Wie war das noch? „Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes.“ 1996 verkündete der Online -Aktivist Perry Barlow so die Unabhängigkeit des Cyberspace. „Wo wir uns versammeln, besitzt ihr keine Macht mehr.“ Wie mächtig dieser Cyberspace ist, zeigte der schwarze Mittwoch. Wikipedia schwarz, Google in den USA mit einer Protestseite verrammelt, selbst die Anarchos von 4chan schwärzten die Leserkommentare. „Keep your hands off the Internet!“ Der Stopsopa Standard, die Zeitung zur großen Ausschaltaktion, meldete den größten Online-Protest der Geschichte.
Giganten aus Fleisch und Stahl, das sind in diesem Falle Unterhaltungskonzerne, die in den USA mit dem Stop Onl
mit dem Stop Online Piracy Act (SOPA) und dem Protect IP Act (PIPA) zwei Gesetze auf den Weg gebracht haben, die geeignet sind, der neuen Heimat des Geistes den Geist und den Witz auszutreiben. Im Namen des Urheberrechts sollen Internet-Provider ihre Kunden überwachen und ausspionieren. Sie sollen gezwungen werden, den Zugang zu „rogue sites“ zu sperren, also zu Webseiten, von denen vermutet wird, dass über sie Filme, Musik und Bücher getauscht werden. Die geplanten Sperren beziehen sich auch auf Suchmaschinen wie Google, die bestimmte Treffer nicht mehr anzeigen dürfen. Selbst der kleine Blogger ist betroffen, weil Links auf diese „rohen Seiten“ bereits eine strafbare Handlung darstellen können. Wie weit der Machtanspruch der Konzerne geht, zeigt der Vorschlag, Internet-Provider zu zwingen, auf Ebene der Datenpäckchen zu untersuchen, ob ein Film oder ein Musikstück im Datenstrom übertragen wird. Diese „Deep Packet Inspection“ entspräche einer veritablen Abhöraktion, die einen Schnüffelstaat im Namen der Medienkonzerne genau dort installiert, wo sie keine Macht mehr haben.In Deutschland haben sich nur wenige Seiten dem US-amerikanischen Protest angeschlossen. Aber wer glaubt, dass es sich dabei um eine inneramerikanische Angelegenheit handelt, irrt. Wenn es in den USA niest und das Web schwarz wird, hat das ganze Internet Schnupfen. Die beiden geplanten Gesetze haben einen internationalen Vorläufer namens ACTA, das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“. Dieses wurde zunächst zwischen den USA und Japan ausgehandelt, doch mittlerweile ist die Europäische Union, vertreten durch die EU-Kommission, dabei, diesem „Schutzpaket zur Verwertung geistigen Eigentums“ beizutreten. Sollte ACTA wirksam werden, könnten auch europäische Internet-Provider im Rahmen der sogenannten „Störer-Mithaftung“ für Urheberrechtsverletzungen haftbar gemacht oder verpflichtet werden, den Verkehr der Datenpäckchen zu überwachen.Showdown zwischen alten und neuen MedienWurde ACTA in Deutschland diskutiert? War Google geschwärzt und Wikipedia weg? Nichts dergleichen. Über ACTA hat der gemeine EU-Bürger nichts zu bestimmen, die neue Heimat des Geistes schon gar nicht. Dem Abkommen wurde in einer nichtöffenlichen Sitzung im Fischereiausschuss der Europäischen Union zugestimmt, wohl weil das Internet technisch zu den Schleppnetzen und Fangquoten gehört, mit denen man sich dort sonst befasst.Die alten Giganten fanden die Web-Verdunkelung nicht witzig, die Millionen Amerikaner aufrütteln soll: Eine arrogante Aktion sei das und ein Missbrauch der Marktmacht sondergleichen, beschwerte sich die mächtige Motion Picture Association of America. Doch ihr Einfluss ist am Schwinden. Noch vor den Protest-Abschaltungen von Google und Wikipedia signalisierten einflussreiche US-Politiker, dass bei den beiden umstrittenen Gesetzentwürfen Abstriche möglich sind. Besonders die Iternetssperren müsse man überdenken.Das schnelle Einlenken der Politik zeigt, wieviel Einfluss die Internetbranche mittlerweile in Washington besitzt, obwohl sie noch nicht über einen Lobbyapparat wie die mächtigen Hollywood-Lobbyisten verfügt. Die Ausgestaltung von SOPA und PIPA oder gar die ersatzlose Streichung der Vorhaben wird so zu einem Showdown zwischen der alten und der neuen Wunderbranche. Wie hart der Streit geführt wird, zeigte Rupert Murdoch. Der Inhaber der News Corporation bezeichnete Google als „piracy leader“ und beschuldigte US-Präsident Obama, als Marionette seine Marschorder von den Zahlmeistern des Silicon Valleys erhalten zu haben.Der Machtkampf wird sich zuspitzen, auch im verschlafenen Europa. Man denke nur an das Three-Strikes-Modell, dass Frankreich eingeführt hat. Mit dieser Verordnung sollen Provider verpflichtet werden, den Internet-Zugang eines Kunden komplett zu löschen, wenn dieser dreimal eine Urheberrechtsverletzung begangen hat. Eine Kleinigkeit? In den ersten acht Monaten nach der Einführung des Gesetzes versendete die zuständige neue Aufsichtsbehörde 400.000 Warnhinweise. Den Empfängern droht jetzt die Ausbürgerung aus dem Internet.Haben die müden Giganten gesiegt, können wir immer noch die Wikipedia schwarz schalten. Das gedruckte Buch zur Enzyklopädie gibt es ja, bei Bertelsmann.