Was, oder besser, wer ist das? Sie (seltener er) ist zwischen 30 und 40 Jahre alt, zumeist alleinlebend oder mit Kind, überdurchschnittlich qualifiziert, frauenpolitisch interessiert, sie verfügt über ein angemessenes Einkommen und lebt überwiegend in den neuen Bundesländern ... - Das ist die typische "weibblick"-Leserin.
Nun könnte die nächste Frage lauten: Wer oder was ist "weibblick"? Das aber ist eine längere Geschichte, die ihren Ursprung im Jahr 1991 hat. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte die taz eine Anzeige des Unabhängigen Frauenverbands (UFV). Gesucht wurde eine Frau für die Herstellung eines Rundbriefes. Das klingt nicht gerade spektakulär, doch für Annette Maennel, die damals im Mütterjahr war, verlockend ge
lockend genug, um sich für diese Aufgabe zu bewerben. Zum Vorstellungsgespräch im "Haus der Demokratie" in Berlin-Mitte erscheint sie mit einer gut durchdachten Konzeption und einem geklebten Layout-Vorschlag. Beides überzeugt die zehn Frauen, die um den Tisch herum sitzen und der gebürtigen Dresdnerin aufmerksam zuhören. Kurze Zeit später ruft Marinka Körzendörfer vom dem UFV nahestehenden Verein "Frauenförderung" an und sagt: "Du kannst die Stelle haben." - "Ein Honorarvertrag?" Und hier beginnt es kompliziert und auch wieder erstaunlich einfach zu werden, wie so manches in den ersten Wendejahren. Die Frauen hatten es beim Vorstellungsgespräch versäumt, ihrer zukünftigen Mitarbeiterin zu erzählen, dass es sich um eine ABM-Stelle handele. Der Verein verfügte über zwölf ABM-Stellen, befristet auf ein oder zwei Jahre. Annette Maennel ging zu ihrem Arbeitgeber, um über eine Kündigung zu verhandeln. Kein leichter Schritt, zumal sie mit sehr viel Wohlwollen, im vierten Monat schwanger, in ihrem ursprünglichen Beruf als Physiotherapeutin, eingestellt worden war. Zuvor hatte sie freiberuflich als Model, als Hörspielautorin und zur Wendezeit als Journalistin beim Morgen gearbeitet, der sie einstellen wollte, aber noch bevor es so weit kam, selbst eingestellt wurde. Für Freiberufler gab es damals keinerlei Unterstützung, alle alten Regelungen fielen erst einmal weg. So klapperte die werdende Mutter eine Poliklinik nach der anderen ab. Überaus froh war sie, als ihr endlich eine mitfühlende Kaderleiterin einen Arbeitsvertrag gab. Und genau den setzte sie jetzt aufs Spiel. Natürlich erreichten sie warnende Worte der Kollegen, doch so richtig hat zu dem Zeitpunkt noch niemand gewusst, was es heißen würde, aus einer festen Anstellung in eine befristete ABM zu wechseln. Die neue Freiheit und insbesondere die neue Aufgabe lockte. Mit der Kündigung in der Hand läuft die nun wieder ehemalige Physiotherapeutin zum Arbeitsamt, sagt dort, ab morgen bin ich arbeitslos und möchte die ABM mit der Nummer 634-91, und die sagen, gut, Sie kriegen diese ABM. So war das im Jahre 91.Annette Maennel gehört nicht zu den Gründungsmitgliedern des UFV und kommt auch nicht "aus der reinen Frauenecke", wie sie es nennt, sondern aus der Dresdner Kirchenbewegung. Von der Gründung des UFV hatte sie aus den Medien erfahren. Und nun steckte sie plötzlich mittendrin. Die besten Köpfe waren zu diesem Zeitpunkt schon weggegangen, in die Parlamente, in den Bundestag oder hatten sich in die Wissenschaft zurückgezogen. Die Frauen, die noch in Verbindung standen, mussten stärker aktiviert, Vorbehalte abgebaut werden. Der UFV wehrte sich in seiner Anfangszeit vehement gegen die Frauen aus dem Westen. Wie sollte also ein Rundbrief für das Umfeld des UFV aussehen? "Ich kann doch kein Blatt füllen mit Organisatorischem und all den internen Sachen. Das interessiert keinen Menschen. Ich habe mir gedacht, ich müsste versuchen, Wissen