Deutschland/Polen Nicht nur Erika Steinbach und die Vertriebenenverbände, auch die Medien hierzulande tragen Schuld am zerrütteten Verhältnis zum östlichen Nachbarn
Der Vergleich hinkt, drängt sich aber dennoch auf: Da gibt es an der Deutschen Oper eine Idomeneo-Inszenierung, bei der neben abgetrennten Köpfen von Jesus und Buddha auch jener des Mohammed zu sehen ist. Als die Intendantin Kirsten Harms das Stück vom Spielplan nimmt, weil die Aufführung laut Berliner Innensenator und Landeskriminalamt von radikalen Islamisten gestört werden könnte, wogt eine Welle der Entrüstung durchs Land: Selbstzensur, Verletzung des Rechts auf künstlerische Freiheit, Kniefall vor den Fundamentalisten, heißt es. Die Politik schließt sich dem Ruf nach der Wiederaufnahme des Stücks fast lückenlos an.
Ganz anders das Geschehen an einer anderen Front: Da kritisieren einige Polen-Korrespondenten, darunter Thomas Ur
Thomas Urban von der Süddeutschen Zeitung und Gabriele Lesser von der taz in - wie sie meinen - durchaus vertretbaren Worten die antideutschen Phobien der Kaczynski-Zwillinge im Besondern und der Polen im Allgemeinen. Sie werden dafür rüde angerempelt, nicht nur von Polens Öffentlichkeit, sondern auch von Gesine Schwan, der Polen-Beauftragten der Bundesregierung. Letztere wirft den Journalisten vor, ein negatives Polen-Bild verfestigen zu wollen. Die Empörung hält sich aber in Grenzen, kaum jemand schreit Zensur, kaum einer spricht vom Angriff auf die Meinungsfreiheit. Vermutlich weil Polen - anders als der Berliner "Kniefall vor den Islamisten", wie es heißt - den meisten Deutschen egal ist. Und wohl nicht, weil die Mehrheit davon überzeugt ist, dass Gesine Schwan Recht hat.Nationalismus gilt vielen Polen als Antwort auf das neoliberale Diktat der EUDas schlechte Klima in den deutsch-polnischen Beziehungen hängt aus Warschauer Sicht natürlich zunächst damit zusammen, dass man ein neues, den Polen aus historischen Gründen reichlich suspektes deutsches Selbstbewusstsein zu erkennen glaubt. Ob die Fußball-WM mit ihrem "Patriotismus ohne schlechtes Gewissen" oder die Tatsache, dass revisionistische Projekte wie Erika Steinbachs "Zentrum gegen Vertreibungen" vom Randphänomen zum Vorzeigeprojekt mutieren - all das kommt schlecht an.Doch zugleich ist damit bestenfalls die erste Schicht des Konflikts frei gelegt. In Wirklichkeit geht das deutsch-polnische Missverständnis tiefer. Es ist abseits von Erika Steinbach und Kriegsvergangenheit auch und vielleicht sogar in erster Linie ein kulturell induziertes. Und insofern hat Gesine Schwan in ihrer Kritik an deutschen Journalisten Recht. Dass unzählige Auslandskorrespondenten ihr Augenmerk auf die Kaczynski-Zwillinge legen, ist natürlich und von den Grundsätzen des journalistischen Handwerks diktiert: Bad news are good news, und die Kaczynskis sind nun einmal very bad news. Zudem sind Politiker, die sich derart ungeschickt auf internationaler Bühne anstellen wie die beiden, eine Rarität. Bad news, die noch dazu Seltenheitscharakter haben - wer würde da nicht zur Feder greifen oder in die Tastatur hämmern?Die Schwierigkeiten beginnen dort, wo das reine Beschreiben in missionarischen Eifer umschlägt. Oder anders gesagt, wo ausländische Beobachter, es sind ja nicht immer nur die deutschen, plötzlich als Künder einer wie immer gearteten political correctness auftreten. Als Missionare, die dem wilden polnischen Gastvolk europäische Sitten beibringen wollen wie einst die Kolonialherren. Das kann eigentlich nur schief gehen. Auch wenn die Kaczynskis nationalistische Intriganten sein sollten, unzählige Polen latent homophob - Andrzej Lepper ein populistischer Wirrkopf und die Katholische Kirche in Polen ein Machtfaktor wäre, wie kaum anderswo in Europa - bei unsachgemäßer Handhabung kann aus diesen Versatzstücken ein Bild entstehen, das zwar in seinen Einzelheiten stimmt, in der Summe aber mitnichten