Hamburgs G20-Tage markieren eine Zäsur. Auf den polizeilich erst verordneten und dann durchgeprügelten Ausnahmezustand folgt ein Backlash, den man in der immer noch relativ liberalen Bundesrepublik nicht erwarten konnte. Der Riot in der Schanze am 7. Juli hat einen regelrechten Volkszorn angestoßen. Die Stadt droht unverhohlen der gesamten außerparlamentarischen Linken mit Räumung, während Stadtteilzentren, Clubs, Buchverlage und andere linke Akteure mit Rachefantasien bombardiert werden. Selbst in der politischen Mitte heißt der Schlachtruf in Anlehnung an den Münchner Soziologen Armin Nassehi: „Eine Linke braucht es nicht mehr.“
Der medial angeheizte Aufschrei erinnert die heute ältesten Protestjahrgänge an die Hetze nach dem Schahbesuch von 1967 (siehe Seite 13). Es geht um Abrechnung. Die globalisierungskritische Linke habe sich erledigt oder sei endlich zu erledigen. Nichts könnte falscher sein. Was in Hamburg sichtbar wurde, ist zuerst, dass der Gipfelprotest nicht einfach eine Neuauflage der Proteste von Seattle 1999 oder Genua 2001 war. Was diese Proteste oder auch den von Heiligendamm 2007 von den jetzigen trennt, ist zum einen die Finanzkrise von 2008 mit ihren Folgen, zum anderen das inverse Panoptikum der sozialen Netzwerke.
Protest hier, Projekte da
Die Krisenjahre haben eine Wut entfacht, die zwei Formen des Widerstandes nähren. Der ersten hat das unsichtbare Komitee in seinem Manifest Der kommende Aufstand von 2009 einen Ausdruck verliehen. Löste es bei Erscheinen eine gönnerhafte Zustimmung aus, die junge Generation sei wohl doch noch nicht für die Rebellion verloren, ist das bürgerliche Lager nun entsetzt, dass eben Teile dieser Generation es ernst meinen. Da wird nicht lange gefackelt und schon gar nichts erklärt, sondern knallhart geplündert. Augenzeugen des Riots in der Schanze berichten von einer berauschten Stimmung, als sei für wenige Stunden eine Commune ausgerufen worden. Man hätte es kommen sehen können. Der Riot von London 2011 war ein Zeichen, das viele als Anomalie deuteten, geschuldet dem britischen Weg eines besonders krassen Neoliberalismus. Spätestens nach Hamburg sollte klar sein: Das kann jederzeit wieder passieren.
Die zweite Form des Widerstands ist subtiler gewesen, fast schon bescheiden. In vielen Städten haben sich Aktivisten darangemacht, noch mal „ganz unten“ anzufangen. Anstatt den globalen Finanzkapitalismus als Monster anzuprangern, begannen sie neue Projekte. Sie entwarfen das Konzept einer solidarischen Stadt, wie etwa in Toronto und anderen nordamerikanischen Städten, die auch die Schwächsten einbezieht: die Papier- und die Wohnungslosen. Sie verräumlichen in europäischen Städten Konflikte – um eine Formulierung des Hamburger Künstlers und Aktivisten Christoph Schäfer heranzuziehen –, indem sie mit den Nachbarschaften um konkrete Orte kämpften. Dabei machen sie die Verwerfungen des globalen Kapitalismus überhaupt erst begreifbar und auf den eigenen Alltag beziehbar. Sie nahmen sich, vor allem in den europäischen Mittelmeerländern, die Plätze, um öffentliche und freie Asambleas abzuhalten. Die Botschaft: Ihr repräsentiert uns nicht, und wir können uns selbst organisieren. In südamerikanischen Städten wiederum ist der Anspruch auf Territorien der Solidarität und der Selbstbestimmung erhoben worden, in denen der korrupte Staat nichts zu suchen hat.
Diese Projekte haben sich in den vergangenen Jahren immer stärker verknüpft. Ein entscheidender Punkt ist dabei gewesen, die globale Migration ins Zentrum zu stellen. Dabei geht es nicht darum, Migration in goldenem Licht erstrahlen zu lassen – zu brutal sind oft die Wege jener, die ihr Zuhause verlassen haben, verlassen mussten. Entscheidend war die Erkenntnis: Migration ist Globalisierung – gewissermaßen die andere, unterdrückte, bekämpfte Seite der Globalisierung. Wenn Kapital, Waren und Knowhow Freizügigkeit genießen, lässt sich nicht glaubhaft begründen, warum dies für Menschen nicht gelten soll. Warum sie auf ewig an die Schubladen der Nationalität gebunden sein sollen, in die das moderne Staatensystem alle steckt.
In dieser Entwicklung deutet sich eine Entwicklung an, die an die Proteste von Seattle und Genua anknüpft, aber über sie hinausweist. Die Globalisierung an sich wird nicht zurückgewiesen – sondern die Globalisierung zu den Bedingungen transnationaler Konzerne und nationaler Regierungen, also der Machtzentren, für die symbolhaft der G20-Gipfel stand. Die Protest-bewegung, so diffus und heterogen sie auch sein mag, steht für eine Globalisierung von unten. Für eine Kosmopolitisierung.
Dass der Bezugsrahmen dafür vor allem Städte sind, sollte nicht überraschen. Saskia Sassen hat mit ihrer Diagnose der „Global Cities“ früh erkannt, dass eine Verschiebung im Gange ist. Auch Geheimdienste konstatieren heute in Trendanalysen, dass das Westfälische Staatensystem – das nach den Erfahrungen der Barbarei im Dreißigjährigen Krieg gewiss ein Fortschritt war – brüchig geworden ist. Während die Staaten diese Erosion selbstverständlich mit Argwohn betrachten, ist sie für die neue Welle der Globalisierungskritik, wenn man sie überhaupt so nennen kann, eine Wegmarke am Horizont geworden.
Unterstützt wird diese Bewegung durch technische Entwicklungen, die um die Jahrhundertwende allenfalls in ersten Prototypen zu erkennen waren. Die vom mobilen Internet verstärkten sozialen Netzwerke, von Kulturpessimisten als Echokammern und Filterblasen abgetan, sind mitnichten nur Resonanzräume für Hass. Sie haben ein inverses Panoptikum geschaffen, das über die schon früher propagierte Gegenöffentlichkeit oder die von den Situationisten verfochtenen eigenen Medien hinausgeht. In Hamburg ist seit dem Ende des Gipfels ein enormer Schwarm dabei, die Polizeiübergriffe zu dokumentieren. Und zwar in einem Ausmaß, das Indymedia, wie es in Genua operierte, um ein Vielfaches übertrifft. Was herauskommt, mag zunächst chaotisch und widersprüchlich erscheinen. Entscheidend ist: Es lässt sich nicht kontrollieren, ohne die sozialen Netzwerke zu strangulieren – was wiederum nicht im Interesse der wirtschaftlichen Akteure ist, die auf diese noch junge Infosphäre für Marketing und Absatz dringend angewiesen sind. In der Bewegung aus Open Hardware und freier digitaler Fabrikation entstehen an Tausenden von Orten „Mikropotenzialitäten“ (Anne Querrien) für eigene Produktionen. Die kann wohl noch keine Autos und Computer herstellen, aber das Tempo, mit dem diese Bewegung wächst, ist atemberaubend – als ob ein planetares Reverse Engineering eingesetzt habe, um technisches Know-how der Industrie zu entreißen. Auch das war in Genua 2001 noch nicht so.