zu vermitteln, also feministisches Wissen, Fachwissen und natürlich aktuelle Themen sollten ins Blatt, wie ist der Stand der Debatte, zum Beispiel beim § 218. Vor allem auch die Regionen sollten zu Wort kommen, ich wollte eine Plattform bieten, auf der alle Frauen miteinander kommunizieren konnten." Annette Maennel hat also versucht, Themenschwerpunkte zu setzen. Dazu hat sie sich auch Autorinnen aus dem Westen gesucht und ist bei keiner Seite auf Widerstand gestoßen. So konnte sie "ihre" Zeitung so aufbauen, wie sie es sich vorgestellt hatte und musste parallel dazu den Vertrieb entwickeln, denn das Blatt sollte sich allmählich auch tragen. "Es sollte ein UFV-Blatt sein, aber es war schwierig, es innerhalb des UFV zu vertreiben. Die Mentalität des Umsonstnehmens war damals stark ausgeprägt. Es gab ja fast alles Gedruckte einfach so zum Mitnehmen. Deshalb habe ich mich rechtzeitig darauf konzentriert, ein breiteres Interesse zu erwecken, über den UFV hinaus. Die ganzen Streitereien, die es innerhalb des Vereins gab, sind im Blatt nicht aufgetaucht, hier ging es um ein Thema, es sollte Wissen vermittelt werden, gut lesbar und ohne all die emotionalen Dinge, die eine öffentliche Diskussion oft unmöglich machten."1992 ging es los, im quadratischen Format, alle acht Wochen, 34 Seiten stark. Themenschwerpunkte waren Männer, Kinder, Prostitution, Schule, Ausländerinnen, Lesben, Arbeitsmarkt, ... Jedes Thema wurde aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, aus wissenschaftlicher Sicht, aus publizistischer, es gab Interviews und Portraits und etwas von "vor Ort", aus den Regionen, von Veranstaltungen, Diskussionsrunden. Meist gab es einen West- und einen Ostblick. Vertrieben wurde die Zeitung über Abonnements und in Buchläden, über die Frauenzentren oder Gleichstellungsbeauftragten lief nichts.Nun war zwar Annette Maennel - wie in der aktuellen Ausgabe des weibblick zu lesen ist - in ihrem ersten Leben Physio- und später Psychotherapeutin, in ihrem zweiten Leben Model und Journalistin und in ihrem dritten Leben weibblick Mediendienstleisterin, aber dennoch ist sie nur eine Person, noch dazu eine mit Tochter und schon daher limitierter Zeit ... "Stimmt, besonders zu Anfang war das ziemlich heftig, die ganzen Adressen, die Briefe, die ich schreiben musste, um das Feld abzustecken. Auch die AutorInnen mussten gefunden werden. Ich hatte mich ganz schnell in die feministische Theorie einzuarbeiten. Wobei mir dies nie sehr schwer gefallen ist, weil es mir immer sehr logisch erschien und ich mich auch schon davor mit der Literatur beschäftigt hatte. Wichtig war mir, relativ unabhängig vom UFV zu sein. Ich habe dann auch begonnen, die Dienstleistungsschiene aufzubauen, Dokumentationen oder Faltblätter herzustellen für Kooperationspartner, für Âdie Frauenanstiftung zum Beispiel. Das war alles ein Prozess, learning by doing sozusagen, gemeinsam mit dem Grafiker Axel Raidt. Aber ich hatte damit die Freiheit, Dinge selbst herzustellen und konnte Geld reinbringen."Mit dem UFV ging es bergab, immer weniger Frauen konnten aktiviert werden, die ABM-Stellen träufelten aus, eine innere Zerfleischung lief. Es wurde versucht, durch eine professionelle Beratung von außen die Struktur des Vereins zu verändern: eine Geschäftsführerin wurde eingesetzt, eine neue Öffentlichkeitsarbeit organisiert. Aber letztlich hat das alles nicht viel gebracht. Der weibblick war davon nie betroffen, das Blatt lief irgendwie neben dem Verein. Dennoch war es für ihn eine wichtige Sache. "Ich war nicht so dogmatisch, sondern versuchte einfach den Spagat, vermittelte in den verfeindeten Lagern, sprach die Leute wieder an, die sich von den ganzen