Es wird offenbar, dass die Gender Mainstreaming-Politik der EU einen blinden Fleck hat. Sie reduziert den Gender-Begriff noch immer auf das heterosexuelle Mann-Frau-Schema. Damit öffnet sie der Marginalisierung anderer sexueller Orientierungen Tür und Tor. In älteren Demokratien mögen gegen diese Mechanismen juristische Regulierungen funktionieren. In den jüngeren europäischen Demokratien hingegen, die im Umgang mit Pluralismus kaum geübt sind, werden Minderheiten nicht nur benachteiligt, weil die Gesellschaften für die Menschenrechte, die auch Geschlechterdifferenzen umfassen, noch nicht ausreichend sensibilisiert sind. Sie werden vielmehr ohne hinreichenden juristischen Schutz zur politischen Manövriermasse in unterschiedlichen Konflikt- und K
d Krisensituationen. Ganz eklatant geschah dies in Polen kurz vor dem EU-Beitrittsreferendum 2003, als die postsozialistische Regierung sich um die Unterstützung der katholischen Kirche beim Werben für das Ja der Bauern zum EU-Beitritt bemühte. Die Kirche knüpfte ihre Europafreundlichkeit an zwei Grundbedingungen: das Abtreibungsgesetz sollte nicht liberalisiert und das Gleichstellungsgesetz für Männer und Frauen im polnischen Parlament nicht verabschiedet werden. Die Regierung schlug ein, das Referendum war erfolgreich. Für die Kirche war es jedoch nur ein Teilerfolg, denn nach dem EU-Beitritt war Polen in Frauenfragen nicht mehr autonom, die EU-Richtlinien zu Geschlechtergleichheit waren bindend und mussten umgesetzt werden.Nicht profitieren von dieser Gleichstellung konnten in Polen allerdings die Homosexuellen. Sie gehören zu jenen Minderheiten, die - auch im Westen - traditionellerweise umstritten und deswegen leicht angreifbar sind. Dies erfahren Homosexuelle in Polen nach dem Wahlsieg der Kaczynski-Brüder in zunehmendem Maße. Schon vor den Wahlen gab es die ersten Anzeichen der Intoleranz. Der "Marsch der Gleichheit", der als ein Marsch für Gleichheit aller benachteiligten Minderheiten, nicht nur der Homosexuellen, deklariert war, wurde in Poznan von gewalttätigen Gegendemonstranten verhindert. Diese Täter wurden strafrechtlich nicht verfolgt. Der damalige Stadtpräsident von Warschau, der heutige Staatspräsident Lech Kaczynski, ließ einen solchen Marsch in Warschau verbieten, genehmigte aber ohne Bedenken einen "Marsch der Normalität" der ultrarechten Allpolnischen Jugend mit eindeutig homophober Stoßrichtung. Und erst in der letzten Woche brachte der Abgeordnete des Sejm Wojciech Wierzejski Homosexuelle allgemein mit internationalen Pädophilen-Netzwerken in Verbindung und forderte eine staatsanwaltschaftliche Kontrolle aller Homosexuellen-Organisationen in Polen.Die Homosexualität wird offen als Abweichung, als "Devianz" benannt, wie es vor kurzem ein Professor der Universität Poznan getan hat. Er protestierte gegen die Ausstellung Sollen sie uns doch sehen, die im Rahmen eines Projekts des Deutsch-Polnischen Jahres im Collegium Polonicum in Slubice, einer deutsch-polnischen Gemeinschaftseinrichtung der Europa Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und der Adam Mickiewicz Universität Poznan, organisiert wurde. Sie besteht aus rund 20 Photos, auf denen winterlich bekleidete, gleichgeschlechtliche Paare zu sehen ist, die sich an den Händen halten. Diesen Fotos, die die Künstlerin Katarzyna Bregula für die Kampagne gegen die Homophobie in Polen angefertigt hat, kann man nicht eindeutig entnehmen, ob diese Menschen Geschwister, Freunde oder Homosexuelle sind, auch ihre nationale Zugehörigkeit ist nicht erkennbar. Die negative Reaktion auf diese Bilder sagt mehr über die Betrachter und ihre Phantasie als über die Menschen, die dort mit freundschaftlicher Geste dargestellt sind. Die Brisanz der Bilder liegt genau in der Banalität des Dargestellten. Dass der besagte Professor keine wissenschaftliche Auseinandersetzung zur Homosexualität im akademischen Raum dulden wollte, sondern von der Uni-Leitung ein sofortiges Verbot der Ausstellung forderte, zeugt jedenfalls von einem ungebrochenen Autoritarismus. Glücklicherweise fügte sich das deutsch-polnische Leitungsgremiums des Collegium Polonicum nicht seinen Wünschen. Die Ausstellung bleibt an ihrem Ort wie vorgesehen bis Ende Juni. Auch der im letzten Jahr verbotene CSD in Warschau kann nach einer europäischen Solidaritätsaktion nun doch am kommenden Samstag stattfinden. Für die EU bleibt es aber eine große Herausforderung, die in Brüssel und Straßburg deklarierten unteilbaren Menschenrechte auch in den neuen Mitgliedsländern dauerhaft zu schützen - auch die der Homosexuellen.