Zwei Orte stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Im „Arrivati Park“, organisiert vom Hamburger Netzwerk Recht auf Stadt, wurde in einer Grünanlage zwischen St. Pauli und Schanze ein öffentlicher Raum zu Flucht, Migration und Urban Citizenship errichtet. Aktivisten gaben dort an allen Tagen eine „Hamburg Urban Citizenship Card“ nach dem Vorbild nordamerikanischer Städte heraus. Der Park entwickelte sich in der G20-Woche ohne Push durch etablierte Medien zum zentralen Orientierungspunkt der Proteste westlich der 38 Quadratkilometer großen Demoverbotszone, in der die Stadt Hamburg das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit suspendiert hatte. Nur wenige hundert Meter entfernt, im Millerntor-Stadion des FC St. Pauli, stellten Aktivisten ein eigenes Medienzentrum auf die Beine, das FC/MC. Die technische Infrastruktur baute der Chaos Computer Club innerhalb von zwei Tagen auf.
Den etablierten Medien waren beide Orte, wie etliche andere auch, nur Randnotizen wert. Stattdessen verharrten sie im Startblock wartend, bis endlich die ihnen vertrauten Zusammenstöße zwischen Protestierenden und Polizei begannen. Einer der wenigen, die die Veränderung wahrgenommen haben, war Raul Zelik, der in der WOZ feststellte: „Die Proteste von Hamburg waren jenseits der Straßenschlachten von einer Kreativität und Lebendigkeit geprägt, wie sie auch die meisten OrganisatorInnen des Gipfelprotests wohl nicht für möglich gehalten hätten.“
Teuerste Wasserwerfer
Die beiden Formen des Widerstands sind indes nicht scharf getrennt. Man kann Plünderungen in der Schanze fürchterlich oder auch nur albern finden. Wenn etwa in Andalusien während der Hypothekenkrise Supermärkte ausgeräumt und deren Inhalte an jene verteilt wurden, die nichts mehr hatten, berühren sie sich dennoch.
Die Politik wird nun den Sicherheitsdiskurs verschärfen, damit sich solche Bilder nicht wiederholen. Doch Hamburg hat auch gezeigt: Selbst teuerste Wasserwerfer und Robocop-Hundertschaften können gegen eine fließend operierende Multitude nicht viel ausrichten. Der Geist einer rebellischen und zugleich solidarischen Globalisierung von unten ist aus der Flasche. Sie hat Mittel, die sie 2001 noch nicht hatte – und vor allem, sie hat neue Verbündete. Der Nimbus des Kapitalismus als naturgesetzlicher Form von Gesellschaft und Wirtschaft ist auch in der politischen Mitte zerstört. Er wird auch mit staatlicher Gewalt nicht wiederherzustellen sein.
Kommentare 52
Hoffnungsfrohe Botschaft. Danke ... will hoffen der letzte Satz bleibt wahr.
Hoffnungsfrohe Botschaft. Danke ... will hoffen der letzte Satz bleibt wahr.
Sowas kommt von sowas
«Der Nimbus des Kapitalismus als naturgesetzlicher Form von Gesellschaft und Wirtschaft ist auch in der politischen Mitte zerstört. Er wird auch mit staatlicher Gewalt nicht wiederherzustellen sein.»
Die Gewalt von Hamburg hat Ursachen. Die erste Ursache war die Schnapsidee, so einen Gipfel in unmittelbarer Nähe der Roten Flora abzuhalten. Das war (eigentlich) keine Provokation, sondern sehr viel schlimmer die Idee einer machtgeilen Mamma Dilemma, die mit Gewalt für die KapitalEigentümer und gegen die ZivilGesellschaft regiert und keinerlei Gespür für die Sozialen Belange hat.
Das Bundesamt für Immobilien hat genügend Objekte im Angebot, in denen so ein Gipfel von Regierungschefs sicher abgehalten werden kann. Wenn die Bundesregierung keine Vorkehrungen für eine sichere Durchführung eines Gipfels trifft, will sie das nicht und nimmt die voraussehbare und vorausgesehene Gewalt eines Mob billigend in Kauf, spekuliert geradezu darauf.
Ich betrachte die Gewalt von Hamburg als die Gegengewalt zu der Gewalt der Bundesregierungen, die hier den Billiglohn zum Wohle der Banken mit staatlicher Gewalt eingeführt hat, daran festhält und sie noch verschärft.
Wer kommt denn auf sowas?
«Der Nimbus des Kapitalismus als naturgesetzlicher Form von Gesellschaft und Wirtschaft ist auch in der politischen Mitte zerstört.»
Diesen Nimbus mag der Kapitalismus im 19. Jahrhundert noch gehabt haben. Spätestens mit der Einführung einer Verfassung hat das Naturrecht seine Berechtigung verloren. In einem verfassten Staat wird Recht gesetzt. Wer sich dann noch auf das Naturrecht beruft, steht außerhalb des Rechts.
Ein Beispiel:
Die Ehe ist ein Naturrecht seit eh und jeh, um die Aufzucht der Bälger zu sichern. Dieses Naturrecht legt keinerlei Regeln fest, wer mit wem eine Ehe eingeht, oder wieviele Menschen in dieser Ehegemeinschaft leben. Via Rechtsetzung ist in diesem Staat die Anzahl der Eheleute auf zwei Personen einge- oder be-schränkt.
Entsprechend ist auch der Kapitalismus kein Naturrecht, sondern so zu regeln, daß er der Gesellschaft dient und nicht nur den wenigen Reichen, die ihre Gewinne in Schurkenstaaten deponieren, damit die sich in der sozialen Hängematte leistungslos vermehren.
„Die Gewalt von Hamburg hat Ursachen. Die erste Ursache war die Schnapsidee, so einen Gipfel in unmittelbarer Nähe der Roten Flora abzuhalten. Das war (eigentlich) keine Provokation, sondern sehr viel schlimmer die Idee einer machtgeilen Mamma Dilemma, die mit Gewalt für die KapitalEigentümer und gegen die ZivilGesellschaft regiert und keinerlei Gespür für die Sozialen Belange hat.“
Darf man das auch weiter denken? In der Nähe radikaler Linker doch bitte keinen Globalisierungsgipfel, im im Bannkreis der Neuen Rechten doch bitte keine Asylunterkünfte und wo sich radikale Moslems niedergelassen haben könnte, sollte man aus sozialer Rücksicht doch bitte keine Synagogen errichten. Ist es das? Appeasement? Nur die Irren nicht reizen?
beschwichtigungs-versuche, eskalations-vermeidung,
konflikt-entschärfung als politisches mittel macht manchmal sinn.
aber auch: irre reizen kann was bringen:
wenn die gereizten sich irre gebärden,
lassen sie sich als kranke/gefährder aus-stellen,
und ihre energien treiben die mühlen anderer.
