Premier José Sócrates Pinto de Sousa hat seinen zweiten Vornamen zum Familiennamen erklärt: Sócrates. Das klingt exotisch, philosophisch, intellektuell; jedenfalls besser als der - in portugiesischen Ohren - Allerweltsname Pinto de Sousa. In seinen Reden, in den Medien, in seiner offiziellen Biographie - überall firmiert der Chef des seit 2005 regierenden Partido Socialista (PS) als José Sócrates, doch nimmt ihm diese Eitelkeit in Portugal kaum jemand übel. Anderes erschüttert sein Renommee, er soll den akademischen Titel eines Ingenieurs auf unsaubere Art erworben haben. In der offiziellen Vita ist die Berufsbezeichnung "Ingenieur" denn auch jüngst dem Verweis auf ein "Diplom in Ingenieurwesen" gewichen, das Sócrates an einer privaten
r privaten Lissabonner Universität erworben haben will. Die Kammer der Ingenieure erkennt den Studiengang jedoch nicht an. Auch kann Sócrates Zweifel an der Art und Weise, wie er 1996 zu akademischen Ehren kam, nicht restlos ausräumen. Seinerzeit war er Staatssekretär im Umweltministerium, seine Examensarbeit - erkundeten die Medien - habe die Universität als einseitiges Fax erhalten und das Diplom dann - erstaunlicherweise - an einem Sonntag ausgestellt. Sócrates schwieg gut drei Wochen, ehe er in einem Interview von "böswilligen Unterstellungen" sprach, ohne die Vorwürfe wirklich zu entkräften.Seit dieser Woche nun müssen den Premierminister derartige Scharmützel nicht mehr über Gebühr tangieren - er hat für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernommen und kann den Niederungen der portugiesischen Innenpolitik entkommen. Was geraten erscheint, denn an den Lebensbedingungen von Arbeitnehmern und Rentnern hat sich seit dem fulminanten Wahlsieg des PS vor gut zwei Jahren nicht viel verbessert. Ganz im EU-Kanon hat sich Sócrates um ein abgespecktes Haushaltsdefizit bemüht und das Minus von sechs Prozent im Jahr 2005 auf jetzt 3,9 Prozent gedrückt - nun erscheint sogar die EU-Norm von drei Prozent möglich. Bezahlt haben diesen Sparkurs freilich andere: so konstatiert die OECD*, dass die Löhne in Portugal 2007 gerade einmal um 0,3 Prozent steigen, während es im OECD-Durchschnitt ein Plus von 1,4 Prozent gibt. Die portugiesischen Arbeitnehmer - im EU-Vergleich ohnehin schlecht bezahlt - sind abgehängt: 2.047 Euro brutto monatlich verdient ein diplomierter Bauingenieur im Schnitt, ein Elektriker 780 Euro. Zwar gibt es einen staatlich festgelegten Mindestlohn, der aber mit 403 Euro kaum das Existenzminimum touchiert. Auch die Arbeitslosigkeit steigt - von 7,6 Prozent 2005 auf bisher 8,4 Prozent 2007, Höchststand seit 20 Jahren.Anfang März demonstrierten in Lissabon mehr als 100.000 Menschen gegen die Regierung. Am 31. Mai kam es gar zu einem Generalstreik. Dennoch verliert der PS laut Umfragen nur leicht und liegt bei rund 40 Prozent. Dagegen hat sich die langjährige liberal-konservative Regierungspartei Partido Social Democrata (PSD) von ihrer Wahlschlappe 2005 nicht erholt. Der damalige PSD-Premier und einstige Präsident des Fußballclubs Sporting Lissabon, Pedro Santana Lopes, beeindruckte mit Playboy-Eskapaden statt Regierungskunst, so dass der PSD vor zwei Jahren auf bescheidene 29 Prozent fiel. Santana Lopes war das Regierungsamt nur zugefallen, weil Parteifreund José Manuel Barroso als Kompromisskandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten nach Brüssel gelobt worden war.Portugal hat den alten EU-Verfassungsvertrag noch nicht ratifiziert. Eigentlich sollte dies per Referendum geschehen, doch nachdem das Werk in Frankreich und in den Niederlanden durchfiel, sagte Sócrates die ursprünglich versprochene Volksabstimmung kurzerhand ab. Bevor kein neuer EU-Vertrag vorliegt, will sich die portugiesische Regierung nicht festlegen, wie darüber zu entscheiden ist - ob durch ein Plebiszit oder ein Parlamentsvotum. Aber wann und ob es dazu kommt? Es gibt berechtigte Zweifel, dass es während der portugiesischen Präsidentschaft überhaupt gelingt, einen neuen EU-Vertrag auszuhandeln.Zum Auftakt seines Mandats sind José Sócrates unverfänglichere Themen beschieden: Eine stärkere Kooperation der EU mit Brasilien etwa, wozu es in dieser Woche einen Gipfel mit dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva in Lissabon gab. 1996 hatte sich Portugal mit Brasilien, Angola, Mosambik, Kap Verde, Guinea-Bissau sowie Sao Tomé und Principe zur Comunidade dos Países de Lingua Portuguesa (CPLP) vereint. Mit der 2002 errungenen Unabhängigkeit stieß auch die einstige portugiesische Kolonie Ost-Timor zur Gemeinschaft der portugiesischsprachigen Länder. In diesem Verbund eine effiziente wirtschaftliche Zusammenarbeit zu bewirken, sah sich Portugal indes kaum in der Lage, auch blieb es der Regierung in Lissabon verwehrt, die EU dafür zu gewinnen. So verhallten nach dem Ende des Bürgerkrieges in Angola 2002 zahlreiche Appelle des Präsidenten José Eduardo dos Santos an Brüssel, eine Geberkonferenz einzuberufen und seinem Land beim Wiederaufbau zu helfen. Inzwischen hat die Volksrepublik China diesen Part übernommen und gewährte 2006 einen Kredit in Höhe von fünf Milliarden Dollar. Ein üppiger Finanztransfer für einen Staat, der in Peking als Ölexporteur geschätzt ist.Immerhin will sich Portugal als Ratspräsident um mehr Kooperation zwischen der EU und Afrika bemühen und wird im Dezember ein Gipfeltreffen der Europäer mit afrikanischen Staatschefs präsidieren. Es wird das zweite dieser Art sein, das erste fand im April 2000 statt. Auch damals unter portugiesischem EU-Ratsvorsitz.(*) Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung