Priyas Stimme zitterte noch Tage danach, wenn sie mit jemandem sprach. Ihre Wohnung im Zentrum Mumbais, das die Engländer einst Bombay nannten, trennen nur einige Hausnummern vom Taj Mahal Hotel. Die Schüsse und Explosionen konnte Priya in ihrem Wohnzimmer hören. Sie, die so gern ausgeht, hatte sich in ihrer Wohnung verschanzt. Keiner, der im Zentrum lebt, verließ in diesen Tagen freiwillig das Haus. Man durfte es auch nicht. Nur der Rauch vom Feuer im Taj Mahal, wanderte durch die Stadt.
Nun hört sich Priyas Stimme wieder fester an. Gleich wird sie hinausgehen zu einer Mahnwache, die der Opfer gedenkt. Mumbai und seine Bewohner erwachen langsam aus der Angststarre, die tagelang das Leben paralysierte.
Lähmung und Mumbai - ist das nicht ein Widerspruch?, fragt
derspruch?, fragt Priya. Mumbai, diese Stadt, die 20 Million Menschen Obdach gewährt. In die die Menschen aus den Dörfern strömen, weil sie Hoffnung haben. Weil sie wissen, dass die mit Fleiß und Raffinesse etwas werden können, hier am arabischen Meer, solange sie nur nicht stillstehen. Mumbai, der Stadt gewordene Überlebenswille seiner Bewohner, eine Metropole die niemals zur Ruhe kommt.Häufig wird Mumbai als düster und dreckig verschrien, gilt bei Touristen als Ort schnellstmöglicher Durchreise auf dem Weg nach Goa, in den Norden, in den Süden. Die sichtbare Armut, oder sollte man sagen: die sichtbaren Armen, die Abgase, das Verrußte, das Verrauchte, das Verkommen, das Verdaute, das überall in den Straßen zu sehen ist, lenkt die Aufmerksamkeit der Besucher auf nur eine Seite der Stadt. Doch es gibt auch ein anderes Mumbai. Mit Art-Déco-Häusern mit Grünspanpatina, mit dunklen neo-gothischen Gebäuden im Süden der Stadt und Hochhäusern mit über 30 Stockwerken weiter nördlich an der Bucht. Mit Neonwerbetafeln, Palmen und rostigen schwarz-gelben Taxen, Clubs in denen man Shischas rauchen kann, Cafés, in denen Studenten aromatisierten Latte Macchiato trinken und auf den Chowpatty-Beach blicken, der an der anderen Straßenseite beginnt. Noch weiter im Norden stehen Edelhochhäuser neben kleinen portugiesischen Villen. Hier ein Luxus-Autohaus, dort ein Designerladen. Dazwischen ein Stand für Kokosnüsse, der auch Telefonkarten verkauft. Oder eine Ziege, die vor einem muslimischen Restaurant angebunden steht. Die Abende senken sich allem Terror zum Trotz in ihrer ganzen Schönheit über die Stadt. Erst verschwindet das Gleißen aus dem Sonnenlicht, der Himmel wird rot, dann lila. Es ist die Zeit, in der die Krähen, die in Mumbai überall in den Bäumen sitzen, laut krächzen. Es wird nicht wesentlich kühler, im November ist es tagsüber fast 30 Grad Celsius warm. Die Laternen werfen ihre orange-funzelnde Beleuchtung auf die nun noch dunkler scheinenden Gebäude von South Mumbai. Wenn das Licht der Autoscheinwerfer gegen den Smog fällt, sieht man abends besser als am Tag, den Feinstaub in der Luft. Man muss diesen Dreck ignorieren können, will man in Mumbai leben.Bevor die Terroristen wie marodierende Banden durch Colaba und Fort zogen, war der frühe Abend die Zeit, in der die Stadt auflebte. Dann schalteten die Snackverkäufer die kleinen Lichter an ihren Karren an und verkauften Samosas. Dauerhupen und Getöse der Autos, die hier Stange an Stange stehen, hin und wieder ein Schuss, das laute Schlagen der davonfliegenden Vögel, das Rufen der Händler. Am Marine Drive ist das Brechen der Wellen zu hören, vor dem Taj Mahal legen die letzten Boote, die von der Ausflugsinseln Elephanta kommen, am Gateway of India an. Dies ist die Zeit, in der Menschen auf dem Heimweg im Zug einschlafen und Kinder ihre letzten Drachen steigen lassen. Nördlich des Mahim Creeks, einer dreckigen braunen Masse Fluss, knattern Rikschas. Vierköpfige Familien auf einem Motorroller sind seltener geworden, aber man sieht sie noch.Mumbai hat immer überlebt. Den Kampf um die Unabhängigkeit Indiens, den Ausnahmezustand unter der Premierministerin Indira Gandhi. Die ständigen Bombenanschläge, die Mafia, die Armut. Die Umweltverschmutzung. Aber diesmal war es anders. Die Schüsse klangen anders als die, mit denen man Vögel verjagt. Die Explosionen nicht wie die Feuerwerke, die hier das ganze Jahr über entzüdet werden. So verstört, so tief erschüttert war Mumbai noch nie. Vielleicht, weil nicht nur Orte angegriffen wurden, die Ausländer gern frequentieren, sondern die Lieblingsorte von Mumbais Eliten. Es traf hiesige Schauspieler, Geschäftsleute, Politiker, Journalisten, sogar die Gastrokritikerin