Ja, du darfst weiter denken!
Wenn diese unsere dumme Regierung mit Pauken und Trompeten zum Gipfel in Hamburg aufruft und die Polizei, wie der Geheimdienst sehr genau wissen, wer da kommt und ws die vorhaben, nehmen sie die Folgen billigend in Kauf. Leidtragende dieser verfehlten PolitShow sind vor allem die Hamburger Bürger*Innen.
Um deine Frage konkret zu beantworten:
«Wenn ich weiß, daß da ein Haifischbecken ist,
springe ich nicht hinein.»
der nimbus des k-systems als natürliche organisations-form hat sicher gelitten.
was an den offensichtlich-gewordenen fehlern
wird falschem ökonomischem/politischem management zugerechnet?
was besteht weiter an erwartungen/hoffnungen an das system,
dem viele produktivitäts-/reichtums-schaffung zu-trauen?
"aber auch: irre reizen kann was bringen:
wenn die gereizten sich irre gebärden,
lassen sie sich als kranke/gefährder aus-stellen,
und ihre energien treiben die mühlen anderer."
Und man kann die Moderaten dazu bringen, sich zu entscheiden und die Extremisten so isolieren. Das eleganteste Ziel ist immer, dass die Moderaten einer Richtung den Stall selbst ausmisten.
Dazu müssen sie sich entscheiden und man darf sie nicht in die Enge treiben. Aber wo der Bogen überspannt wird, muss man kritisieren, m.E. genau die Stelle, an der überzogen wird.
"Um deine Frage konkret zu beantworten:
«Wenn ich weiß, daß da ein Haifischbecken ist,
springe ich nicht hinein.»"
Das klingt für mich aber so, als sei das Gewaltmonopol des Staates ein Stück weit relativiert. Ich weiß nicht, ob man das laufen lassen sollte, denn in der Konseqeunz hieße das, dass man Regioherrscher akzeptiert.
Appeasement?./. Staatsgewalt
Die sozialen Brennpunkte und Slums fallen nicht vom Himmel, sind also kein «Unabwendbares Gottesgeschenk,» sondern von den Politiker*Innen der letzten 40 Jahre mit staatlicher Gewalt so geschaffen worden.
Der Staat ist kein anonymes Konstrukt, sondern die Summe der Leute, die in der Verwaltung des Staates arbeiten. Das beginnt bei der Verwaltung von «Gastarbeitern,» die sich nach einigen Jahrzehnten als dauerhafte Bürger*Innen herausstellen – sozusagen sehr plötzlich. Das geht über die Ignorenz der Verwaltung zu großen Flüchtlingsströmen – die plötzlich vor dem Kanzleramt stehen. Vor allem geht es um das wirtschaftsliberale Verbrechen, dem die Verwaltung der letzten Jahrzehnten die Raubzüge erlaubt hat. Es geht auch um ganze Bevolkerungsteile, die von der Verwaltung mit staatlicher Gewalt zur Billigarbeit gezwungen werden.
All das wurde mit staatlicher Gewalt von der Verwaltung dieser BananenRepublik Deutschland BRD bewirkt.
Und du wunderst dich über die Gegengewalt und stellst solche Fragen?, ...
«Das klingt für mich aber so, als sei das Gewaltmonopol des Staates ein Stück weit relativiert. Ich weiß nicht, ob man das laufen lassen sollte, denn in der Konseqeunz hieße das, dass man Regioherrscher akzeptiert.»
Wen meinst du mit «man,» meinst du niemanden, meinst du die Verwaltung, meinst du den Papst, Putin, Merkel oder meinst du Trump?
Demokratie lebt von Kompromissen, wenn du anderer Meinung bist, dann wünsch dir eine Regierung, die für dich alles regelt, die dir eine heile Republik vorgaukelt und die im Zweifel Pazer schickt, siehe TANK MAN HERO:
TANK MAN HERO:
„Die sozialen Brennpunkte und Slums fallen nicht vom Himmel, sind also kein «Unabwendbares Gottesgeschenk,» sondern von den Politiker*Innen der letzten 40 Jahre mit staatlicher Gewalt so geschaffen worden.
...
Und du wunderst dich über die Gegengewalt und stellst solche Fragen?, ...“
Nee, darüber wundere ich mich nicht, ich finde auch Ghettobildungen schlecht. Nur ist das immer leicht gesagt. Die einen wollen unter sich bleiben und die anderen bestimmte Leute nicht in ihrer Umgebung haben. Nur wie will man das ändern, ohne, dass wieder die eine oder andere Seite auf die Barrikaden geht?
„Wen meinst du mit «man,» meinst du niemanden, meinst du die Verwaltung, meinst du den Papst, Putin, Merkel oder meinst du Trump?“
Ich meine schon unsere Regierung und uns alle als Staat.
„Demokratie lebt von Kompromissen, wenn du anderer Meinung bist, dann wünsch dir eine Regierung, die für dich alles regelt, die dir eine heile Republik vorgaukelt und die im Zweifel Pazer schickt, siehe TANK MAN HERO:“
Kompromisse, klar. Aber soll es wirklich so laufen, dass hier eben diese oder jene Rockergang vorschreibt, was gespielt wird, da diese oder jene Mafiaorganisation, da radikalen Moslems, hier Linksextreme, da Rechtsradikale, da dieser oder jener Familienclan? Leben und leben lassen ist immer gut, aber wie es scheint hat der Staat mit der Laissez-Fair Methode nicht die besten Erfahrungen gemacht.
Und was heißt das für mich? Mein Recht in bestimmten Regionen selbst in die Hand zu nehmen oder drauf zu verzichten? Vielleicht sollte man dann so‘ne App rausgeben, wo in Deutschland wessen und welche Gesetze gelten, mit Empfehlungen zum Verhalten?
«Ich meine schon unsere Regierung und uns alle als Staat.»
Da unterscheide ich schon noch:
Mit «uns alle als Staat» schmeißt du sehr viel in einen Topf, rührst um und raus kommt Eintopf – der war mal 1.000 Jahre lang sehr populär.
Der Staat meint in erster Linie die Staatsorgane, die sich selbst sehr effektiv von der Zivilgesellschaft abgegrenzt haben. Ich gehöre zur Zivilgesellschaft und bin darum nicht der Staat.
