Als im Frühjahr dieses Jahres einige linksorientierte Gewerkschafter, hauptsächlich aus dem Nürnberger Raum, und der Hamburger Ökonomie-Professor Herbert Schui, allesamt altgediente Sozialdemokraten, eine Initiative "Arbeit soziale Gerechtigkeit" gründeten, passierte zur großen Überraschung der verdutzten Initiatoren Sensationelles: Die Presse meldete sofort und auf ihren Titelseiten eine Linksabspaltung von der SPD. Tatsächlich lag die Gründung einer solchen Initiative seit langer Zeit in der Luft. Alles, was in irgend einer Weise mit linker Politik zu tun hatte - die politische Restlinke, viele Gewerkschafter, Sozialwissenschaftler und manche Journalisten -, wunderte sich schon, warum der lähmende Schock über den Verrat der Sozialdem
demokraten an allen ihren sozialen Grundsätzen nicht schon viel früher in heftigen Protest umschlug. Als es dann geschah, ging ein regelrechtes Aufatmen durchs (links orientierte) Land.Die SPD machte ihre Drohungen wahr und sprach Parteiausschlüsse aus. Nicht überraschend kamen schon bald die ersten Entlarvungen - einige Initiatoren seien ehemalige Kommunisten. Man fühlte sich an so manches erinnert, was die Entwicklung der Grünen aus den neuen sozialen Bewegungen und Resten der studentischen Linken Anfang der achtziger Jahre begleitete. Der Schwenk vieler Medien - von wohlwollender Aufnahme hin zu Kritik an den "Besitzstandswahrern" - erklärt sich wohl aus der Gefahr, die dem Establishment erwachsen könnte. Denn Initiatoren wie Mitglieder der "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG), wie sie mittlerweile heißt, stammen aus dem sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Milieu, aus dem großen Reservoir der wirtschafts- wie sozialpolitisch Enttäuschten, ja gelegentlich sogar aus dem christlich-sozial orientierten Arbeitnehmerflügel der CDU/CSU.Seriöse Meinungsforschungsinstitute prophezeiten der WASG schon im Frühjahr, dass sie aus dem Stand 15 Prozent Stimmenanteil erreichen könne und ein Wählerpotenzial von insgesamt bis zu 38 Prozent habe. Solche Zahlen sind nicht so irrwitzig, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Fast die Hälfte der Wähler geht - vor allem auf Landes- und Kommunalebene - nicht mehr zur Wahl. Natürlich sind nicht alle Nichtwähler linksorientiert. Aber die SPD hat seit der letzten Bundestagswahl 2002 einen beträchtlichen Teil ihrer Wählerschaft verloren - und bestimmt keine rechten Kanalarbeiter. Irgendwo lauert dieses Potenzial. Rechnet man dann noch jeweils zwei bis fünf Prozent hinzu, die eine glaubwürdige Wahlalternative von enttäuschten CDU-Wählern (aus der Blüm-Ecke etwa) und von noch enttäuschteren, sozial orientierten Grünen-Wählern bekäme, dann ist es durchaus nicht utopisch zu sagen, dass in diesem Lande eine neue linke Mehrheit jenseits des bürgerlichen Lagers möglich ist, und zwar mit der WASG und der PDS als tragenden Elementen.Für die Wahlalternative ist es wie für alle Parteien bis 2006 noch ein langer Weg. Politische Großereignisse, wie in den vergangenen Jahren der 11. September 2001, der Irak-Krieg oder die Überschwemmungskatastrophe in Ostdeutschland, können sicher geglaubte Mehrheiten schnell in Minderheiten verwandeln. Und ob der Konsolidierungsprozess der WASG - trotz der Querelen, die es bei einigen Berliner Initiatoren gegeben hat - zügig weitergehen wird, kann man nicht wissen.Am kommenden Wochenende wird nun in Nürnberg die erste Bundesdelegiertenkonferenz des Trägervereins der WASG stattfinden. Etwa 250 Delegierte treffen sich unter dem Motto "Eine andere Politik ist möglich!", um die Weichen für die Gründung einer neuen Partei zu stellen. Noch im Dezember sollen die derzeit 6.000 Mitglieder in einer Urabstimmung über die Parteigründung befinden. In allen Bundesländern wurden bereits Landesorganisationen gegründet und Landesvorstände gewählt. In Nürnberg kommt nun ein ordentlicher Bundesvorstand hinzu, der die Aufbauarbeit der neuen Partei vorantreiben soll.Liest man die bislang veröffentlichten programmatischen Aussagen der WASG, etwa ihr "Eckpunkteprogramm", oder auch programmatische Papiere, die noch in der innerparteilichen Programmdiskussion zirkulieren, wie den "Hamburger Entwurf für ein Bundesprogramm", dann scheint mit der WASG in der Tat eine politische Kraft links vom neoliberalen Parteienkonsens heranzuwachsen, deren politische Alternativen große Teile der eher sozial und links orientierten Wahlbevölkerung überzeugen könnten. Man darf gespannt sein auf das Ergebnis des ersten Rankings der Partei durch die Meinungsforscher ("Sonntagsfrage"). Ein erster echter Testfall könnten die Landtagswahlen im kommenden Jahr in Nordrhein-Westfalen sein. Sicher ist es noch nicht, dass die WASG an Rhein und Ruhr antritt. Aber eine große Mehrheit im größten Landesverband will offenbar eine Kandidatur wagen.