Frauensachen im Gnatz abgewendet hatten. Es gab überall Konflikte, auch innerhalb Ost-Ost, zwischen den Parteifrauen, den Kirchenfrauen, den Wissenschaftlerinnen, den Bewegungsfrauen, zwischen denen, die eine Partei favorisierten und denen, die einen Verein wollten und dann diese riesige Stasidebatte." Die Frau hinter dem weibblick hatte eine integrierende Funktion, war an Machtgeschichten nie beteiligt. Sie hat nie versucht, den Verein auszuhebeln und eine ganz andere Zeitung zu machen. Als sich abzeichnete, dass der Unabhängige Frauenverband aufgelöst werden würde, stellte sich die Frage: Wie kann die Zeitung gerettet werden? Alle Frauen, die bis zum Schluss den UFV mitgetragen haben, auch die aus den Regionen, aus Rostock, Halle, Erfurt, Weimar, beschlossen, wenn es noch ein Restkapital gibt, dann soll das weibblick bekommen. (Die Modrowregierung hatte 1990 dem UFV zwei Millionen Ostmark gegeben.) "Wenn man selbst politische Arbeit betreibt in den Ländern, die zwar sehr klein dahergeht und auch immer in Mischehen funktioniert hat, also über ein Frauenzentrum oder kommunale Finanzierung. Dann zu sagen, wir greifen nicht auf das Restkapital zurück, sondern überlassen das dem weibblick als Chance, dass es ihn weitergibt. Das ist schon 'ne Geste," sagt die Blattmacherin.Nachdem sich der UFV aufgelöst hatte, war das Konzept von weibblick nicht aufrechtzuerhalten. Das Spektrum, Feminismus zu vermitteln und auf ein breites Interesse zu stoßen, war begrenzt. Es musste aufgebrochen werden. Annette Maennel startete eine Leserumfrage und parallel dazu erarbeitete sie in einem Weiterbildungsstudiengang an der FU im kommunikationswissenschaftlichen Teil eine vergleichende Analyse zwischen Emma und weibblick. "Wenn der Vergleich auch hinkt, habe ich ihn dennoch als Anlass genommen zu überlegen, was gibt es schon auf dem Markt, was könnte gebraucht werden, was ist eigentlich mit den Ost-Frauenzeitungen nach der Wende geschehen?"Seit gut zwei Jahren erscheint weibblick im neuen Format. Die Zeitung tendiert jetzt mehr zum Frauenmagazin, zweifarbig, mit großformatigen Bildern, einem aktuellen Reportageteil, neuen AutorInnen, weniger wissenschaftlich, aber nicht weniger anspruchsvoll. Im Gegenteil, die Qualität der Texte hat einen besonderen Stellenwert. Nach wie vor ranken sich spezielle Beiträge um ein Schwerpunktthema. Die Abozahlen sind seitdem gestiegen, "es tröpfelt, aber es nimmt zu". Vor allem Leserinnen aus dem Osten bestellen die Zeitung. Mit dem Neustart kam auch Verstärkung: Petra Welzel. Die studierte Kunstwissenschaftlerin gab ihre bisherige Arbeit auf, weil sie der Journalismus und das Projekt eines "intelligenten Frauenmagazins" reizten. Leben kann sie davon allein nicht, eine zweite Redakteurinnenstelle kann sich weibblick nur sehr begrenzt leisten. Die Reserven brauchen sich von Ausgabe zu Ausgabe auf, von den - leider oft auch zahlungssäumigen Abonnentinnen - existiert es sich schwer, obwohl äußerst sparsam gewirtschaftet wird, die beiden Redakteurinnen eine Menge selbst schreiben und die Dienstleistungsstrecke nach wie vor betrieben wird. Annette Maennel ist seit längerem auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten, nach Sponsoren. Findet sie sie nicht bald, dann haben wir jetzt zwar ausführlich die Frage: "Was ist weibblick?" beantwortet. Was aber die 30- bis 40-jährigen, überdurchschnittlich qualifizierten, frauenpolitisch Interessierten, mit Kind- oder Alleinlebenden, mit angemessenem Einkommen zukünftig lesen werden, bleibt ungewiss.weibblick ist per e-mail zu erreichen: weibblick@aol.com oder in der Anklamer Straße 38, 10115 Berlin
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.