«Leben und leben lassen ist immer gut, aber wie es scheint hat der Staat mit der Laissez-Fair Methode nicht die besten Erfahrungen gemacht.»
Mit Laissez-Fair Methode wird das wirtschaftsliberale Verbrechen bezeichnet und darüber gibt es ganze Bibliotheken – herzlichen Glückwunsch zu deinem Wirtschaftsideal, die Wiener Schule läßt grüßen:
Wikipedia: Laissez-faire
bpb: Laissez-faire
FRIEDRICH A. V. HAYEK
"Der Staat meint in erster Linie die Staatsorgane, die sich selbst sehr effektiv von der Zivilgesellschaft abgegrenzt haben. Ich gehöre zur Zivilgesellschaft und bin darum nicht der Staat."
Aber Du hattest ja gefragt, wen ich meine. Es ging um die Frage, ob man das Gewaltmonopol des Staates sausen lassen sollte und ich glaube, dass da niemand ein Interesse dran haben kann.
"Mit Laissez-Fair Methode wird das wirtschaftsliberale Verbrechen bezeichnet und darüber gibt es ganze Bibliotheken – herzlichen Glückwunsch zu deinem Wirtschaftsideal, die Wiener Schule läßt grüßen:"
Ich habe mich aber erkennbar nicht auf die Wirtschaft bezogen, sondern auf die Art des Umgangs mit der Akzeptanz eigener "Gesetze" bei nichtstaatlichen und kriminellen Institutionen, die "laissez faire" genannt wird. Wird eigentlich aus dem Kontext ersichtlich.
Der Kontext ist die Gewalt des Staatsverwaltung, die den Mob nach Hamburg eingeladen hatte, Vorkehrungen dagegen traf und Prioritäten der Sicherheit festgelegt hatte:
1. Sicherheit der Regierungschefs
2. Sicherheit der Veranstaltungen
...
n. Sicherheit der Hamburger Bevölkerung
Das nachfolgende Lamento des Polit*Personals war erkennbar hinterfotzig.
Eine erkennbar hinterfotzige Verwaltung agitiert aber vorsätzlich gegen die Zivilgesellschaft und mißbraucht ihr Machtmonopol, das ihr niemand streitig macht. Die ersten Leidtragenden dieses üblen Spiels sind die Polizisten, auf deren Rücken das ausgetragen wird. Vor diesem Hintergrund verstehe ich deine Relativierungsversuche nicht.
Ich versuche nichts zu relativieren. Als Relativierungsversuch empfinde ich es eher, die Ausschreitungen als irgendwie zwangsläufig und notwendig hinzustellen. Darum kann ich auch den Anfang des Artikels so nicht teilen, dort heißt es:
„Hamburgs G20-Tage markieren eine Zäsur. Auf den polizeilich erst verordneten und dann durchgeprügelten Ausnahmezustand folgt ein Backlash, den man in der immer noch relativ liberalen Bundesrepublik nicht erwarten konnte. Der Riot in der Schanze am 7. Juli hat einen regelrechten Volkszorn angestoßen. Die Stadt droht unverhohlen der gesamten außerparlamentarischen Linken mit Räumung, während Stadtteilzentren, Clubs, Buchverlage und andere linke Akteure mit Rachefantasien bombardiert werden.“
Vielleicht richtet sich der Zorn gar nicht gegen die Proteste, sondern die Gewalt während der Proteste? Vielleicht gar nicht gegen Linke, sondern gewalttätige Linke? Auch wenn – weitere Relativierungen – man sich ja eifrig Mühe gibt zu belegen, dass außer erlebnisorientierten Gewalttätern, Polizisten oder Rechtsradikalen als Agents Provocateur natürlich niemand gewalttätig geworden ist. Mit Sicherheit kein Linker, denn die tun sowas nicht.
Und was mich ärgert, ist einerseits die Gewalt, andererseits aber die Nonchalance mit der diese Gewalt aber sofort verstanden und durchgewunken wird, gegen das System der strukturellen Gewalt (wobei ein lausig undifferenzierter Gewaltbegriff unterstellt wird), im Kontrast zum Überschnappen wenn irgendwo angeblich „rechte Gewalt“ im Spiel ist.
Es scheint irgendwie schwer vorstellbar zu sein, dass man globalisierungskritisch eingestellt sein kann (was immer das auch bringt) und dennoch die Ausschreitungen nicht zu bejubeln.
Meine Eingangsfrage war, ob man mit Rücksicht auf soziale Belange jeder Splittergruppe ihren Exzess gönnt, weil die sich irgendwie provoziert fühlen, oder ob das nur für Linke gilt?
Deine Idee ist wirklich, dass der Staat (ohne Zivilgesellschaft) es bewusst auf Ausschreitungen angelegt hat, um dann die Linke zu schwächen? Die da, ja die SPD und die Grünen nicht zur Linken gezählt werden, so irgendwie bei höchstens 10% bei der Wahl landen werden? Wozu also? Cui bono? :-) Dazu nimmt man das alles in Kauf, damit die nicht auf schwindelerregende 12% kommen, wo sich doch viel mehr auf das Abschneiden der AfD konzentieren wird, wie ich mal vermute?
"In der Nähe radikaler Linker doch bitte keinen Globalisierungsgipfel, im im Bannkreis der Neuen Rechten doch bitte keine Asylunterkünfte und wo sich radikale Moslems niedergelassen haben könnte, sollte man aus sozialer Rücksicht doch bitte keine Synagogen errichten. Ist es das?"
Das wäre die kluge Vorgehensweise.
Schlichtere Gemüter bevorzugen lieber die kraftmeierische Vorgehensweise, die sich nicht um die Umstände schert und unter enormen Aufwand an Personal und Kosten potentiellen Unruhestiftern das Fürchten lehren will. Mit blutender Nase kann dann hinterher stolz verkündet werden: "Wir sind nicht zurückgewichen!".
Wenn ich eine Zusammenkunft oder ein Projekt plane, prüfe ich immer, welches Umfeld geeignet ist und wähle den Ort entsprechend aus. Im Gegensatz zu Politikern muss ich allerdings für die Folgen einer schlechten Wahl auch selbst gerade stehen.
Suggestivfrage: «Deine Idee ist wirklich, dass der Staat (ohne Zivilgesellschaft) es bewusst auf Ausschreitungen angelegt hat, um dann die Linke zu schwächen? »
Für so schlau halte ich die nun auch wieder nicht, die Polit*Planer, angefangen bei Mamma Dilemma, hatten mir zu viel Gewalt billigend in Kauf genommen, ALTERNATIVLOS, wie die nun mal denken.
Die Linke ist immer noch ein Gemenge sehr verschiedlicher ideologischer Richtungen. In Hamburg hatte sich Jan van Aken nicht von der Gewalt distanziert, das sehe ich als Fehler an und das wird der gesamten Partei angelastet.
