Marco Schneider (Name von der Red. geändert) klappt sein Laptop auf und startet eine Fotoserie: Wassertransporter, Bergungs-LKWs und Krankenwagen folgen einer staubigen Straße. Eine rostige Rakete in Großaufnahme. Eingefallene Hütten, ausgedörrte Einöde, beschneite Bergspitzen. Schneider hat die Bilder mit Musik unterlegt: Highway to hell von AC/DC.
Er sitzt im Soldatenheim Haus Adelheide in Delmenhorst bei Bremen, neben ihm seine Frau Nadine (Name von der Red. geändert). Sie kennt diese Fotos, er hat sie ihr damals zugeschickt. Im vergangenen März haben die Schneiders geheiratet. „Andere Leute fliegen in die Flitterwochen“, sagt sie. Marco Schneider flog nach Kabul.
Schneider ist Hauptmann der Bundeswehr, Chef einer Transportkompanie. Vier
ortkompanie. Vier Monate hat der 35-Jährige im vergangenen Jahr als Teil der OMLT die afghanische Nationalarmee ausgebildet. Ihre Einsätze beobachtet. OMLT steht für Operational Mentoring and Liaison Teams. Schneiders Truppe bestand aus etwa 20 Soldaten. Sie trainierten ein Logistik-Bataillon der afghanischen Armee in Versorgung, Instandsetzung, Fernmelde-Technik und – wie in Schneiders Fall – Transport.Fahrunterricht gehörte dazu, Waffenausbildung auch. Schneider nennt das „Zerlegen und Zusammensetzen“. Alles Teil der „Exit-Strategie“, sagt er. Irgendwann sollen afghanische Streitkräfte gemeinsam mit der Polizei allein für die Sicherheit im Land sorgen. Schneider verließ Afghanistan im Juli, wenige Wochen vor dem Luftangriff bei Kunduz.Soldat als BerufIm Soldatenheim Haus Adelheide spricht er über seinen Einsatz. „Nicht-internationaler bewaffneter Konflikt“, will Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr künftig nennen. Schneider sagt es deutlicher: „Wenn ich beschossen werde, ist das für mich Krieg.“Die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die traumatisiert aus Afghanistan zurückkehren, hat sich im Vorjahr fast verdoppelt. 418 Fälle zählte die Bundeswehr 2009. Sie suchen psychologische Betreuung in den Bundeswehrkrankenhäusern oder bei der Militärseelsorge. Nicht Schneider. Ihm geht es gut: Soldat sei nun einmal der Beruf, für den er sich nach seiner Ausbildung als Bankkaufmann entschieden habe. „Ansonsten hätte ich auch bei der Sparkasse bleiben können.“Vor ein paar Jahren machte der Hauptmann mit seiner Frau Urlaub in Ägypten. Afghanistan hatte sich der Berufssoldat ähnlich vorgestellt. Als er dann tatsächlich am Hindukusch ankam, folgte der Kulturschock. „Die Menschen haben nicht mal Holz, um Hütten zu bauen.“ Im Haus Adelheide plätschert ein Raumspringbrunnen. Und wie war die Zeit für Sie, Frau Schneider? „Eigentlich hätte ich diese vier Monate, die mein Mann in Afghanistan war, lieber nicht erlebt. Aber es ist sein Beruf und ich wusste, was auf mich zukam.“Zehn Tage blieb Schneider in Kabul. Dann fuhr er mit seiner gesamten Abteilung nach Kunduz. 16 Stunden dauerte die Fahrt. Sprengfallen bei gleichzeitigem Beschuss – laut Schneider der „worst case“ bei solchen Verlegungen. Dann zeigt er ein neues Foto: Ein Transporter steckt im Schlamm fest. 30 Minuten muss sein Konvoi während einer Operation zur Truppenversorgung in Nawabad warten. „Eine Talibanhochburg“, glaubt Schneider. Die Sonne ging unter, die Sicht war schlecht. Ein Soldat meldete eine Bewegung in der Nähe des Konvois. Treffen, so Schneider, könne es jeden.Kaum lesen und schreibenVier Deutsche Soldaten fielen in der Zeit seines Einsatzes. Einmal hörte er über Funk, wie eine Bombe ein Transportfahrzeug der Bundeswehr traf und fünf Insassen schwer verletzte. Wie hat er das ausgehalten? Er musste sich auf seinen Auftrag konzentieren. „In meinem Kopf hatte sich ein Schalter umgelegt.“Jeden Tag fuhr er mit den anderen Ausbildern in die Kaserne der Afghanen. „In Deutschland würden wir vergleichbare Umstände Flüchtlingslager nennen“, sagt er. In Kabul gab es noch Ausbildungsräume, in Kunduz nur Zelte. Auf dem Laptop erscheint ein Foto mit einigen afghanischen Soldaten. Sie sitzen unter einer schmutzigen Plane auf dem Boden. Vor ihnen hängt eine weiße Tafel. Die wenigsten können lesen und schreiben.Das Verhältnis zu seinem afghanischen Kollegen, einem 45-Jährigen Offizier, mit dem er die gesamte Transportausbildung managt, empfindet Schneider als freundschaftlich, aber kompliziert. „Planen ist in Afghanistan ein Fremdwort“, meint er im Rückblick. Auf dem Bildschirm erscheint ein neues Foto, alte Gewehre liegen in einer Ecke. Die Motivation der afghanischen Soldaten sei gesunken. Einer fuhr 60 Tage zu seiner Familie, um eine Hochzeit zu feiern. Ohne sich abzumelden.Schneider bereitete sich in Deutschland bei militärischen Schulungen auf seinen Einsatz vor. Befasste sich mit der afghanischen Kultur und den üblichen Umgangsformen. Lernte einige Worte Dari, eine der Landessprachen. Trotzdem sollte er mit diesem Wissen oft nicht weit kommen. Wieder ein Foto, diesmal von einer Ausbildungsübung: Soldaten der Nationalarmee steuern LKWs durch die Wüste. Kurze Zeit später sitzen sie gedrängt auf dem Dach des Führerhäuschens. „Ich habe ihnen so oft erklärt, wie gefährlich das ist.“Seine Frau hat in den vier Monaten seiner Abwesenheit beruflich viel zu tun. So bleibt kaum Zeit, sich den ganzen Tag Sorgen zu machen. Die Schneiders telefonieren, so oft es geht, schreiben Briefe und E-Mails. Während eines Telefonats hört Nadine plötzlich nur noch Lärm. Eine Rakete ist direkt neben Schneiders Unterkunft im Feldlager eingeschlagen. Er muss das Gespräch sofort beenden und rennt in den Bunker. Sie weiß stundenlang nicht, was im Camp und mit ihrem Mann passiert ist. „Solche Momente waren Tiefpunkte.“Irgendwann fängt Marco Schneider damit an, die Tage bis zu seinem Rückflug und der Heimkehr nach Deutschland zu zählen. Die ständige Bedrohung, das Leben auf engstem Raum, immer die gleichen Gesichter – alles nimmt ihn mit. Zuhause kann er sich um so schneller wieder einleben. „In meinem Kopf hat sich einfach erneut dieser Schalter umgelegt.“ Nur schreckhafter sei er geworden.