Am Rand aller Gesichter, die in Anomalisa auftauchen, verläuft eine Linie, die man zunächst für einen Schatten halten mag, die sich aber schnell als konstant, als den Gesichtern zugehörig herausstellt. Genauer gesagt: Sie beschreibt einen Kreis um die Gesichter, der unter dem Kinn verläuft, dann an beiden Gesichtsseiten knapp am Ohr vorbei nach oben, bis er sich am Haaransatz schließt. Die Linie trennt den Körper vom Gesicht, jenem Teil, der den Menschen zum sozialen Wesen macht, weil es Kommunikation ermöglicht und auf eine kommunizierbare Innerlichkeit verweist. Wenn man dem Menschen die Möglichkeit zum Ausdruck (im doppelten Sinn) nimmt, bleibt sein Inneres, sein psychisches Erleben, von der Außenwelt isoliert.
Die dann ihrerseits nicht m
ihrerseits nicht mehr Welt ist, sondern nur noch beliebiges Dekor, durch das sich gleichermaßen beliebige Menschendarsteller bewegen. Kurzum: Die Welt erscheint einem wie etwas Gemachtes, wie eine Animation. Folgerichtig ist Anomalisa genau das: ein Animationsfilm. Genauer gesagt: ein Stop-Motion-Animationsfilm. Also ein Film, der aus einer langen Serie fotografischer Aufnahmen von Puppenfiguren besteht, die in einer plastischen Kulissenwelt in illusionäre Bewegung versetzt werden. Die Gesichter der Anomalisa-Puppen wurden mithilfe eines 3-D-Druckers hergestellt und wirken zunächst erstaunlich lebensnah. Gleichzeitig allerdings unterstreicht diese Nähe zum real thing erst recht die unüberbrückbare Distanz, die live action von animation, die die vom Regieduo Charlie Kaufman und Duke Johnson konstruierten Puppen von Menschen aus Fleisch und Blut trennt.Folgerichtig: Das ist alles an diesem Film. Dass die innerlich versteinerte Hauptfigur auf den Namen Michael Stone hört zum Beispiel. Das Hotel, in dem der Großteil der Handlung spielt, heißt Fregoli, nach dem Fregoli-Syndrom der Psychopathologie. Wer am Fregoli-Syndrom leidet, glaubt, dass die Welt nicht von vielen unterschiedlichen Menschen, sondern nur von einem einzigen Wesen bewohnt wird, das in verschiedenen Maskierungen auftritt.Billig erkaufte MelancholieDass sich also in der Tat und für gewöhnlich unsichtbar um alle Gesichter jene Linien ziehen, die Kaufman und Johnson ihren Puppen aufgemalt haben. Und er glaubt außerdem, dass alle Menschen im Geheimen mit derselben Stimme sprechen – im Fall von Anomalisa tun sie das tatsächlich, und zwar sprechen sie mit dem herausragend monotonen Organ von Tom Noonan (dessen Rollenbezeichnung: Everyone Else). Noch ein wenig folgerichtiger wird die Sache dadurch, dass Kaufman das Bühnenstück, auf dem Anomalisa basiert, unter dem Pseudonym Fregoli verfasst hat.So greift ein Rädchen ins andere: Die Psychopathologie des Protagonisten setzt sich nicht nur in der filmischen Ästhetik, sondern auch in der Namensgebung fort; und fällt sogar mit der Autorenposition in eins. Tatsächlich begann der Film mit einer Kickstarter-Kampagne, die potenziellen Financiers eine maximal kompromisslose Autorenvision versprach. Das Ergebnis ist filigran gearbeitet und als intellektueller Entwurf, in dem Kaufman sein zentrales auteuristisches Thema, die (maskuline) Identitätskrise unter den Bedingungen der Postmoderne, einem, tja, folgerichtigen Schlusspunkt zuführt, nicht ohne Reiz; und allerdings gleichzeitig (und je länger Anomalisa dauert: vor allem) ziemlich hermetisch und mechanistisch. Schuld daran ist nicht zuletzt die Ton-in-Ton-Kolorierung, die eine doch eher billig erkaufte Melancholie in den Film einträgt. Traurig aussehende Welt ist traurig.Besonders fragwürdig ist Anomalisa gerade dann, wenn Kaufman den Versuch unternimmt, sein psychotisches Privatuniversum doch wieder mit der großen weiten Welt da draußen in Verbindung zu setzen. Das beginnt bei dem Beruf, den Michael Stone ausübt: Kundenberater ist er, sogar ein Kundenberater-Guru, der außerdem Self-Help-Bestsellerliteratur für die Selbstoptimierer des Neoliberalismus schreibt. Und es endet damit, dass derselbe Stone in einer Rede vor Kollegen aus heiterem Himmel zu schimpfen beginnt; über den Präsidenten, der ein Kriegsverbrecher ist, und über den Patriotismustaumel der amerikanischen Öffentlichkeit. Ausgestellt zusammenhanglos steht dieser linkswutbürgerliche rant im Film herum.Gerade dieser hilflose Ausbruchsversuch aus dem Selbstgefängnis macht klar, wie weit Kaufmans Film von jenen Science-Fiction-Klassikern entfernt ist, die ihm offensichtlich als Vorbilder dienen. Wo sich in Philip K. Dicks Time Out of Joint oder Rainer Werner Fassbinders Welt am Draht die Totalparanoia noch auf eine gesellschaftliche Totalität (und mögliche individuelle Handlungsoption darin) bezieht, verkommt sie bei Kaufman zum Attribut einer weinerlichen, zivilisationsmüden Männlichkeit, die sich danach sehnt, vom warmen Klang der Stimme Jennifer Jason Leighs erlöst zu werden.Denn diese Stimme erst setzt die Geschichte, die Anomalisa erzählt, in Gang. Der beruflich erfolgreiche, aber privat frustrierte Michael Stone vernimmt sie während einer Geschäftsreise, und angesichts der kleinen, femininen Differenz im graugrün-maskulinen Alltag schmilzt sein Herz. Es folgt ein One-Night-Stand, in dem ein einsamer Mann und eine selbstunsichere Frau einander Halt schenken. Der Film lässt sich viel Zeit mit der Verführung und dem Sex, und wenn es einem gelingt, den Fregoli-Selbstentfremdungs-Überbau auszublenden, ist das tatsächlich eine ziemlich rührende Szene. Weil Anomalisa dann plötzlich nur noch ein Film ist, der sich erstaunlich viel Mühe damit gibt, zu zeigen, wie zwei Silikonpuppen miteinander schlafen.Placeholder infobox-1