Damit wir uns hier nicht mißverstehen, Gewalt in jeder Form lehne ich ab. Ich lehne aber auch die Gewalt des Staates ab, der zur Gewalt provoziert.
"Wenn ich eine Zusammenkunft oder ein Projekt plane, prüfe ich immer, welches Umfeld geeignet ist und wähle den Ort entsprechend aus."
Das ist ja auch in Ordnung, wenn es um ein Konzert, eine Messe oder so etwas geht. Blöd, wenn die Zielgruppe 50 Kilometer weg wohnt.
Aber hier geht es doch darum, ob man jemandem ein Stück dessen überlässt - das Gewaltmonopol - was per GG dem Staat (aus gutem Grund) gehört.
«Aber hier geht es doch darum, ob man jemandem ein Stück dessen überlässt - das Gewaltmonopol - was per GG dem Staat (aus gutem Grund) gehört. »
Im Prinzip ja, aber es gibt Juristen und Ökonomen, die sich auf das Naturrecht berufen und die Rechtssetzung einer kleinen Clique von Parteipolitiker*Innen für Illegal halten.
„Für so schlau halte ich die nun auch wieder nicht, die Polit*Planer, angefangen bei Mamma Dilemma, hatten mir zu viel Gewalt billigend in Kauf genommen, ALTERNATIVLOS, wie die nun mal denken.“
Besonders schlau fände ich das nun nicht, aber ich finde, man kann andere auch unterschätzen. Alle als Vollpfosten zu sehen, die irgendwie in der Politik sind, das finde ich verfehlt. Die Politik hat ihre eigenen Gesetze, die ich nicht prickelnd finde, weil da m.E. recht problematisch selektiert wird und Merkel hat mir wegen ihrem notorischen Opportunismus und ihrer damit kontrastierenden Härte, die ich primär dann sehe, wenn es um eigenen Machterhalt geht, noch nie gefallen, aber selbst Frau Merkel halte ich nicht für blöd. Mich stören ihre Prinzipien, bzw. dass sie in meinen Augen keine hat.
„Die Linke ist immer noch ein Gemenge sehr verschiedlicher ideologischer Richtungen. In Hamburg hatte sich Jan van Aken nicht von der Gewalt distanziert, das sehe ich als Fehler an und das wird der gesamten Partei angelastet.“
Ich weiß auch nicht, vielleicht ist es nur so ein Gefühl von mir. Mir geht es gar nicht um die 172. Distanzierung von dem und dem. Ich will irgendwie das Gefühl haben, dass diese Distanzierungen keine Pflichtübungen sind, von Leuten, die klammheimlich grinsen. Distanzieren muss man sich ja immer nur – oder meint es zu müssen – wenn mal wieder was Schauriges passiert ist. Es ist eher die ritualisierte Gewalt, die mir auf den Sack geht und da ist es mit egal, aus welcher Ecke die kommt. Einen x-beliebigen Vorwand um Gewalt auszuüben, findet man immer, aber der Kampf gegen strukturelle Gewalt gehört nun zu den saublödesten, die mir je untergekommen sind. Nicht nur, weil das wie der Protest mit dem Presslufthammer gegen Lärmbelästigung wirkt, sondern so unendlich vorgeschoben.
„Damit wir uns hier nicht mißverstehen, Gewalt in jeder Form lehne ich ab. Ich lehne aber auch die Gewalt des Staates ab, der zur Gewalt provoziert.“
Okay, was könnte Dich so provozieren, von Seiten der Gewaltausübung des Staates, dass Du Deinem Nachbarn das Auto abfackelst? Ich bin nicht mal per se gegen Gewalt. Aber wo es nicht Notwehr oder äußerster Affekt ist, kann selbst das mit Augenmaß geschehen. Das sollte man einfordern dürfen, auch von anderen.
Von Polizisten erwarte ich, dass die Profis sind, aber wenn jemand schon 50 Demos organisiert hat, ist er auch Profi. Man kann auf beiden Seiten bewusst eskalieren und deseskalieren und warum sich nicht mal Konzepte zur Deseskalation in den eigenen Reihen ausdenken, zumal, wenn es (angeblich) gar nicht die eigenen Reihen sind. Wieso nicht, dem Maskierten, der dafür sorgt, dass ich dumm dastehe, mal … [hier könnte ein kreativer Vorschlag stehen]?
"Im Prinzip ja, aber es gibt Juristen und Ökonomen, die sich auf das Naturrecht berufen und die Rechtssetzung einer kleinen Clique von Parteipolitiker*Innen für Illegal halten."
Recht ist m.E. ein kulturelles Konstrukt, es aus der Natur abzuleiten, die höchstens das Recht des Überlegenen kennt - aber das ist gerade kein Recht - finde ich unüberzeugend.
"Aber hier geht es doch darum, ob man jemandem ein Stück dessen überlässt - das Gewaltmonopol - was per GG dem Staat (aus gutem Grund) gehört."
Wenn das Gewaltmonopol des Staates in relevanter Weise (tatsächlich wird es ständig in kleinerem Umfang missachtet) in Frage gestellt wird, dann hat der Staat etwas verkehrt gemacht, was durch eine Militarisierung der Polizei und Einschränkung von Bürgerrechten nicht in Ordnung zu bringen ist.
Aber wer Polizei-Armeen, deren Mannschaftsstärke etliche Truppenverbände in Kriegsgebieten übertreffen, gegen Demonstranten aufmarschiere lässt, hat selbst ein Gewaltproblem. Dem geht es nicht mehr darum, Probleme zu lösen, sondern zu zeigen, wer der Stärkere ist.
«Einen x-beliebigen Vorwand um Gewalt auszuüben, findet man immer, aber der Kampf gegen strukturelle Gewalt gehört nun zu den saublödesten, die mir je untergekommen sind. »
Bereits weiter oben hatte ich darauf hingewiesen, daß diese Gewalt ihre Ursachen hat. Wenn du diese Ursachen ausblendest und dem Staat weiter sein Gewaltmonopol belassen willst, wirst du eines Tages aufwachen und feststellen, daß dein Staat eine Zwangsjacke ist.
Die Ursachen dieser Gewalt in Hamburg liegen im Abbau von sozialen und bürgerlichen Rechten. Die Autonomen Gruppe, du kannst auch Anarchistische Gruppensagen, berufen sich auf ein Naturrecht, das auch im Artikel 20 GG Satz 4 steht. Die reagieren also auf einen erkennbaren Mißbrauch der staatlichen Gewalt.
Nochmal, Naturrecht, ist ein relativ fest umrissener Begriff.
«Okay, was könnte Dich so provozieren, von Seiten der Gewaltausübung des Staates, dass Du Deinem Nachbarn das Auto abfackelst?»
Findest du diese persönliche Frage sehr intelligent?, ich war seit 1968 auf keiner Demo mehr, weil in einem Mob und im Krieg keine Gesetze gelten, sondern Massendynamik.