der Times of India starb bei den Anschlägen. Wie wird Mumbai das überstehen? Den Bewohnern Mumbais kommt zu Gute, dass sie Verzweiflung in Aktivität übersetzen können. "Die Stimmung der Menschen in Mumbai ist gedrückt, aber sie gehen ´raus," sagt Priya und gibt sich selbst als Beispiel. Es gäbe, sagt sie, neben der Trauer so viel Wut in der Bevölkerung. Und deshalb werde jetzt demonstriert. Gegen die Staatsregierung, gegen die Landesregierung. Mumbais Bewohner haben den Hang, sich ständig mitzuteilen und gegenseitig zu bestärken - eine wirksame Selbsttherapie. "Wir werden nie aufgeben", sagt eine Freundin von Priya, der es gelingt, sorglos zu klingen. "Warte mal ab, es wird nicht lange dauern, und wir machen weiter. Unseren Geist kann man nicht unterdrücken." Auch auf der Internetplattform Facebook tauschen sich die Menschen über ihre Erlebnisse aus. Und einigen sich darauf, dass es eigentlich alles die Schuld der Politiker sei. Machen ihrer Wut Luft, der Empörung über die eigene Blödheit, diese Menschen an die Macht gebracht zu haben. Meistens nicht durch ihre Wahl, sondern indem sie sich nie um Dinge wie Wahlen gekümmert zu haben. Man habe bisher ja geglaubt, als gebildeter Mensch gegen die "Vote banks" der Slums, gegen die gekauften Stimmen, keine Chance zu haben. Das sei nun vorbei. Nächstes Mal müsse man eben wählen.Vielleicht würden dann sogar einige der Drangsalierungen zurückgenommen, die Mumbai schon vor dem Terror ertragen musste. Die jetzt harmlos wirken, aber nicht weniger hinderlich sind. Dass Clubs spätestens um ein Uhr schließen müssen, dass es einer besonderen Lizenz bedarf, um Musik abspielen zu dürfen. Dass Paare, die an der Uferstraße sitzen, nicht in die untergehende Sonne blicken dürfen, sondern sich der Straße zuwenden müssen - der Sitte und korrupter Politiker wegen, die auf Bestechungsgelder hoffen. Trotzig wirken Pryia und ihre Freundinnen, wenn sie nun davon erzählen. Wenn das Leben weitergeht, soll sich etwas ändern. Es soll besser werden. Jetzt erst recht.Ratan Tata, Vorsitzender der Tata Gruppe, zu der die Taj Mahal-Kette gehört, sichtete längst die Schäden am Hotel, das seine Vorfahren gegen die britische Apartheit bauten, und plant, zu renovieren. Das Oberoi Hotel, ebenfalls ein Anschlagsziel, bat bereits seine Gäste, zurückzukehren. Im Café Leopold am Colaba Causeway sind die Spiegel an den Wänden noch beschädigt, eine Granate hat einen kleinen Krater in den Fußboden gerissen, dennoch hat es wieder geöffnet - unmittelbar nachdem das Blut der toten Angestellten und Gäste weggewischt worden war. "Wir mussten es öffnen, um jeden Preis. Wir mussten ihnen einfach zeigen, dass wir gewonnen haben und nicht sie," sagt Farzad Jehani, der Besitzer. Seiner Familie gehört das Leopold seit mehreren Jahrzehnten. Das sei eben der Bombay-Spirit, behauptet Priya. Der Bombay Spirit - vermutlich ist es einGeist, der auch aus der Not geboren wurde. Die Besitzer der Hotels, Geschäfte und Cafés müssen horrende Miete bezahlen und versuchen allein schon aus diesem Grund, so schnell wie möglich wieder Kunden zu bedienen. Und die Menschen gehen schon bald wieder aus - nicht nur aus Trotz oder aus Stolz aus, sondern auch, weil sie beengt wohnen. Hier im Süden, auf Mumbais schmaler Landzunge, wo die Stadt weder nach links noch nach rechts wachsen kann, leben selbst erfolgreiche DJs, Regisseure oder Manager noch in der Wohnung der Eltern, mitunter mit ihrer Familie. Oder schlimmer noch, bei ihren Schwiegereltern. Da muss man raus, wenn man Leute treffen will, seine Ruhe braucht oder sich das Trauma der Anschläge von der Seele reden möchte. Der Rückzug ins Private gelingt in Mumbai nicht. Viele der eilig eingeflogenen Journalisten verlassen nun wieder die Stadt. Es ist immer noch warm. Bald werden wieder verkrüppelte Menschen auf der Straße betteln und schlafen, Kinder die neusten Bücher an Straßenkreuzungen verkaufen. Hin und wieder wird einer reich oder berühmt; und das wird bis in alle Ewigkeit die Hoffnung aller nähren. Sie werden weitermachen, weil sie keine andere Wahl haben oder weil sie ehrgeizig sind und das Machbare immer vor der eigenen Nase liegt. Bald werden Kinder am Abend wieder ihre Drachen steigen lassen, auf den Dächern, die immer höher werden. Priya wird am Montag wieder zur Arbeit gehen, und am Dienstag auch. Und irgendwann wird das Taj Mahal wieder für all das stehen, was den Menschen in Mumbai Hoffnung gibt.
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