“ Ein Glück nur, dass Merkel kein Mann ist. Wer weiß, was Tsipras sonst angerichtet hätte mit seinem Colt im Kanzleramt.Um noch kurz auf Boulevard-Niveau zu bleiben: Natürlich sind die Bösen nichts ohne die Guten. Die FAS schreibt weiter: „An der Spitze der (europäischen) Institutionen stehen Politiker, die ihr Leben lang gelernt haben, wie man Kompromisse schmiedet. Es sind keine Revolverhelden, keine Einzelgänger. (…) Anzug, Krawatte, Manschettenknöpfe. Brüssel ist nicht der Wilde Westen. Und so findet das Duell einfach nicht statt. Man verabredet sich, die Griechen fuchteln wie wild mit ihren Schießeisen. Aber dann wird doch nur geredet.“Da hat jemand in verbal besonders entfesselter Weise die Erzählung auf den Punkt gebracht, hinter der große Teile von Politik und Medien in Deutschland den Kern des Konflikts zwischen Athen und Brüssel/Berlin verschwinden lassen. Dieser Kern liegt in der schlichten Tatsache, dass zum ersten Mal am Tisch der EU-Regierungen eine Stimme laut wird, die sich der erkennbar gescheiterten Austeritätspolitik offen widersetzt. Und genau das will unser politisch-mediales Establishment nicht hören.Sicher hat die Syriza-Regierung auch ihrerseits taktische Fehler begangen, zumal auf den medial so beliebten Feld der Rhetorik und der „Performance“. Aber es darf daran erinnert werden, dass Syriza seit gerade zwei Monaten und erstmals in ihrer Geschichte regiert. In Deutschland wären noch nicht einmal die Koalitionsverhandlungen beendet, aber praktisch niemandem stößt es auf, wenn Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer tönt, jetzt müssten mal „die Sprüche aufhören und die Taten beginnen“.Merkels Sprachverstärker in Politik und Medien haben sich in das alte Muster geflüchtet, eine politische Auseinandersetzung auf das Feld persönlicher oder geradezu rassistischer Herabsetzung der anderen Seite („Pleite-Griechen“) zu verlagern. Und sich selbst entsprechend zu erhöhen: Der Satz von den „Sprüchen“, die aufhören und durch „Taten“ ersetzt werden sollen, klingt verdächtig nach dem, was auch über deutsche Politiker im Netz häufig zu lesen ist. Was wäre es da für ein schöner Kollateralnutzen, Misstrauen und Aversion gegen den Politikbetrieb auf „die Griechen“ umleiten zu können!Dass Merkel sich solch populistischer Plumpheit enthält, steht zur aggressiven PR-Strategie ihrer Leute keineswegs im Widerspruch. In den entscheidenden Fragen der Krisenbekämpfung hat sie, soweit erkennbar, keinen Millimeter nachgegeben. Dem Rollenbild der Kanzlerin im Spiel der übermächtigen Austeritätsfraktion entspricht nicht das plumpe Poltern. Sie wird am Ende wieder dastehen als diejenige, die – erhaben über den Alltagsstreit des Politikbetriebs – alle an einen Tisch und zur Vernunft gebracht hat. Was aber wird Athen erreicht haben, wenn es so weit ist? Angesichts der Vasallentreue in Paris, Rom oder Madrid; angesichts des Opportunismus der Sozialdemokratie und angesichts der ökonomischen Machtverhältnisse kann die Prognose nicht sehr positiv ausfallen.Schon heißt es ja, die Tsipras-Regierung sei bereit, das Rentenalter anzuheben (bei mehr als 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit wahrlich eine bestechende Logik). Schon heißt es, beim Privatisieren von Flughäfen sei ein Nachgeben Athens programmiert – die Frankfurter Flughafenbetreiberin Fraport reibt sich hörbar die Hände. Schon ist zu lesen, die Mehrwertsteuer-Ermäßigung auf den griechsichen Inseln stehe zur Disposition – was eben nicht nur Touristen träfe, sondern auch die dort lebenden Menschen, und zwar überproportional die ärmeren. Und nichts ist mehr zu lesen von dem Schuldenschnitt, ohne den jedes neue „Hilfs“-Programm nur neue Lasten und Abhängigkeiten schafft.Möglich, dass Syriza an einigen Stellen alternative Ansätze durchsetzt, etwa bei der Steuereintreibung (das stört in Europa niemanden, solange es nur Griechen trifft) oder etwa bei der Begrenzung ausländischer Investitionen in die Flughäfen auf 49 Prozent. Aber in der großen Frage, ob Europa eine solidarische Alternative zulässt zum ökonomisch und sozial verheerenden Modell Merkel, gibt es kaum Grund zur Hoffnung.Es wäre schon viel, wenn Tsipras als der europäische Regierungschef in die Geschichte einginge, der ein paar Breschen geschlagen, ein paar mildernde Mechanismen eingebaut hat in die marktkonforme Politik der Europäischen Union. Und es wäre fast schon überraschend, wenn der linke Regierungschef nicht bald wieder weggefegt würde von der Enttäuschung seiner Wählerinnen und Wähler. Unsere Kanzlerin würde dann auch in Athen wieder über eine Regierung verfügen, die ihr ganz ohne Wider-„Sprüche“ gehorcht.Placeholder link-1
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