Recht ist m.E. ein kulturelles Konstrukt, --- und Recht hat der, der es beugt.
ff.
Das KapitalVerbrechen, das Mamma Dilemma und ihr Finanzminister, der Schrottpapiersteinbrück, damals begangen haben, betrifft jeden einzelnen Bundesbürger und jede einzelne Bundesbürgerin – auch dich persönlich.
„Wenn das Gewaltmonopol des Staates in relevanter Weise (tatsächlich wird es ständig in kleinerem Umfang missachtet) in Frage gestellt wird, dann hat der Staat etwas verkehrt gemacht, was durch eine Militarisierung der Polizei und Einschränkung von Bürgerrechten nicht in Ordnung zu bringen ist.“
Ich glaube nicht, dass das (meinetwegen mit einem einschränkenden: allein) in der Verantwortung des Staates liegt. Wäre mir zu einfach, alles dem Staat in die Schuhe zu schieben und auch zu trist, wenn ich andersrum ständig denken müsste, dass mein Glück vom Staat abhängt. Wenn es am Staat liegt, dann ziemlich über Bande.
„Bereits weiter oben hatte ich darauf hingewiesen, daß diese Gewalt ihre Ursachen hat. Wenn du diese Ursachen ausblendest und dem Staat weiter sein Gewaltmonopol belassen willst, wirst du eines Tages aufwachen und feststellen, daß dein Staat eine Zwangsjacke ist.“
Sowas hier zu schreiben, ist schon kühn. Wie würde eine Freiheit denn aussehen, die aktuell vom Staat behindert wird? (Der reale, vergleichende Blick ist hier ja eher unbeliebt.)
„Die Autonomen Gruppe, du kannst auch Anarchistische Gruppensagen, berufen sich auf ein Naturrecht, das auch im Artikel 20 GG Satz 4 steht.“
Da glaub‘ ich nicht im Traum dran. Die Herleitung möchte ich mal lesen, vor allen Dingen hören, wer sie aus dem Stehgreif aufsagen kann. Du?
„Findest du diese persönliche Frage sehr intelligent?, ich war seit 1968 auf keiner Demo mehr, weil in einem Mob und im Krieg keine Gesetze gelten, sondern Massendynamik.“
Das ist richtig, man kann aber versuchen, nicht Teil des Mobs zu werden, oder eben, wie Du dann nicht mehr hinzugehen.
Nachdem das Video auch im vierten Anlauf nicht richtig läuft, habe ich es dann nur sporadisch geschaut. Aber wie viele Theorien über das Geldwesen gibt es? Jeder findet, was er sucht und letztlich scheint sich das rationalen Regeln weitgehend zu entziehen.
„Das KapitalVerbrechen, das Mamma Dilemma und ihr Finanzminister, der Schrottpapiersteinbrück, damals begangen haben, betrifft jeden einzelnen Bundesbürger und jede einzelne Bundesbürgerin – auch dich persönlich.“
Natürlich. Alles betrifft mich persönlich. Mein Argument ist nicht, dass ich der Welt entrückt bin und mit ihr nichts zu tun habe, sondern eher, dass es 20 andere Bereiche in meinem Leben gibt, die mir deutlich näher liegen, mich viel direkter betreffen. Mir wird das zu oft vergessen, gerade von Menschen, die schwer politisiert sind. Nicht dass man nicht auch politisch interessiert und engagiert sein kann und dies nicht auch wichtig ist, aber die Ausfahrt, dass dies und das alles Schuld der Politik sei, ist mir oft zu kurz gesprungen und wirft mit der eigenen Verantwortung auch eigene Einflussmöglichkeiten und Freiheiten weg. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur politisch unmusikalisch.
Den Biedermann habe ich gelesen.
Denk mal darüber nach, ob das zutrifft:
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
„...und auch zu trist, wenn ich andersrum ständig denken müsste, dass mein Glück vom Staat abhängt.“
Ständig denken müssen Sie das nicht, Sie können sich frei wähnen wie ein Vogel. Aber Verkehrswege, Kanalisation, Müllbeseitigung, Schulen, medizinische Versorgung, Parkanlagen, Konzerthäuser usw.tragen nicht unwesentlich zum Lebensglück bei und das nicht nur über Bande, sondern ganz direkt.
„Denk mal darüber nach, ob das zutrifft:
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 20“
Das ist eben die Frage, wo man die Messlatte anlegt. Da kann ein Linker sich ebenso aufgerufen fühlen, wie ein Rechter.
Der Linker könnte sich gegen die Unausweichlichkeit mit dem konfrontiert zu werden, was man Neoliberalismus nennt aufregen, ein Rechter darüber, dass Merkel es zulässt, dass hier zu viel Migranten ankommen. Ist ja auch geschehen, die Frage ist, wie eng oder weit man Absatz (2) interpretiert, der ja eine direktere Form der Demokratie einschränkt.
Über den Sinn und Unsinn sich auf Absatz (4) zu berufen, kann man streiten. Ich sehe das nicht gegeben, weil eben ein paar Dresdner Spaziergänger sowenig das Volk repräsentieren, die Hamburger Vermummte, auch wenn sich beide in der Rolle sehen mögen.
Mal abgesehen von der Frage, ob man „die Globalisierung“ einfach so stoppen kann, steht da ja noch die Frage in Raum, ob eine Mehrheit das überhaupt will. Weil Du ja schon Artikel 20 ins Spiel gebracht hast. Klar, zeichnet man ein Bild von den grauenvollen Folgen der Globalisierung und fragt dann, ist eine Mehrheit vermutlich dagegen, macht man es anders herum und zeichnet ein Bild der Vorzüge, ist die Mehrheit vermutlich dafür. Und wenn die Linke die einzige echte Antiglobalisierungspartei sein sollte: man kann sie ja wählen, das steht jedem frei.
Ansonsten gibt es m.E. eine Fülle von Änderungen im System, die man durchführen könnte und die m.E. auch denkbar und attraktiv bis notwendig sind. Von einem BGE, was angesichts der demographischen Entwicklung und des zu erwartenden Rentenkollaps tatsächlich immer attraktiver wird, endlich mal eine ernstgemeinte Reform der Energiepolitik u. dgl. m..
Sogar dagegen, dass das Gewaltmonopol ständig missachtet wird könnte man was tun. Hier sehe ich zu einem größeren Teil die Zivilgesellschaft in der Pflicht, über eine Reetablierung von Moral, für viele Linke leider ein rotes Tuch. Dies ginge am ehesten über eine Erkenntnis dessen, was der Ödipuskomplex ist, was er für Vorzüge bringt und wogegen er helfen könnte. Wäre das dem Staat anzulasten, wie grashalm anmerkt, dann am ehesten durch eine Schwächung der klassischen Familie, ohne, dass die Alternativen in der Breite überzeugen würden. Ein klassisch linke Position, formuliert von Adorno und Horkheimer.
