Soviel steht schon fest, die magische Zahl von 272 Sitzen und damit eine absolute Mehrheit im Unterhaus wird der Kongresspartei, aber auch der hindu-nationalistischen Bharatiya-Janata-Partei (BJP) verwehrt bleiben. Nun beginnt ein knallharter Machtpoker. Das Ergebnis könnte zum ersten Mal auch eine Dritte Front ganz ohne die beiden Großen sein. Ein Lieblingsprojekt der durch die KP (CPM) geführten Linken Front (LF). Sie könnte diesmal einen starken Partner gewinnen: die Bahujan Samaj Party (BSP) der feurigen Dalit-Führerin Mayawati Kumari, Chiefministerin des bevölkerungsreichsten Staates Uttar Pradesh (UP). Die hatte Kandidaten in allen 28 Staaten aufgestellt und könnte auf zehn bis zwölf Prozent aller Stimmen gekommen sein. Ihr Preis in jeder Koali
Preis in jeder Koalition ist der Thron. Ob ihr Ergebnis ausreicht, den zu besteigen, ist eine der spannendsten Fragen der nächsten Tage.Mehr zum Thema:Mayawati hat Appetit auf WölfeKongress und BJP hatten mit dem bisherigen Premier Manmohan Singh (76) und dem Oppositionführer Lal Krishna Advani (81) zwei Veteranen für das höchste Regierungsamt aufgestellt, deren fortgeschrittenes Alter sie kaum als ideale Regenten eines so junges Landes im Aufbruch empfiehlt – die Hälfte aller Inder ist heute jünger als 24. Doch glänzend projektierte Nachfolger warten bereits auf ihren Einsatz. Narendra Modi, BJP-Chiefminister von Gujarat, den viele wegen seiner zweifelhaften Rolle während der anti-muslimischen Gewaltakte von 2002 als indischen Hitler, andere als einen der fähigsten Politiker sehen – und Rahul Gandhi, Sohn der mächtigen Kongress-Präsidentin und Kronprinz der Dynastie.Für viele Inder gilt es noch immer als Privileg der Gandhi-Familie, Indien zu regieren. Und die versteht es, das Volkssentiment zu schüren. Rahul – ganz das Abbild seines Vaters Rajiv – wird zum Erlöser der Armen gestylt. Wenn er eine Wahlrede unterbricht, um einem alten Weiblein, das im richtigen Moment kollabiert, seine Trinkwasserflasche zu reichen. Oder wenn er in Amethi in Uttar-Pradesh im Erbwahlkreis seiner Familie (der komischerweise trotz so prominentr Schirmherren zum Teil noch nicht ans Elektrizitätssystem angeschlossen ist) mit armen Bauern der niedersten Kaste Chapatis teilt, dann kann kein Politiker mit ihm konkurrieren, nicht einmal Mayawati. Die Unterstützung seiner Schwester Prianka tut ein Übriges: während sie lächelnd im Sari ihrer Großmutter Indira Gandhi mitten in Amethi sitzt, pressen sich eine halbe Million Menschen durch die engen Dorfgässchen, um einen Blick auf sie zu erhaschen.Große Teile der Bevölkerung wählen “ihre” Partei wegen der Familientradition, Clan-, Religions- oder Kastenzugehörigkeit. Es interessiert nicht besonders, welche Politik “ihre” Partei im Einzelnen vertritt. Deshalb wird darüber auch so wenig bei indischen Wahlveranstaltungen gesprochen. Das ermöglicht eine erstaunliche politische wie ideologische Flexibilität, mit der so viele Parteien in nonchalant von einer Allianz in die nächste gleiten, wenn die Wahlarithmetik es nahelegt. Nehrus Politik der Prinzipien ist seit langem Geschichte. Insbesondere die Parteien, die ihre Wählerschaft auf der Basis eines teilweise hysterischen Religions-, Kasten- oder Clan-Kommunalismus sammeln – wie BJP, BSP und sogar die Kommunisten der CPM –, zögern nicht, ihre Schäfchen später auf dem großen Koalitionsbasar meistbietend zu verhökern.Wieder mit der Linksfront Die Linke Front und besonders die sie dominierende CPM sind Musterbeispiele. Die drei professionellen Politwissenschaftler im Politbüro der CPM haben keine Massenbasis, sie wurden nie gewählt. Sie sitzen ohne die kommunistischen Realos, die in Kerala und Westbengalen regieren, politisch auf dem Trocknen. So müssen ertragen, wenn das Image der Partei durch skrupellose Korruption beschmutzt wird, wie das in Kerala geschehen ist. Aber die KP-Führer in den Provinzen sind unantastbar, sie halten den Schlüssel zum immensen Reichtum der Partei in der Hand. Die kleine CPM ist mit Abstand die reichste Partei Indiens.Während die Linksfront in Kerala und Westbengalen seit Jahrzehnten einen existentiellen politischen Kampf gegen die Kongresspartei führt, hat sich ihr das Politbüro 2005 in Delhi als Juniorpartner empfohlen, was kompromittierende Positionen heraufbeschwor. Inzwischen hätte der große Dissens über das Nuklearabkommen mit den USA die Regierung im Juli 2008 beinahe straucheln lassen. Doch längst rudert die LF zurück, und der Kongress hat ihr längst verziehen.Es kann jetzt nach den Wahlen eine Frage von Tagen sein, dass sich die Unvereinbaren wieder gemütlich in Delhi zusammen kuscheln. Und ist der Kongress zu schwach, seinen eigenen Premier zu installieren, doch stark genug, die bedrohlich starke Mayawati zu verhindern, dann könnte das Los vielleicht wieder auf einen Kandidaten von der Statur Deve Goudas fallen. Das ist der Mann, von dessen kurzer Amtszeit im Jahre 1996 nicht viel mehr in Erinnerung geblieben ist als eine eindrucksvolle Sammlung von Pressefotos, die ihn fröhlich schnarchend auf dem Roten Sessel im Parlament zeigen.