Die Dichtung der Irakerin Amal Al-Jubouri prangt in orientalischer Bilderfülle und wirkt zugleich universell und wie geradewegs der Moderne entsprungen, wenn von Nacht und Schlaf, Meer, Zeit und Wind die Rede ist und von Spielarten des Todes. Mit poetischen Rebellen wie dem Syrer Adonis hat Amal Al-Jubouri das bewusste spannungsreiche Verbinden morgen- und abendländischer Kulturtraditionen gemeinsam. Die Intentionen der 1967 in Bagdad geborenen Poetin laufen aber kaum auf den Entwurf einer Universalpoesie hinaus.
Obwohl als Übersetzerin von Hans Magnus Enzensberger, als Organisatorin einer Konferenz für arabische und deutsche Dichtung und als Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift Diwan mit literarischem Austausch zwischen Orient und Okzident befasst, geht sie
befasst, geht sie in der Poesie eigene, neue Wege. Insbesondere den Dichterinnen eröffnet Amal Al-Jubouri neue Möglichkeiten mit spezifisch weiblichen Varianten von Stilfiguren und Metaphern, die scheinbar Paradoxes zusammenführen.Als 19-Jährige veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband Der Wein der Wunden (Bagdad 1986). Der Titel des zweiten, in Jordanien erschienenen Buches verhieß schon ein Programm: Befreit mich, ihr Worte (Zürich 1994). Der in der Friedenauer Presse gedruckte erste Gedichtband mit deutschen Übertragungen enthält eine Auswahl aus dem dritten Buch: Enheduanna, die Priesterin der Verbannung (London, 1999) und dem vierten Lyrikband Schleier (London 2003). Von manchen liegen andere deutsche Übersetzungen in den Zeitschriften Akzente und Sprache im technischen Zeitalter vor.Überbordend von Metaphern, bildhaften Vergleichen, Allegorien, beschwörenden Wiederholungen und direkter Anrede in der Tradition des Mündlichen, spricht die Dichterin bewusst als Weib mit weiblichen Begriffen des Körperlichen, des Sinnlichen, Erotischen und in weiblicher Bildlichkeit mit der Schwangerschaft als zentralem Ereignis. Den mehr als 70 arabischen Synonymen für Liebe, den zahlreichen sprachlichen Darstellungen des Eros - nicht nur im Ghasel - fügt Al-Jubouri ein emanzipiertes Fragen, Widersprechen, Umwerten und Deuten von geschlechterspezifischem Rollenverhalten hinzu. Das betrifft nicht nur die Liebesgedichte, sondern auch - und das ist das Besondere - viele Themenbereiche, allen voran die Dichtung, das Schreiben und die Sprache. Die Visionen der Irakerin von der Sprache als einem befreienden, lebendigen und identitätsstiftenden Ort treffen auf die Utopielosigkeit der deutschen Verhältnisse, was allemal Reibung erzeugt. Al-Jabouri sucht "auf dem weißen Papier/nach einer Sprache, einem Volksstamm,/der die Ehre segnet - ohne Schwert". In ihren Augen befreit das dichterische Wort von Entfremdung, Leid und sogar Tod.Das Thema der befreienden Wirkung des Wortes hat Amal Al-Jubouri mit anderen arabischen Dichterinnen gemein. Ihr Verhältnis zum Wort scheint dennoch widersprüchlich. Wo Amal Djarah (geboren 1943 in Damaskus, gestorben 2004) durch das poetische Wort das Grab überwindet, sagt Al Jubouri: "Mein Gedichtband ist ein Friedhof, / die Gedichte Gräber in verschiedenen Körpern ..." (Der Schleier Innanas). Das kann man als Ausdruck von Hoffnung in enger Beziehung zum Motiv der Wiedergeburt verstehen, aber auch als Symptom der tiefen Niedergeschlagenheit eines an repressiven Verhältnissen und Kriegen