Sie haben es gewusst. Irgendwann würde es passieren. Sie selbst waren ja die lautesten Warner, als eine Dreifaltigkeit aus Demoskopie, Medien und Wählerschaft ihre Partei in schwindelnde Höhen katapultierte: „Auf dem Teppich bleiben“ mahnten die Grünen – wohlwissend, dass auf jeden Höhenrausch schmerzhafte Ernüchterung folgt. Nun bahnt sich Katzenjammer an: Mal ein Prozent, mal zwei, dann wieder eins – von Woche zu Woche steht ein Minuszeichen vor den grünen Umfragewerten. Und die gleichen Medien, die unlängst noch nach einem grünen Kanzlerkandidaten riefen und dazu gar Joschka selig aus seiner Polit-Gruft hieven wollten, vermerken nun genüsslich: Grüne im Niedergang, Öko-Stern sinkt.
Die Grünen e
#252;nen eine Verlierer-Partei? Das ist, mit Verlaub, gequirlter Medienquark. Keine Partei ist in den vergangenen Jahren in Bund und Ländern so stetig gewachsen wie die Ökos. Heute kratzen sie – trotz abflachender Kurve – an der 20-Prozent-Marke. Und in Baden-Württemberg ist Kretschmann sogar das Kunststück gelungen, noch einmal fünf Punkte draufzusatteln seit der fulminanten Landtagswahl im März. Und selbst in Schleswig-Holstein – wahrlich keine Öko-Domäne – landen die Grünen ein halbes Jahr vor der Wahl in Umfragen bei 18 bis 20 Prozent. Zum Vergleich: 2005 stand da noch eine 6,2.Die Blase schrumpftDie Republik erlebt also weiter ihr grünes Wunder. Der Wunderknabe selbst könnte dennoch in die Rolle des Verlierers rutschen. Denn in der Dynamik des Politbetriebs klingt jeder noch so leichte Abschwung wie Aufprall, bei dem man ungern dabei wäre. So werden die Grünen gerade Opfer ihres eigenen Erfolgs – eines Erfolgs, der zumindest auf einem wackeligen Fuß stand. Denn die grüne Stärke war auch die Schwäche der anderen – die desolate Performance von Schwarz-Gelb, die desorientierte Blässe der SPD, die Selbstzerlegung der Linken, die Katastrophe von Fukushima, die die Aktie Grün schließlich auf ein irrealen 28 Prozent-Hoch katapultierte.Nun schrumpft die Blase auf Realmaß. Und womöglich durchleben die Grünen gerade eine Erkenntnis ihrer Gründungsgeschichte: Sie stoßen an die Grenzen des Wachstums. Die Einsicht in die Endlichkeit der eigenen Ressourcen könnte für sie dabei heute so lehrreich sein wie die legendäre Mahnung des Club of Rome vor 40 Jahren.Grips? MangelwareBerlin, wo in gut drei Wochen gewählt wird, könnte da zur Lektion werden. Vor einem Jahr standen die Grünen hier als stärkste Partei da. Wow! Renate Künast schien noch bessere Chancen auf den ersten grünen Regierungssessel zu haben als ihr Kollege Kretschmann. Nun muss sie selbst noch um Platz zwei kämpfen. Denn ausgerechnet die urban-umweltbewusst- weltoffene Hauptstadt führt vor, dass Grün keineswegs Selbstläufer ist. Aus den Fehlern der Konkurrenz lässt sich zwar Kapital schlagen. Aber nur weniger falsch zu machen als andere, reicht nicht. Man muss auch Anderes wollen. In Berlin fehlt den Grünen dazu die überzeugende Idee, die sie unterscheidbar macht. Vor lauter Drang in die politische Mitte ist nichts mehr zu spüren von der alten Frechheit, von der Kreativität, von der Neugier auf Zukunft, die die Grünen einst zum Trendsetter und Motor machten. Stattdessen schwimmt die Partei in einem inspirationslosen Wahlkampfbrei: Politikerköpfe zum Abwinken, Grips Mangelware.Auch auf Bundesebene müssen die Grünen neu laufen lernen – statt demoskopisch bergauf wieder thematisch voran. Das wird keine einfache Übung. Denn mit dem Atomausstieg ist den Grünen das identitätsstiftende Ur-Thema abhanden gekommen. Klimawandel, Energiewende, gesunde Ernährung – all das trägt weiter das grüne Echtheitssiegel. Aber das Etikett ist Allgemeingut geworden.Die alte Rolle neu erarbeitenDie Grünen haben das Thema Ökologie in der Gesellschaft verankert. Sie sind damit auch für konservative Milieus wählbar geworden. Aber so, wie sie ihre neuen Anhänger der sinkenden Bindekraft der alten Volksparteien verdanken, können auch sie die flottierenden Wähler schnell wieder verlieren. Und diese Gefahr wächst, wenn Finanzkrise und Europa-Verdruss zum beherrschenden Thema für die nächste Bundestagswahl werden. Die Grünen müssten da als offensive Europa-Partei Flagge zeigen. Das wird nicht unbedingt populär sein. Da bräuchte es umso mehr eine Führungsfigur, die nicht allein die politische Intelligenz eines Jürgen Trittin hat, sondern auch die Überzeugungskraft eines Joschka Fischer und den Sympathiefaktor eines Winfried Kretschmann. Diese Idealfigur werden sich die Grünen bis 2012 nicht backen können.Sinkende Umfragewerte müssen die Grünen nicht in Panik versetzen. Aber in Bewegung. Denn der Höhenrausch hat sie auch träge und selbstzufrieden gemacht. In der Integrations- oder Gleichstellungspolitik etwa haben sie schon lange keine Akzente mehr gesetzt. Das Zukunftsthema demografischer Wandel kommt gar nicht erst richtig auf ihre Agenda. Und selbst innovative Ideen wie der Bildungssoli lassen sie im Klein-Klein versickern. Auf die Rolle als Vordenker und Antreiber gibt es aber auch in der Politik kein Abo auf Lebenszeit. Die Grünen müssen sich diese alte Rolle, die ihren Charme ausmachte, jetzt wieder neu erarbeiten. Andernfalls könnte es verdammt eng werden in den grünen Grenzen – noch bevor ausgetestet ist, wie groß ihr Potenzial zur Ausdehnung ist.