Deutsch-türkisches Kino - Thomas Arslan, der Regisseur des gerade angelaufenen Films Dealer, hört den Begriff nicht besonders gern. Daß sich hier inzwischen einiges getan hat, dürfte wohl den Wenigsten entgangen sein: Die Filme von Fatih Akin, Kutlug Ataman, Yüksel Yavuz und nicht zuletzt von Thomas Arslan haben - zumindest im Feuilleton der Zeitungen - regelrechte Lobeshymnen ausgelöst. Das Bedürfnis nach Einordnung und Schematisierung ließ nicht lange auf sich warten, ein »deutsch-türkischer Kinoboom« machte die Runde: Geschichten über junge Türken der dritten Generation, über ihre Wünsche und Sehnsüchte, die Konflikte mit der eigenen Tradition und mit der Generation der Alten, die noch streng nach muslimisch
h muslimischen Gesetzen leben. Filme türkischstämmiger Regisseure, so die einhellige Kritik, arbeiten sich variationsreich an diesen Themen ab - mit Geschichten, wie sie bisher noch nicht erzählt wurden und mit einer »exotischen« Anziehungskraft, mit der sie sich vom sonstigen Einerlei deutscher Produktionen abheben. Ein neues Genre war geboren und endlich eine neue Schublade beschriftet. Ob es so einfach ist, ob man den Filmemachern damit einen Gefallen tut, darf bezweifelt werden: »Es ist gut und auch selbstverständlich, daß sich inzwischen mehr aus diesem Umfeld in Deutschland äußern«, kritisiert Thomas Arslan, »doch das Ganze wird im Grunde erst einmal als folkloristisches Phänomen goutiert, wichtiger wäre es schon, genau hinzusehen, wie die einzelnen Filme gemacht sind, da würde man sie ernster nehmen.«Arslans neuer Film Dealer - auf der Berlinale schon äußerst erfolgreich gelaufen und mit einigen Preisen ausgezeichnet - ist der zweite Teil einer Trilogie über Jugendliche türkischer Herkunft in Berlin. Doch Dealer ist nicht die Fortsetzung von Geschwister, dem Erstlingswerk dieser Reihe. Zwar aus der Arbeit an Geschwister entstanden, handelt es sich hier um eine abgeschlossene Geschichte, mit anderen Personenkonstellationen und - bis auf wenige Ausnahmen - anderen Schauspielern. Bei der Darstellersuche sind dem Filmemacher eine Reihe von Personen, meist aus dem kleinkriminellen Milieu begegnet: »Einer von ihnen«, so Arslan, »war auch für eine größere Rolle vorgesehen, was sich jedoch zerschlagen hat, da er kurz vor Beginn der Dreharbeiten im Jugendgefängnis gelandet ist.«Can (Tamer Yigit) lebt mit seiner Freundin Jale (Idil Üner) und Kind in einem tristen Wohnblock in Kreuzberg. Er verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Drogen. Auf Wunsch seiner Freundin und von der Zivilpolizei bedrängt, versucht er aus dem Geschäft auszusteigen, wird jedoch durch die Versprechen seines Bosses auf einen besseren Job immer wieder hingehalten. Seine Freundin glaubt Cans halbherzigen Versuchen, sich von seinen kriminellen Freunden loszusagen, nicht mehr und verläßt ihn. Die Zivilpolizei ertappt ihn schließlich beim Verkauf von Drogen, er landet im Gefängnis.Die eher schlichte äußere Handlung wird bei Dealer von einer Beschreibung innerer Zustände und Empfindungen überlagert: mit Hilfe minimalistischer Mittel - sparsamer Musik, kurzen Dialogen und langsamen Einstellungen - deckt Arslan den Geisteszustand seines Protagonisten auf. Längst bevor Can im Gefängnis landet, ist er bereits Gefangener seiner Entscheidungslosigkeit. Schon zu Beginn wird dem Zuschauer klar, daß die Geschichte nicht gut ausgehen kann. Mit der traurigen Unentschlossenheit, sich aus den Strukturen zu lösen, wird Cans fatalistischer Abstieg immer gewisser. Jeder Schritt, jede Handlung verkürzt nur seine weiteren