verzweifelnden Ich. Dafür sprechen auch Metaphern, in denen Worte zu "Handschellen" und zum "Gefängnis" mutieren. Das Ich erlebt sich im Heimatland als Fremde, als Unbehauste im Ausland, als schließlich dem eigenen Körper Entfremdete und als eine vom Geliebten oder auch von Gott Getrennte. Aus den Paradoxa zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit spricht die Situation der Exilantin.Ins Exil gingen fast alle namhaften arabischen Dichterinnen. Lamea Abbas Amara aus Bagdad in die USA, Zabia Khamis aus den Arabischen Emiraten nach England, Maram Al-Masri aus Syrien nach Frankreich. Amal Al- Jabouri kam über Jordanien nach München und Berlin "Ich schleppe meine Niederlagen in das Keuchen der Sprache" so beschreibt sie im Titelgedicht in der deutschen Übersetzung von Claudia Ott exemplarisch die Befindlichkeit der Poetin im Exil. In Diaspora artikuliert sie Verletzungen, die aus dem Fehlen der Freunde erwachsen und aus Lüge, Intrige und Vorwurf, mit denen sie sich konfrontiert sieht. Anders als bei der in Nablus in der Nähe von Jerusalem geborenen Fadwa Toukan (1917 - 2003), für die das Schreiben eine Befreiung aus der Enge alter arabischer Familientraditionen bedeutete, die den Frauen nur den häuslichen Raum zuweist, anders auch als bei Sania Saleh, die das Frausein problematisiert oder bei der gegen eine konservativ-patriarchalische Gesellschaft rebellierende Zabia Khamis, spricht Amal Al-Jabouri dem Wort einen geradezu magischen Zauber zu. Das sprechende Ich versteht sich als "Priesterin des Wortes" und als Prophetin, deren Gesichte die "Wiederkehr der Sintflut" ("Schleier der Wiederkehr") verkünden.Das Besondere an den jüngeren Gedichten ist einerseits der zeitliche Rückgriff auf eine vorislamische Kultur und andererseits das In-Eins-Fügen scheinbar disparater Bereiche: Mythos, Kult, Realität und Geschichte. Dabei halten Widersprüche Struktur bildend Spannungen, was manchmal das einzelne Gedicht bis an die Grenze des Zerreißens trägt. Al-Jubouri verbindet Elemente des sumerischen Kults aus der Zeit circa 2400 vor Christus in Mesopotamien, jenem legendären Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, mit gegenwärtigen Befindlichkeit der orientalischen Exilantin im europäischen Exil und ihre Auseinandersetzung mit religiösen und literarischen Traditionen des Okzidents. Als formale Bindemittel wirken die Hymne und die Klage. Die Klagelieder Enheduannas, der ersten Dichterin der Welt überhaupt, die als Priesterin des Mondgottes Nanna in den mesopotanischen Stadtstaaten Ur und Uruk wirkte und dann durch politische Unruhen ins Exil getrieben wurde, sind zweifellos - wenn auch nicht ausschließlich - stilbildend für die Gedichte Al-Jabouris, die teilweise in die Rolle Enheduannas als Verkünderin eines göttlichen Wortes und als große Klägerin schlüpft. "Ich bin die Priesterin des unermesslichen Schmerzes" heißt es in dem Gedicht Enheduanna und Goethe, wo die Dichterin als Exilantin, göttliche Geliebte und "Herrin der Klage" spricht.Bei der Irakerin ist viel von Seele die Rede, die sich in Anrufungen übt. Gerade die hymnische Anrufung aber hat Al-Jabouri auch in der deutschen Literaturtradition gefunden, so bei Goethe, der sowohl im West-Östlichen Diwan als auch im Faust die Kraft des Weiblichen beschwor. So heißt es in Faust II: "Höchste Herrscherin der Welt !