Die IG Metall zeigt sich kämpferisch und organisiert bundesweit eine große Welle von Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie, während die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sich mit einem wochenlangen Streik gegen eine Ausdehnung der Arbeitszeit wehren. "Na und - in der Metallbranche das gleiche Prozedere wie immer", mögen manche denken. Es ist aber nicht so!
Schon der Streik im öffentlichen Dienst gegen eine Arbeitszeitverlängerung und damit gegen weiteren Arbeitsplatzabbau zeigt, dass es sich bei den Tarifkämpfen in diesem Frühjahr um grundlegende gesellschaftspolitische Konflikte handelt. Denn es wird von den öffentlichen Arbeitgebern eine prinzipielle Wende in der Arbeitszeitpolitik angestrebt: Abbau von Beschäftigung
28;ftigung durch verlängerte Arbeitszeiten statt Umverteilung von Arbeit durch Verkürzung, heißt die Losung der Arbeitgeber. Und all diejenigen - auch in der IG Metall -, die jetzt am Streik von Ver.di rumnörgeln, sollten sich bewusst machen: Sollte Ver.di aus machtpolitischen Gründen bei der Arbeitszeitverlängerung einknicken, wäre auch die schon angeknabberte 35-Stunden-Woche für die IG Metall passé. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall würde postwendend die 40-Stunden-Woche auf die tarifpolitische Tagesordnung setzen. Nicht zuletzt deshalb sind solidarische Aktionen aller Gewerkschaften für den Ver.di-Streik angesagt.Und in der Metallindustrie? Auch hier erweist sich die Forderung, die Erholzeiten für Akkord- und Prämienarbeiter zu streichen, schlicht als eine Verlängerung von Arbeitszeit - unbezahlt, versteht sich. Doch damit nicht genug. Es gibt weitere Elemente, die erkennen lassen, dass es sich bei dieser Metalltarifrunde um einen gesellschaftlichen Konflikt handelt: Die Lohnstückkosten stagnieren oder sinken, die Gewinne steigen überdimensional, die Zinsen bleiben niedrig - und die Unternehmen wurden und werden steuerlich entlastet. Eine neoliberale Traumkonstellation - nur führt sie weder zu Wachstum noch zu einem Abbau von Erwerbslosigkeit. Wie auch? Solange in den Betrieben Löhne gedrückt, Arbeitszeiten verlängert und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse gekündigt werden, sind in wirtschaftspolitischer Hinsicht die Weichen weiter in Richtung Stagnation gestellt.Die IG Metall tritt deshalb mit einem Alternativprogramm zum neoliberalen Verzichtsdogma an. Sie verlangt den Erhalt der Erholzeiten im Südwesten und stellt sich damit gegen eine Arbeitszeitverlängerung. Sie will einen so genannten Innovations- und Qualifizierungsvertrag durchsetzen, um die Unternehmen auf diese Weise zu zwingen, von phantasielosen Strategien zur Kostensenkung und zum Personalabbau Abstand zu nehmen. Sie sollen statt dessen Produkte und Arbeitsprozesse entwickeln - nach dem Prinzip: besser statt billiger. Natürlich geht es den Metallerinnen und Metallern auch um höhere Löhne und Gehälter in einer Größenordnung von fünf Prozent. Damit könnte es nicht nur möglich sein, die Binnennachfrage zu beleben, sondern auch der fortwährenden Verteilung von unten nach oben endlich Einhalt zu gebieten. Mit deutlich erhöhten Einkommen in der Metall- und Elektroindustrie soll eine verteilungspolitische Wende eingeleitet werden, die gewiss auch bei anderen Branchen und - darüber hinaus - im europäischen Kontext Wirkung und Eindruck hinterlassen dürfte. Von den unter diesen Umständen wieder wachsenden Finanzierungsspielräumen für die sozialen Sicherungssysteme ganz zu schweigen. Höhere Bruttoeinkommen der Beschäftigten führen auch zu höheren Bemessungsgrundlagen und damit zu höheren Einkommen bei Rentnern, Arbeitslosen und Kranken.All das macht deutlich, dass die IG Metall eben nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder in den Betrieben im Blick hat, sondern als eine gesellschaftliche Kraft agiert, die in der Tarifrunde 2006 einen fundamentalen Konflikt austragen will, bei dem über die künftigen Koordinaten von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft entschieden wird. Auch die Arbeitgeberseite hat für sich durchaus die gesellschaftspolitische Dimension dieses Tarifkonflikts erkannt: So fordert Gesamtmetall eine "kostenneutrale Lohnentwicklung" von maximal 1,2 Prozent. Das käme ohne jeden Zweifel einer Reallohnsenkung gleich. Mehr noch: Auf der Agenda der Arbeitgeber stehen Arbeitszeitverlängerung und Lohnverzicht für Beschäftigte in Betrieben, die Einstellungen vornehmen. Man bietet - je nach Ertragslage - Einmalzahlungen an und abgesenkte "Dienstleistungstarife". Ein verhängnisvoller Crash-Kurs für Tarifsystem, Konjunktur und Beschäftigung!Der Erfolg der Gewerkschaften in den aktuellen Auseinandersetzungen hängt von ihrer eigenen Mobilisierungsfähigkeit ab. Eine der entscheidenden Fragen lautet: Ob und wie die sozialen Initiativen, die globalisierungskritische Bewegung, die Sozialverbände und so weiter diesen Konflikt aufgreifen und seine Wirkung potenzieren. Zwischen all diesen Lagern und Gruppen gibt es genügend Gemeinsamkeiten, um die neoliberalen Verzichtsapostel endlich einmal in die Schranken zu weisen.Horst Schmitthenner leitet das IG Metall Verbindungsbüro soziale Bewegungen.