Etliche italienische Internetbenutzer erhielten dieser Tage einen anonymen Rundbrief, der das gegenwärtige Lebensgefühl einer wachsenden Zahl Bürger der Apenninhalbinsel pointiert - aber kaum überspitzt - widerspiegelt. Darin heißt es: "Ich wohne in Mailand, in einem Mietshaus, das der jetzige Ministerpräsident gebaut hat. Ich arbeite in einer Firma, deren Hauptaktionär der Ministerpräsident ist. Auch die Kfz-Versicherung meines Autos, mit dem ich zur Arbeit fahre, gehört dem Ministerpräsidenten. Ich halte jeden Morgen, um die Zeitung zu kaufen, deren Eigentümer der Ministerpräsident ist. Nachmittags nach Feierabend kaufe ich in einem Supermarkt des Ministerpräsidenten ein; dort kaufe ich Produkte, die in Firmen des Minister
des Ministerpräsidenten hergestellt worden sind. Abends im Fernsehen sehe ich fast immer die Sender des Ministerpräsidenten, auf denen die oft vom Ministerpräsidenten produzierten Filme dauernd von Werbespots unterbrochen werden, die die Werbeagentur des Ministerpräsidenten gedreht hat. Wenn ich dazu keine Lust mehr habe, surfe ich ein bisschen im Internet - mithilfe des Providers des Ministerpräsidenten. Ich schaue mir vor allem die Fußballergebnisse an, denn ich bin ein Fan der Mannschaft des Ministerpräsidenten. Einmal pro Woche gehe ich ins Kino, das zur Kinokette des Ministerpräsidenten gehört ... Wie in allen demokratischen Staaten ist es natürlich auch in Italien der Ministerpräsident, der die Gesetze macht, die dann vom Parlament verabschiedet werden, dessen Mehrheit sich fest in der Hand des Ministerpräsidenten befindet... und der regiert selbstverständlich in MEINEM Interesse." Der Text ist Ausdruck eines Wiedererwachens einer heterogenen Opposition im Lande. Ein kleiner römischer Frühling nach einem langen Winter, der mit dem brutalen Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten während des G-8-Gipfels unvermittelt den Genueser Hochsommer beendete. Unter der Regierung Berlusconis, des italienischen Dagobert Duck, gerät Italien seither Woche für Woche in die Schlagzeilen der europäischen Presse. Seine Versuche, sich Land und Gesetze maßzuschneidern, sind zu offensichtlich, als dass man im befreundeten Ausland geflissentlich darüber hinwegsehen könnte. Obwohl kritische Töne in den italienischen Medien - die zum Großteil zum Imperium des selbsternannten Bonaparte gehören - seltener geworden sind, vergeht kein internationaler Auftritt des Multimilliardärs, der seit drei Monaten nicht nur Premier-, sondern zugleich auch Außenminister seines Landes ist, ohne heftige Seitenhiebe auf die "kommunistische Journalistenclique", welche die "Wahrheit verzerrt" und mit "blindem Hass" die Erfolge des Rechtspopulisten madig macht. Kritik = "kommunistische Propaganda", weiß Berlusconi ungerührt. Gemeinsam mit der grauen Schar seiner Getreuen, die vielfach zugleich seine Parteifreunde, Abgeordneten, Angestellten, Aktionäre, Steuerberater und Anwälte sind, hat er sich in den zehn Monaten seit seiner Machtübernahme freilich nicht gescheut, Entscheidungen zu treffen, die den "stalinistischen Meinungsmachern" (lies: den bürgerlichen Medien) im eigenen Lande und in ganz Europa zu einem "propagandistischen" Gabelfrühstück gereichten: Bereits die ersten Amtshandlungen seines Kabinetts (drastische Reduzierung der Leibwächter für Antimafia-Richter, Straffreiheit bei Bilanzfälschung, straffreie Kapitalrückführung von Schwarzgeldern aus dem Ausland) mussten Kritik provozieren. Doch obwohl die angekündigte Steuerreform Besserverdienende faktisch auf Kosten Sozialschwacher begünstigt, hat die Mehrheit seiner Wähler anfangs geduldig auf die vollmundig angekündigten sozialen Verbesserungen gewartet - vielleicht im Glauben, der neue Messias werde sich hierarchisch, von oben nach unten, allen seinen Untertanen zuwenden, sich also zunächst um die Belange der Superreichen kümmern, später um die der Mittel- und Unterschichten. Da sich die Anstrengungen der Regierung bislang hartnäckig auf die oberen Zehntausend konzentrieren, schrumpft Berlusconis Rückhalt in der Bevölkerung von Tag zu Tag. Der Ministerpräsident, der als Besitzer einer großen Marktforschungsagentur (!) in Wahlkämpfen gern mit präzisem Zahlenmaterial aufwartet, beruft sich inzwischen nur noch vage auf einen "allgemeinen Konsens". Und während man dem unwürdigen Treiben der (zugleich als Parlamentarier fungierenden) Anwälte des Premiers, welche biedere Richter und Staatsanwälte im laufenden Mailänder Korruptionsverfahren als "rote Roben", "Jakobiner" und - natürlich auch - "Kommunisten" bezeichnen, fassungslos zugesehen hat, hat die Entscheidung, den im Vorfelde der Wahl heiß diskutierten Interessenkonflikt - zwischen privatem Medien- und Wirtschaftsimperium einerseits, öffentlichem Amt andererseits - per Gesetz schlicht zu kodifizieren, die von einer unsicheren, in sich zerstrittenen Opposition nicht minder enttäuschte Öffentlichkeit wachgerüttelt. Die Ansicht, dahinter stehe die kleine Rifondazione Comunista grenzt an Paranoia. Eine Ende Januar von parteilosen Hochschuldozenten in Florenz organisierte Protestkundgebung zum Schutze der Demokratie hat Großdemonstrationen in Mailand, Rom und anderen Städten nach sich gezogen. Zugleich zeichnen sich erste Risse innerhalb des Regierungsbündnisses ab: die Worte des Reformministers und Führers der separatistischen Lega Nord, Umberto Bossi, das "Galgenland Europa" sei auf dem Wege, ein "stalinistischer" Superstaat, eine "neue UdSSR" zu werden, haben sowohl die euroeuphorischen Christdemokraten als auch die Postfaschisten verärgert. Zugleich ist das Verhältnis der Christdemokraten und der Postfaschisten gespannt, seit Mitglieder der Rechtspartei, die vergangenen November in einer sizilianischen Gemeinde durch die Einweihung einer "Benito-Mussolini-Straße" für Aufsehen sorgten, unverhohlen eine ideologische Gleichsetzung gefallener faschistischer Milizionäre mit den gefallenen Widerstandskämpfern fordern. Hinter Berlusconis einstudiertem Perlweiß-Lächeln macht sich daher steigende Nervosität bemerkbar. Die Firma Italien (ebenfalls ein geflügeltes Berlusconi-Wort) beginnt endlich zu meutern.
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