Am Internationalen Frauentag bekam Hamburgs Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) die Wut der Betroffenen zum ersten Mal zu spüren. Rund 2.000 Frauen demonstrierten an diesem Tag vor dem Hamburger Rathaus gegen die massive Sparpolitik der Senatorin. Trotz scharfer Kontrollen und massiver Polizeipräsenz gelang es 50 Demonstrantinnen zum offiziellen Frauentag-Senatsempfang durchzudringen und der Senatorin ihren Protest deutlich zu machen. Die aber fühlte sich verkannt: "Ich werde zu unrecht angefeindet." Die Tumulte am Frauentag werfen ein Schlaglicht auf die politische Situation in Hamburg. Drastische Auswirkungen zeigen sich vor allem in der Sozialpolitik der Hansestadt: Unter der neuen Rechtskoalition aus CDU, Schill-Partei und FDP stehen soziale Projekte vor einer
ner finanziellen Erosion bislang unbekannten Ausmaßes. Die Liste der Grausamkeiten, die im Rahmen der Haushaltsberatungen Mitte April durch die Hamburger Bürgerschaft gestimmt werden soll, ist lang und umfassend: Fast allen freien Trägern, die in Hamburg Sozialarbeit leisten, werden bereits für das laufende Jahr massive Kürzungen auferlegt: Wurden den Trägern in den vergangenen Jahren zumeist allenfalls kein Inflationsausgleich gewährt, so sind heute Kürzungen um zwanzig, dreißig, ja gar fünfzig Prozent der Mittel keine Seltenheit. Ob Drogenhilfe oder Frauenhäuser, deutsch-ausländische Begegnungsstätten oder AIDS-Prävention: fast alle Projekte in diesem Bereich müssen ihre Arbeit massiv reduzieren und Mitarbeiter entlassen. Mehrere Einrichtungen, wie etwa die Straßensozialarbeit im Rotlicht-Viertel St. Pauli, mussten bereits ihre Pforten schließen. Da weitere "tiefe Einschnitte" in den kommenden Jahren folgen sollen, droht der über Jahrzehnte gewachsenen sozialen Infrastruktur Hamburgs im Laufe der Legislaturperiode ihre Zerschlagung. Mehr als 20 Millionen Euro will der Hamburger Senat allein in diesem Jahr im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und der Sozialhilfe einsparen. Die Zahl der ABM-Stellen soll von rund 1.900 auf 1.500 gesenkt, vor allem aber die Entlohnung der auf dem zweiten Arbeitsmarkt Beschäftigten drastisch gekürzt werden. Langzeitarbeitslose sollen in Zukunft rund ein Drittel weniger Geld ausbezahlt bekommen. Stand die bisherige Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Regierung unter dem Motto "Tariflohn statt Sozialhilfe", müssen nun zumindest Menschen mit Kindern aufgrund solcher Niedriglöhne automatisch ergänzende Sozialhilfe beantragen. Da aber auch hier acht Millionen Euro eingespart werden, sollen Sozialhilfeempfänger und auch die Sachbearbeiter auf den Sozialämtern durch Datenabgleich stärker überprüft werden: Die einen, ob sie über zusätzliche Einnahmequellen zur Sozialhilfe verfügen, die anderen ob sie etwa mehr Sozialhilfe bewilligen als ihre Kollegen. Die massiven Haushaltskürzungen schneiden dort am meisten ein, wo Menschen geholfen wird, die besonders in Not sind. So strich Sozialsenatorin Schnieber-Jastram zuerst bei den Frauenprojekten, die Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt betreuen: bei Frauenhäusern und den Beratungsstellen, die Frauen und Mädchen helfen, die männlichen Übergriffen ausgesetzt waren. Mit dem Wahlspruch "Frau sein an sich ist noch kein Grund beraten zu werden", bügelt die Senatorin sämtliche ausgewiesen feministischen Ansätze weg und schlägt statt dessen vor, Frauen sollten vermehrt den Weg in die Familienberatungsstellen der Stadt finden. Auch in anderen Bereichen wiederholt sich das Prinzip, das Ausgrenzung hilfebedürftiger und sozial schwacher Menschen aus der Gesellschaft heißt. Förderung wird durch Zwang ersetzt, wer nicht pariert und funktioniert, bekommt die ganze Härte des "strafenden Staates" zu spüren. Während Kindergärten und offene Jugendeinrichtungen von den Sparvorgaben fast verschont bleiben, wird die Arbeit mit Drogenabhängigen, schwer erziehbaren Jugendlichen, Migranten und Flüchtlingen am stärksten bedroht. Auch die arbeitsmarktpolitische Umsteuerung trifft zuerst die Arbeitslosen mit den stärksten Problemen: So werden in Zukunft vor allem Maßnahmen für die Erwerbslosen gestrichen werden, die für den Arbeitsmarkt erst einmal fit gemacht werden. Die Ausgrenzungsstrategie spiegelt sich auch in der neuen Hamburger Drogenpolitik: Machten Schill-Partei und CDU noch mit dem Slogan "Alle Härte den Dealern, alle Hilfe den Süchtigen" Wahlkampf, so geht inzwischen mit der Vertreibung der Drogenhändler auch die Ausdünnung der Therapieangebote und der kontrollierten Drogenfreigabe einher. "Für Junkies wird es ungemütlich", gibt der neue Gesundheitssenator Peter Rehaag (Schill-Partei) den Kurs vor. Rainer Schmidt, Geschäftführer einer großen Hamburger Drogenhilfeeinrichtung glaubt: "Es ist das Programm dieser Regierung, sich um bestimmte Menschen einfach nicht mehr zu kümmern." Der Widerstand gegen die neue Rechtsregierung in der Hansestadt formiert sich langsam. Ob dann auch die Oppositionsparteien SPD und Grün Alternative Liste (GAL) mit auf die Straße ziehen werden, ist fraglich. Trotz der massiven Einschnitte im sozialen Bereich und zahlreicher Skandälchen und Affären im Dunstkreis von Innensenator Ronald Schill ist die Opposition bislang blass geblieben. Der Hamburger SPD-Parteichef Olaf Scholz warf bei seiner 100-Tage-Bilanz des neuen Senats diesem vor allem vor, dem Wahlkampfgetöse keine Taten folgen zu lassen. Statt Gegenmodelle zu der Ellenbogen-Politik der neuen Regierung zu entwickeln, wählte Scholz damit einen äußerst fragwürdigen Kritikansatz. So verwundert es nicht, dass SPD und GAL in den neuesten Wahlumfragen auf der Stelle treten. Die zahlreichen Affären um seine Person haben Ronald Schill dagegen geschadet, der Rechtspopulist hat nicht nur Haare beim Kokain-Test, er hat auch Federn gelassen und fünf Monate nach Amtsantritt ein Drittel seiner Wähler verprellt. Doch die Stimmen, die Schill verliert, kommen fast im gleichen Maße der CDU zugute. An der Seite des angezählten Skandal-Senators gelingt es CDU-Bürgermeister Ole von Beust, sich als Mann der moderateren Töne zu profilieren und so Honig aus der Krise der Schill-Partei zu saugen: Denn die meisten Hamburger, das zeigen alle Befragungen, sind mit dem eingeleiteten Politikwechsel zufrieden.