Wahlmöglichkeiten.Dealer zeigt ein statisches, verschlossenes Bild der Großstadt - ein anonymes Berlin, das überall sein könnte und bei dem auf ein für andere Drogenfilme typischen Elendsrealismus verzichtet wird. Mit einem stilisierten Spiel von Licht und Farbgegensätzen setzt Arslan die Entfremdung des Hauptdarstellers kunstvoll und ästhetisch in Szene: Elend und trostlos stehen Can und seine Freunde auf den menschenleeren Straßen herum - die blühenden Bäume in grünen Parks, die grellen Farben der bunten Wände im Hintergrund schaffen einen sommerlichen Kontrast, der ihre Verlorenheit nur noch verstärkt. Die Kamera begleitet den Protagonisten aus sicherer Distanz, meist in horizontaler Fahrt. Mit seinen ruhigen Bildern, seinem beobachtenden Gestus erinnert die Kamera bisweilen an die frühen kammerspielartigen Filme von Fassbinder.Anders als in Aprilkinder von Yüksel Yavuz, über den Bülent Esrüngün, einer der Hauptdarsteller, sagt, er habe in einem Klischee-Film - aber einem guten - mitgewirkt, versucht Arslan weitgehend auf folkloristische Details und die Problematisierung von »Fremdartigkeit« zu verzichten. Der türkische Dönerverkäufer, der Straßenkehrer fehlen ebenso wie die Darstellung von Generations-, und Traditionskonflikten. Spielten bei den meisten deutsch-türkischen Hoffnungsträgern - wenngleich nicht ausschließlich - die Fragen nach Integration und Identität in der deutschen Gesellschaft eine Rolle, so geht es bei Arslan um Probleme, die nicht vornehmlich etwas mit Herkunft zu tun haben. Gleichwohl ist ihm klar, daß die Thematik durch eine Vielzahl von Klischees, insbesondere dem Bild des »kriminellen Ausländers« verstellt ist: natürlich wird es wohl nicht möglich sein, sich völlig über diese Zuschreibungen hinwegzusetzen, doch »man kann vielleicht versuchen,« so seine Hoffnung, »durch sie hindurchzugehen, das heißt von ihnen auszugehen, sie zu benutzen, um sie dann nach und nach aufzulösen, so daß anderes sichtbar werden kann.«Trotz aller Unterschiede haben alle diese Filme ihre spezifischen Gemeinsamkeiten, die sie nicht nur von anderen deutschen Filmen, sondern auch vom frühen »Gastarbeiterkino« unterscheiden. Anders als in Frankreich und Großbritannien, wo es schon Mitte der achtziger Jahre eine rege Produktion von Emigrantenfilmen gab, die spannend und lustig über ihr Leben erzählten, dominierte in der Bundesrepublik der düstere, traurige Blick auf die fremde Kultur. Die Türken, so die nicht nur für damalige Verhältnisse typische Behauptung, leben weitgehend in ihrer geschlossenen Gesellschaft, tyrannisieren ihre Frauen, verteidigen ihre männliche Ehre und bleiben archaischen Ritualen verhaftet. Deutlich wurde das besonders in dem Film 40 Quadratmeter Deutschland (1985) von Tevfik Baser, der die Geschichte einer jungen Türkin erzählt, die frisch verheiratet zu ihrem Mann nach Deutschland gekommen ist. Um sie vor den »verderblichen« Einflüssen des deutschen Alltags abzuhalten, hält sie der Ehemann in einer kleinen Wohnung gefangen. Monatelang bleibt sie auf 40 Quadratmeter Deutschland reduziert.Auch in anderen Filmen, wie Yol (1982) von Yilmaz Günay oder Yasemin (1987) von Hark Bohm erscheinen die Migranten vorzugsweise als Opfer, »sie hatten nur eine Chance, in den deutschen Kinoproduktionen vorzukommen: als Problem.« Fatih Akin (Kurz und schmerzlos) führt sein Engagement als Schauspieler nicht zuletzt genau darauf zurück. Eigene Filme zu drehen, begann er auch deshalb, weil er nicht länger den immer gleichen »Türken vom Dienst« spielen wollte.
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