die Realität wiedergibt, in der die Mehrheit der Polen lebt.Um ein Beispiel zu nennen: Der Nationalismus der polnischen Politeliten von Lepper, Giertych und Kaczynski bis weit hinein ins sozialdemokratisch-postkommunistische Lager muss auf einen deutschen Betrachter, der jahrzehntelang auf Vergangenheitsbewältigung und europäische Werte getrimmt wurde, befremdlich wirken. Und in der Tat ist dieser Nationalismus auch befremdlich. Bloß - er hat auch einen historischen Kern, der sich von jenem vieler anderer Nationalismen unterscheidet. Schließlich hat weiland schon Friedrich Engels geschrieben, dass es zwei Völker gebe, die auf Grund ihrer Geschichte nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht haben, nationalistisch zu sein: die Polen und die Iren. Der Jahrhunderte lange Kampf der Polen um einen eigenen Staat hat dazu geführt, dass im polnischen Geschichtsverständnis Nationalismus nicht mit Angriffskriegen (obwohl es auch solche Episoden in der polnischen Geschichte gab), sondern mit dem Ringen um Freiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit verbunden wird. Heute wiederum gelten der Nationalismus wie auch der Katholizismus vielen Polen als Antwort auf das neoliberale Diktat der EU-Wirtschaftspolitik.Dass der Nationalismus die Rolle des Trostspenders und Hoffnungsträgers übernommen hat, liegt nicht zuletzt am Unvermögen der polnischen, aber auch europäischen Linken, Alternativen anbieten und vermitteln zu können.So wird ein Polen-Bild gefestigt, das eine Karikatur seiner selbst istDas alles zu erklären, ist zugegebenermaßen mühsam, vielleicht auch langweilig. Um wie viel leichter ist es da, die nächste Schmonzette aus dem Leben der First Family Kaczynski zum Besten zu geben oder genüsslich die katholisch-fundamentalistischen Verrücktheiten von Vizepremier Roman Giertych zu schildern. Bleibt es in dieser Hinsicht allerdings bei Einzelmeldungen, dienen sie tatsächlich - da hat Gesine Schwan schon Recht - vorzugsweise dazu, ein Polen-Bild zu festigen, das eine Karikatur seiner selbst ist: Der finstere erzkatholische Reaktionär, der Juden, Schwule und Europa hasst und außer beten nichts anders fertig bringt, als im Ausland Autos zu klauen. Dass die Zeche für Berichte dieser Art dann unter Umständen Leute bezahlen müssen, die nichts dafür können - sprich: dass auch jene deutschen Polen-Korrespondenten ins Gerede kommen, die sich um eine differenzierte Sicht bemühen - mag bedauerlich sein, ist aber dem "System Journalismus" immanent. Denn lernt heutzutage nicht jeder Journalismus-Eleve, dass Celebrities den News-Wert einer Geschichte steigern? Wen wundert es dann, dass Gesine Schwan die bisweilen verquere Wahrnehmung Polens nicht am Hintertupfinger Tagblatt aufhängt, sondern an Renommiertheiten wie der Süddeutschen?Bevor Gerhard Schröder seine Liebe zu Wladimir Putin und zu einer deutsch-russischen Gaspipeline entdeckt hat, die Polens strategische Interessen völlig ignoriert, galt die rot-grüne Koalition als betont polenfreundlich. Daraus hat man ihr bisweilen den Vorwurf gemacht, durch allzu große historische Schuldkomplexe nationalistischen polnischen Wahrnehmungsmustern erst recht Tür und Tor zu öffnen. Doch war das Gesprächsklima zwischen Berlin und Warschau damals um Welten besser als heute. Was freilich auch daran lag, dass der damalige polnische Premier Leszek Miller im Vergleich zu den Kaczynski-Brüdern ein außenpolitisches Genie war. Schwan hat mit ihrer Wortmeldung letztlich zum Ausdruck gebracht, dass auch deutsche Medien einen Teil der Schuld an dem heruntergekommenen deutsch-polnischen Verhältnis tragen, und versucht, Warschau wieder einen Schritt entgegen zu gehen. Das kann ihr eigentlich kaum jemand vorwerfen. Ob nun freilich auch ein Schritt von der polnischen Seite folgt, ist eine ganz andere Geschichte und alles andere als sicher.
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