gerecht verbessert werden können, die zu den notwendigen großen Umgestaltungen (Bildung, Mobilität, Energie, Umwelt) erforderlich werden.
Es fehlt ja immer noch an der Umsetzung eines alten Versprechens unserer Bundeskanzlerin, damals, nach der Finanzwirtschafts- und Immoblienkrise, wirksam die Spekulation, große Vermögen, Steuerhinterzieher und Steuervermeider (Anleger, Investoren) heranzuziehen. Es ist auch keine Frage, dass der Co- Partner SPD, dahingehend ebenfalls wenig politische Motivation und Durchsetzungswillen aufbrachte.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ein richtiger Kommentar, aber nur noch eine leise Stimme in der Medienlandschaft der Einfalt.
Dem Kampf gegen die Privatisierung von allgeimeingut ist längst verloren. Nachdem zunächst die Kommunikation nur noch Profitorientiert arbeitet. Geht es im Verkehr langsamer, dafür im Gesundheitswesen umso erfolgreicher voran. Das wird sich kaum zurück drehen lassen. Viele glauben den Bertelsmänner und den Erzählungen des sparzwangs, auch wenn es auf Kosten ihrer Gesundheit geht.
Der nächste Coup wird das Bildungssystem sein. In den Hochschulen hat der Markt schon massiv seinen Einfluss aufgebaut. In den Schulen ist man mit den Digitalisierungskampagnen gut auf dem Weg.
Letztlich geht es einfach gesagt darum möglichst viel aus diesem staatlichen Aufgaben in finanzwirtschaftliche Systeme umzuleiten. Deren einflüsterer sitzen an den richtigen Stellen. Der Kampf ist verloren.