/ Laß mich im blauen, / ausgespannten Himmelszelt / dein Geheimnis schauen!" Dieses Goethe-Zitat veranlasst Al-Jubouri, sich mit den kulturellen Vorurteilen des Ostens über den Westen auseinander zu setzen, speziell mit der patriarchalisch geprägten Sicht auf die Frauen. "Du hast mich in eine Herde blinder Scheherazaden verwandelt / und hast wild auf meinem Leib getanzt" lautet ihr Vorwurf.Der Gegensatz, den Al-Jubouri im Gedicht benennt, erwächst weniger aus unterschiedlichen Kulturtraditionen und Religionen, sondern vor allem aus den Traditionen männlichen und weiblichen Rollenverhaltens. Der Widerspruch zwischen Orient und Okzident tritt angesichts des Gegensatzes von denkendem Welt-Mann und körperbetonter Haus-Frau in den Hintergrund und schrumpft fast gegen Null. "Wir beide sind verschieden. / Du dachtest nach, sprachst deine Verse. / Ich gebar das Gedicht, war schwanger mit Ideen" spricht das Ich des Gedichts in der Tradition mündlicher Rede im Dialog mit Goethe. Das Benennen des Widerparts von Mann und Frau rückt Al-Jubouri mehr in die Nähe einer Sarah Kirsch ( "Seßhaft, eine Eizelle / blieb ich zurück") als in die Nähe des Dichterfürsten. Al-Jubouri entwirft eine spezifische körperbetonte Frauensprache, die sich von intellektuellen männlichen Kopfgeburten unterscheidet. Zudem wird das männliche Prinzip des körperfernen Intellekts als feindlich und kriegerisch empfunden.Dem Sendungsbewusstsein entsprechend durchzieht ein pathetischer Ton die Verse vom titelgebenden Vers So viel Euphrat zwischen uns bis zum Schleier-Zyklus. Obwohl nach der zur Neige gehenden Postmoderne das Pathos auch in der jüngeren europäischen Lyrik gerade wieder neu entdeckt wird, wirkt die geballte Ladung Emphase der Amal Al-Jubouri doch verblüffend auf den Leser, der eher unterkühlte Sachlichkeit und konkrete Dinglichkeit gewohnt ist. Gänzlich unerträglich wirkt im Deutschen die Metapher vom "Hammer der Poesie" im Gedicht "Diaspora": "Wie viele Intrigen schon hab ich mit dem Hammer / der Poesie zerschlagen?" lautet die von Klaus Thalhammer und Karl Neuwirth besorgte Übertragung. Selbst wenn dieser "Hammer" im Arabischen eine ganz andere Tradition als im Deutschen hat, erinnert uns der Begriff fatal an Theorien von der Kunst als Waffe.Der getragene Ton im Zusammenhang mit variierten Wiederholungen, Beschwörungen und Litaneien ermüdete den Leser, wäre da nicht der ausgesprochene Sprachwitz der Autorin, die traditionelle Sachverhalte und Werte in ungewöhnlichen Sprachbildern ad absurdum führt, so mit dem Motiv der Vertreibung aus dem Paradies und der Rolle des Mannes in der Verkörperung Adams. Hier gelingen ihr kurze, nüchterne und pointiert witzige Verse, wie überhaupt der gesamte Schleier-Zyklus eine neue Qualität aufweist: pointierte Metaphern stehen für paradoxe Augenblicke eines Welt-Moments. Bedenkt man, dass bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein arabische Lyrik fast ausschließlich von Männern verfasst und die wenigen weiblichen Ausnahmen durch sie kontrolliert wurden, sind die Leistungen der Irakerin erstaunlich.Amal Al-Jubouri: So viel Euphrat zwischen uns. Gedichte. Aus dem Arabischen von Claudia Ott, Klaus Thalhammer, Karl Neuwirth und Enzo Wenzel. Ausgewählt von Joachim Sartorius. Friedenauer Presse, Berlin 2004, 29 S., 9,50 EUR
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