„Ständig denken müssen Sie das nicht, Sie können sich frei wähnen wie ein Vogel. Aber Verkehrswege, Kanalisation, Müllbeseitigung, Schulen, medizinische Versorgung, Parkanlagen, Konzerthäuser usw.tragen nicht unwesentlich zum Lebensglück bei und das nicht nur über Bande, sondern ganz direkt.“
Ja, klar und das nehme ich auch gerne und dankend mit. Aber Freiheit steht (streng philosophisch) innerhalb, nicht außerhalb von Bedingungen. Insofern gibt es Grund dankbar zu sein und die Grundlagen dieser Freiheit zu nutzen, dann aber auch versuchsweise seinen Weg zu gehen.
Das GG beschreibt ein Ideal, an dem wir uns orientieren können; der Art 3 GG harrt ja auch noch seiner Beachtung. Zum Art 20 GG Satz 4 nur so viel: Widerstand ist ein sehr dehnbarer Begriff und reicht vom Streik oder Baykott bis zu brennenden Autos und Bürgerkrieg.
Darum bin ich der Meinung, daß eine demokratische und soziale Politik gut beraten ist, wenn die Lebensverhältnisse harmonisiert werden und nicht eskaliert zum Nutzen weniger Reicher.
„Darum bin ich der Meinung, daß eine demokratische und soziale Politik gut beraten ist, wenn die Lebensverhältnisse harmonisiert werden und nicht eskaliert zum Nutzen weniger Reicher.“
Das teile ich in jedem Fall. Finde ich auch gut, wenn etwas dafür getan wird. Jeder scheint da so seine Schwerpunkte zu haben und muss dafür werben, dass es in die Richtung geht, die er oder sie präferiert. Ich denke, es wird da eine Menge von organischen Überschneidungen geben, jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, dass alles was ich richtig und wichtig finde, sich mit Maßnahmen zum Umweltschutz, zur sozialen Gerechtigkeit und zu einer neuen Energiepolitik überschneiden.
Ich bin eher für einen Abbau an Politik, durch direkte Kommunikation mit der Wirtschaft, kluge Regioprojekte der Bürgerbeteiligung, wie sie bspw. Leggewie vorschlägt und in die Tat umsetzt, so dass Politiker entlastet werden und sich um das kümmern können, wofür sie gewält wurden. Moralische Integrität finde ich dabei ebenfalls von überragender Bedeutung, sowie ich die Einsicht in die Wichtigkeit der genannten Punkte (und weiterer Ergänzungen) als eine Bewusstseinsfrage ansehe.
Entsprechend sehe ich die Regressionen, die wir seit 30 bis 40 Jahren erleben nicht primär als eine Frage ob und inwiefern sich die Geldmenge vergrößert hat, sondern wie sich unser Bewusstsein weiter entwickelt. Man muss eine gewisse Reife haben, um weiter als bis zur eigenen Nasenspitze zu denken. Dass es im Moment Mode ist, nur bis zu ihr zu denken, ist m.E. keine Frage der Geldmenge auf dem Markt, oder irgendwelcher Megakonzerne auf dem Weltmarkt.
Bewusstsein entwickeln
«Entsprechend sehe ich die Regressionen, die wir seit 30 bis 40 Jahren erleben nicht primär als eine Frage ob und inwiefern sich die Geldmenge vergrößert hat, sondern wie sich unser Bewusstsein weiter entwickelt. »
Die Regression seit ca. 40 Jahren ist sozialer Natur, bzw. Politik. Das ist ganz gewiß keine Frage der Geldmenge, die sich vorwiegend in den Schurkenstaaten leistungslos vermehrt. Nicht einmal Politiker*Innen, die über geldpolitische Dinge abstimmen, wissen was sie tun. Darum vergebe ich denen NICHT, denn die haben die Pflicht, sich kundig zu machen und dann zwischen mehreren Alternativen zu entscheiden. Fällt die Entscheidung zu Gunsten der Parteispende aus, sind die Politiker*Innen schlichtweg korrupt.
Das Wissen für diesen integralen Bestandteil der Regeln in der Parteienfinanzierung gilt es allgemein bewußt zu machen.
Für die große Wut von Hamburg habe ich durchaus Verständnis und in die Stunde-Null-Euphorie kann ich mich hineinversetzen, das war 68 ähnlich mit der demonstrierten Regelverletzung. Nur wird das ziel- und strategielose Ausagieren der Wut wie beim Maschinensturm im frühen Kapitalismus verpuffen und in einen lähmenden Kater münden, das wird im Endeffekt den Antikapitalismus schwächen. Wohlgemerkt, ich kritisiere den Wutausbruch nicht und ebensowenig distanziere ich mich von den Wütenden (da hat van Aken absolut richtig reagiert, indem er sich geweigert hat, die Ablehnung von Gewalt zum Instrument der Spaltung der Linken zu machen – wie schon in einer früheren Diskussion hervorgehoben sind die Demonstrationsteilnehmer, die den Gewaltexzess geplant hatten, für die die Gewalt Selbstzweck ist, keine Linken, sondern Trittbrettfahrer der erwartbaren Gelegenheiten). Aber die unmittelbare linke Wut ist falsch, in ihr sind die Handelnden keine Subjekte, sondern Gefühlsgetriebene. Sollte es einmal zu einem erfolgreichen Aufstand kommen, wird er sich wahrscheinlich auch auf solche emotionalisierten Teilnehmer stützen, aber sein Erfolg hängt davon ab, daß er mehrheitlich von der kalten kognitiven Wut dominiert wird und so klug einen Weg in eine Alternative bahnen kann. Die Parole „Empört euch“ ist nur richtig, wenn sie den emotionalen mit dem kognitiven Widerstand verbindet, und so war sie ja auch gemeint.
Es werden im Blog zwei Aspekte einer neuen Qualität des Widerstands benannt, neben der Wut, die zeigt, daß wir uns nicht mehr repräsentiert fühlen und keine Ruhe geben, der Aufbau von Gegenstrukturen im Kleinen, der Aufbau einer alternativen Praxis. Dies verdient den größten Respekt, es ist konstruktive Kritik. Dennoch gibt es auch hier massive Einwände, nicht gegen die alternative Praxis, aber gegen die vielfach damit verbundene Illusion, daß dies ein evolutionärer Weg aus dem Kapitalismus sein könne. Denn die Tatsache, daß der Kapitalismus subkulturelle Nischen erlaubt, bedeutet nicht, daß er zu schwach ist, dies zu verhindern, er macht noch mit dem Design und der Mythologisierung der Revolution sein Geschäft.
