Mit der Entscheidung für eine schwarz-rote Koalition in Berlin und eine schwarz-grüne in Hessen scheint die Chance, einen Politikwechsel einzuleiten, auf lange Zeit verstellt. Dass sich SPD, Grüne und Linke der Herausforderung eines sozial-ökologischen Umbaus nicht gemeinsam gestellt, ihre parlamentarische Mehrheit im Bund nicht antizipiert und vorbereitet haben, ist machtpolitisch motiviert, gesellschaftlich jedoch die eigentliche Malaise der letzten Wahlen.
Wer heute überrascht dieses Szenario betrachtet, hat die Entwicklung der letzten Jahre übersehen: Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, ein gemeinsames Projekt zu erarbeiten. Die Ausgrenzung der Linkspartei und die teilweise sinnentleerte Abgrenzung aller drei Parteien voneinander war augenfä
genfällig. Dazu kommt die Unfähigkeit, aus der jeweiligen Parteilogik wenigstens zeitweise herauszutreten, sich für die progressiven linken Bewegungen zu öffnen. Dieses Versäumnis aufzuholen wird denkbar schwer.Da hilft es auch nicht, dass die SPD auf ihrem Parteitag in Leipzig endlich einen Zugang zum Tabuthema Linkspartei findet und scheinbar ihre Spielräume erweitert. Die linken Sozialdemokraten sprechen von Erfolg. Sie übersehen aber anscheinend, dass schon vor dem Parteitag die Tür in diese Richtung geschlossen wurde. Der Vertrag mit CDU und CSU ist unterschriftsreif. Die Basis wird zustimmen: Einerseits weil mit dem Mindestlohn, der doppelten Staatsbürgerschaft, der Rente nach 45 Beitragsjahren durchaus sozialdemokratische Herzensthemen aufgenommen sind, wenn auch etwas softer formuliert. Andererseits angesichts der vermeintlichen Alternativlosigkeit. Heraufbeschworen wird ein Szenario, in dem eine Ablehnung unvermeidlich eine Kettenreaktion auslösen würde: Neuwahlen, schlechtes SPD-Ergebnis, wieder Opposition, finanzieller und organisatorischer Niedergang der Partei.Während die Funktionäre zu einem großen Teil den Mitte-Kurs mittragen, tickt die Basis werteorientierter, man könnte sagen: noch als linke Volkspartei. Seit Jahren ist die SPD deshalb mit doppelten Botschaften unterwegs, wirkt unsortiert und ist es auch. Gerade die rot-grüne Regierung hat mit der Agenda 2010 eine neoliberale Politik endgültig durchgesetzt, die unter Kohl noch durch gesellschaftliche Bewegungen gehemmt war. Dieser Widerspruch – weder von der SPD noch von den Grünen je bearbeitet – hat das Auftreten der letzten Jahre, den Wahlkampf und den nun folgenden Koalitionsvertrag geprägt.Alternativen denkenFast zur gleichen Zeit brechen auch die Grünen in Hessen zu einer Koalition mit der CDU auf. Wohlgemerkt: Es handelt sich hier konkret um jene CDU der ausländerfeindlichen Anti-Doppelpass-Kampagne, der Schwarzgeld-Affäre und vermeintlichen jüdischen Vermächtnisse. Um jene, deren Innenminister mit brutaler Härte gegen die Blockupy-Demo in Frankfurt vorgegangen ist, und die während ihrer Regierungszeit eine Landesverschuldung in Milliardenhöhe und eine verfehlte Bildungspolitik zu verantworten hat. Sprich, es handelt sich um die Stahlhelm-CDU.Ohne Mitgliederentscheid werden die hessischen Grünen den Koalitionsvertrag unter Dach und Fach bringen und ihrer Partei neue Machtoptionen für die Bundesebene eröffnen. Sie werden versuchen zu zeigen, dass der „New Green Deal“ als neue Variante des Kapitalismus funktionieren kann. Damit läuft die Partei vielleicht Gefahr, einen Teil ihrer Basis zu vergraulen. Aber nur vielleicht. Denn die heutigen Funktionäre der Grünen sind zutiefst pragmatisch. Die Jüngeren unter ihnen sind nicht mehr geprägt von den Kämpfen gegen Wackersdorf oder die Startbahn West, sie sind nicht mehr radikal reformerisch. Ihr Emanzipationsbegriff ist eher praktisch.Daneben steht die Linkspartei, die man trotz Schweigespirale nicht aus den Parlamenten drängen konnte. Sie versucht nun eine Position zwischen Regierungsfähigkeit und Bewegungs- und Oppositionspartei zu finden. Programmatisch