MEDIENTAGEBUCH Ein Hamburger Trampel, ein Raufbold im Schmuddelparka, ein fahrradfahrender Bonvivant: Jeder Kriminalserienkommissar, will er die Quote halten, muss ...
Ein Hamburger Trampel, ein Raufbold im Schmuddelparka, ein fahrradfahrender Bonvivant: Jeder Kriminalserienkommissar, will er die Quote halten, muss unverwechselbare Züge aufbieten. Es gibt Amtsstubenbürokraten, schwäbische Dickbrettbohrer, Ellenbogenlesben, Multikultiyuppies und jüngst sogar einen Hund. Alle führen sie uns reihum in die Milieus - zu den Kunstsammlern und Fußballfans, in Spielhöllen und Klöster, auf die Rennbahn und zur Russenmafia, in Zirkus und Zoo, zu den ganz Reichen und ganz Armen, und jedes zweite Mal ins Rotlichtviertel. Nun ist da noch einer, dem neben Ausflügen in Indianerklubs und zum Mädchenhandel noch etwas weit Gewichtigeres auf die Schultern geladen wurde: Hauptkommissar Bruno Ehrlicher. Seit sein Darsteller P
r Peter Sodann 1992 von dem Ostberliner Drehbuchautor Hans Werner Honert für den MDR in die Tatort-Riege geschrieben wurde, hat Ehrlicher die Aufgabe, ostdeutsche Mentalität fassbar in die (westdeutschen) Wohnzimmer zu transportieren - manchmal etwas plakativ (»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Wir bekommen Verstärkung, sie kommt aus dem Westen«), doch auch mit hintergründigem Blick auf den Stand der Dinge.Darsteller Sodann gab über seinen Kommissar zu Protokoll, er sei einer, der »seine Arbeit macht, der die Menschen mag, aber weiß, dass es noch viele Lumpen auf der Welt gibt, die man verhaften muss. Ein Biedermann, ein Durchschnittstyp.« Das ist nur die halbe Wahrheit, mit der Sodann seine Interviewer ähnlich doppelbödig hinters Licht führt wie Ehrlicher die Figuren, die in seine Fälle verstrickt sind. Der Zuschauer erkennt mehr darin, weil er Ehrlicher kennt. Dieser hat nun zwar bald dreißig Jahre ermittelt, und doch muss er immer wieder neu erfinden, wie er seine Arbeit zu machen hat. Irgendwann endet die Routine, und die Intuition beginnt. Man spürt: Wenn er die Menschen mag, dann auch, weil er ahnt, dass die Wahrheit ein Spiel, der Täter ein Getriebener, der Sieg des Rechts zweideutig und das Leben öfters grau, aber nie schwarz-weiß ist. So schwingt in jeder Äußerung stets ein Anflug von Selbstironie mit, der die scheinbar banalsten Sätze verrätselt. Ehrlicher ist ein zuinnerst skeptischer Mensch, gegenüber neuen und alten Machthabern, gegenüber glatten Lösungen, fremden und eigenen Urteilen. Seine Skepsis ist freilich verhalten. Er ist keiner, der auftrumpft, auch damit nicht. Wird er laut, wundert er sich zugleich, wie andere doch so anders agieren können.Ehrlicher wurde schon mit Columbo (Peter Falk) verglichen. Beide sind klein, linkisch, höflich und zuweilen aufdringlich. Beide lieben das Understatement und wuchern mit dem Pfund, dass sie der Gegner unterschätzt. Columbo allerdings, im knitternden Trenchcoat und die Hand schrullig zum Gruß erhoben, hat Marotten. Ehrlicher dagegen, schnörkellos in Anzug und Krawatte, mit lederner Aktentasche für die Stulle, kommt so mausgrau daher, dass einem die Filmausstattung leid tut. Columbo stellt seine Täter bloß, bis sie die Nerven verlieren. Ehrlicher dagegen weiß, wie leicht Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern werden. »So ein Mist«, sagt er zu dem Mann, der die eigene Freundin erwürgt hat. In solch simplen Sätzen drückt sich Mitgefühl und Trauer über la force des choses aus, gerade dann, wenn er der Wahrheit auf die Spur und dem Fall auf den Grund gekommen ist.Zuletzt geriet Ehrlicher selbst in Verdacht. Mit der neuen Freundin seines Sohns ist ihm in den letzten Jahren vor der Pension eine große Passion zugeflogen: eine »Enkelin«. Sie wird entführt, der Täter lenkt die Spur geschickt auf den Nenn-Opa, dem plötzlich durch einige zweideutig interpretierbare Fotos pädophile Neigungen unterstellt werden. Beim Show-down ruft Ehrlicher den Pförtner, der früher im Betrugsdezernat gearbeitet hat und wegen seiner Stasiverbindungen degradiert worden war: »Komm, du wirst jetzt gebraucht«. Undramatisch sagt er es, ohne das Pathos von Vergebung oder Freispruch. Ehrlicher weiß, dass er kein Richter ist. Die neue Kollegin aus Hamburg, kühl und karrieresüchtig (Karin Anselm), hatte die falsche Spur mit aller Härte verfolgt. Als sie sich zuletzt bei ihm entschuldigt, sagt er: »Lassen Sie mir etwas Zeit. Manchmal ist vergeben schwieriger, als sich zu entschuldigen.« Dieser Satz trifft also nicht den Stasimann, sondern den Westimport.Der ehemalige Kabarettist Sodann ähnelt manchmal dem Kintoppkomiker Stan Laurel. Begriffsstutzig, naiv, ja dumm scheint das Gesicht, dahinter lauert der Seufzer der Demut, selbst im Erfolg. »Nichts anfassen, ich komme« sagt Ehrlicher ins Telefon, das ihn zum nächsten Fall ruft. Die Welt bleibt böse.Jüngst haben sich die vormals grüblerischen Tatortfolgen dem Trend zu Stunt und Action geöffnet. Wie sich die Dinge im vereinigten Osten entwickelt haben, steht zwar dank Ehrlicher deutlich zwischen den Zeilen. Aber kaum noch in den Drehbüchern, die sich jetzt öfter auch ein Westautor ausgedacht hat. »Lass' ihn doch«, würde Ehrlicher lakonisch sagen. »Wenigsten einer, der sich gründlich mit uns beschäftigt.«
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.