wendet sie sich zwar dem sozial-ökologischen Umbau zu, muss dafür aber an ihrer Basis noch viel Überzeugungsarbeit leisten.Insgesamt gilt: Die Diskrepanz zwischen dem, was gesellschaftspolitisch dringend geboten wäre, und dem, was uns realpolitisch in den nächsten vier Jahren erwartet, wird immer größer. Mit dieser bitteren Erkenntnis muss sich die gesellschaftliche Linke konfrontieren.Den Sozialdemokraten und den Grünen müsste es gelingen, trotz ihrer Loyalität in einer konservativen Regierung, ein linkes Projekt innerhalb der Partei aufzulegen, das wirkliche politische Alternativen zum Neoliberalismus im Sinne eines sozial-ökologischen Umbaus glaubwürdig aufzeigt. Ob sie dafür die Kraft aufbringen und ob diejenigen Kräfte innerhalb der Parteien, die dafür stehen, überhaupt mehrheitsfähig sind, bleibt dahingestellt. Auch weil noch nicht abzusehen ist, wie viele der Mitglieder, die gerade für ein solches Projekt stehen, in den jeweiligen Koalitionen ihre Felle davonschwimmen sehen, in den jeweiligen Koalitionen sich ins Private zurückziehen und deshalb auch als gesellschaftliche Akteure verloren gehen.Gesellschaftspolitisch bleiben die Krisen, die es zu bearbeiten gäbe, in den neuen Regierungskonstellationen ausgeklammert. Die Eurokrise ist mitnichten erledigt, und die Hoffnung auf eine Antwort, die ein solidarisches Europa wenigstens vorstellbar machen könnte, ist mit dem Berliner Koalitionsvertrag gestorben: Energiewende und Klimakrise, ein Umbau des Sozialstaates, in dem soziale Rechte als solche geltend gemacht werden und nicht als Almosen, eine Emanzipation der Geschlechter, eine Umverteilung der materiellen Güter, ganz zu schweigen von der dringend notwendigen Erneuerung der Demokratie. Man will sich offenbar keine Welt vorstellen, in der ökologische Fragen mit sozialen verbunden werden, wirtschaftliche Produktivität mit sozialer Gerechtigkeit.Auf diese Herausforderungen müssen aber Antworten gefunden werden. Betrachtet man die Grundsatzprogramme von SPD, Grünen und Linken, so sind dort durchaus gute Ansätze vorhanden, an denen sich weiter arbeiten ließe.Unabhängig werdenAußerhalb der Parteien gibt es solche Diskussionen und viele gute, praktische Ansätze. Das Crossover zwischen den verschiedenen politischen Aktivisten einer sozial-ökologischen Transformation, seien sie nun in den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen, der kritischen Wissenschaft, der Kunst oder in den Parteien, hat daher keinesfalls an Relevanz verloren – ganz im Gegenteil. Gescheitert ist aktuell vor allem das Parteienbündnis im Staat im engeren Sinne, auch weil die zivilgesellschaftlichen Kräfte keinen Druck für einen Politikwechsel aufbauen konnten und teilweise eingebunden sind in den Wettbewerbskorporatismus.Eine ohnmächtige Fixierung auf eine parlamentarische rot-rot-grüne Chance ist aber eher hinderlich. Eine progressive gesellschaftliche Linke, die auf soziale Reformen, ökologische Transformation und kulturelle Teilhabe zielt, sollte sich in ihrer politischen Arbeit erst einmal unabhängig machen von der Frage, wie parlamentarische Mehrheiten dafür zu beschaffen sind. Der Dialog darf zwar auch nicht abgebrochen werden, aber im Vordergrund muss der Kampf um eine gesellschaftliche Gegen-Hegemonie stehen, die dann wiederum Wirkung auf Parteien und Parlamente entfaltet.Denn ob es die Chance auf einen Politikwechsel, der auch von den Parlamenten unterstützt wird, überhaupt noch gibt, wird auch davon abhängen, ob die Bewegungen zu einem Austausch und Dialog überhaupt bereit sind und ob die Parteien den Mut aufbringen, in diesen Diskurs einzusteigen und sich zu bewegen. Dabei muss sich keine Seite der anderen ausliefern, aber Vertrauen und die Bereitschaft aus der jeweiligen Logik herauszutreten, ohne die Verwurzelung in der Herkunftsorganisation aufzugeben, sind Voraussetzungen dafür.
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