Aber neben solcher Fehleinschätzung der Bedeutung von linken Nischen ist ein prinzipielleres Argument zu beachten. Die hier formulierte Verräumlichung des Konflikts meint ja, daß dem Kapitalismus immer mehr Räume abgenommen werden, daß immer mehr antikapitalistische Inseln entstehen, zusammenwachsen, das Imperium durchlöchern. In dieser Perspektive ist der gesellschaftliche Antagonismus nicht mehr ein Klassengegensatz, also ein Interessenskonflikt zwischen Menschengruppen, sondern ein Konflikt zwischen den Menschen und der abstrakten Organisationsform des Staates, nicht mehr der Klassenstaat als staatliche Organisation im Dienste einer Klasse, sondern der Staat schlechthin. Dies läuft auf ein Zurück zu einer vorstaatlichen, einfach überschaubaren Welt der engen Nachbarschaftlichkeit hinaus. Das ist zwar tatsächlich alternativ zum Kapitalismus, aber es ist nicht links im klassischen Sinne, sondern tendenziell konservativ. Das merkt auch der Blogautor Niels Boeing. So deutet er den Protest richtig als der kapitalistischen Globalisierung entgegengesetzte antikapitalistische Globalisierung der einen Welt für alle Menschen, als den des globalisierten Weltbürgers. Das ist in der Tat klassisch links, aber damit formuliert er den krassen Gegensatz von Weltbürgertum, das nicht ohne abstrakte Organisationsformen auskommt, in diesem Sinn den Staat des Weltbürgers benötigt, und Regionalismus, der auf Abstraktionen weitgehend verzichten kann, aber auch auf die Vorteile einer vernetzten, metropolisierten Welt verzichten muß.
„Fällt die Entscheidung zu Gunsten der Parteispende aus, sind die Politiker*Innen schlichtweg korrupt.
Das Wissen für diesen integralen Bestandteil der Regeln in der Parteienfinanzierung gilt es allgemein bewußt zu machen.“
Ja, das sollte man wissen. Allerdings ist da m.E. recht viel hoffnungslos verfilzt. Und viele Menschen wollen es nicht wissen bzw. zucken mit den Schultern. Die Alternative wäre, Korruption stärker zu sanktionieren, was allerdings wieder eine Frage der Moral ist. Nicht der aufgesagten, sondern, der praktizierten.
„Aber neben solcher Fehleinschätzung der Bedeutung von linken Nischen ist ein prinzipielleres Argument zu beachten. Die hier formulierte Verräumlichung des Konflikts meint ja, daß dem Kapitalismus immer mehr Räume abgenommen werden, daß immer mehr antikapitalistische Inseln entstehen, zusammenwachsen, das Imperium durchlöchern. In dieser Perspektive ist der gesellschaftliche Antagonismus nicht mehr ein Klassengegensatz, also ein Interessenskonflikt zwischen Menschengruppen, sondern ein Konflikt zwischen den Menschen und der abstrakten Organisationsform des Staates, nicht mehr der Klassenstaat als staatliche Organisation im Dienste einer Klasse, sondern der Staat schlechthin. Dies läuft auf ein Zurück zu einer vorstaatlichen, einfach überschaubaren Welt der engen Nachbarschaftlichkeit hinaus. Das ist zwar tatsächlich alternativ zum Kapitalismus, aber es ist nicht links im klassischen Sinne, sondern tendenziell konservativ.“
Schöne Erklärung.
Die Frage ist, ob das notwendig ein Gegensatz sein muss. Den Staat zu zerlöchern oder zu verschlanken, so dass er auf Kerngebiete reduziert wird, kann ja in der Folge durchaus auch heißen, dass sich Klassenunterschiede angleichen, zumal es ja auch heißt, dass Vertreter der (auch staatlichen) Eliten, sich wechselseitig Posten, Geld und Einfluss zuschieben.
Hier ist eben auch wieder die Frage, wie man den Staat sieht und will. Man kann schlecht auf der einen Seite sagen, so ein bisschen würde man doch stets vom Gewaltmonopol abrücken, das sei eben kluger Pragmatismus und dann, eine Ebene weiter, den idealen Staat fordern, der nicht mit der Wirtschaft kungelt – auch dies könnte man ja als gelassenen Pragmatismus durchwinken.
Warum sollten nicht verschiedene Elemente zusammen wirken, subsidiär? Eine zu große Abstraktion – irgendwie sind wir alle Menschen und Weltbürger, oder auch Menschen dieser einen Welt, kann den Nachteil mit sich bringen zu abstrakt zu sein, um fassbar zu werden und Raum für Identifikationen zu geben. Nun hat man schon die familären Strukturen aufgeweicht, geschieht dies auch noch mit den Nationen, bricht ein nächster aktueller Eckpfeiler der Identifikation weg.
Die Störung der Identität sorgt aber anders herum wieder dafür, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die unfähig und unwillig sind, sich irgendwo einzubinden, was die Krise (wenn man sie als solche empfindet) noch weiter verstärkt. Das Ergebnis ist kein Weltmensch, sondern einer der immer mehr um sich selbst kreist, weil ihm Identifikations- und Rollenangebote entzogen wurden.
Das ist eine wesentliche Ursache dafür, warum sich niemand für den Staat und seine Repräsentanten interessiert. Man hat innerlich das Gefühl nichts damit zu tun zu haben. Eine unschöne Tendenz.
Den Staat zu zerlöchern ... kann ja ... auch heißen, dass sich Klassenunterschiede angleichen, zumal ... Vertreter der (auch staatlichen) Eliten, sich wechselseitig Posten, Geld und Einfluss zuschieben.
Es gibt Länder, in denen die Staatsorgane das Zentrum der Korruption sind. Das gilt allerdings nicht für die Länder des entwickelten Kapitalismus. In ihnen kann man nur richtig reich werden durch Kapitalakkumulation, und die ist kein Akt des Raubs oder Betrugs (wenn man von dem systemischen Betrug des Profits absieht), sondern der erfolgreichen Vermarktung und des Warentauschs (Äquivalententauschs).
... den idealen Staat fordern, der nicht mit der Wirtschaft kungelt – auch dies könnte man ja als gelassenen Pragmatismus durchwinken.
Wiederum: im entwickelten Kapitalismus kungelt nicht der Staat mit der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft, richtiger die wirtschaftlich Mächtigen diktieren weitgehend die politischen Rahmenbedingungen (Primat der Wirtschaft).
Warum sollten nicht verschiedene Elemente zusammen wirken, subsidiär?
Sie müssen sogar. Keine gesellschaftliche Großorganisation könnte ohne Subsidiarität existieren. Das hat die Systemtheorie hervorragend begriffen. Der Kapitalismus hat nicht die unteren Ebenen abgeschafft, sondern in eine kapitalistische Form gebracht. Allerdings ist völlig richtig, daß die Funktionsweise dieser unteren Ebenen empfindlich gestört ist, sie nicht mehr die Integration leisten können wie zuvor. Überspitzt formuliert: die Identität des kapitalistischen Individuums ist leer, daher funktioniert es auf der höheren Ebenen nicht in seiner Allgemeinheit, sondern nur als Abstraktion, sein Weltbürgertum ist nur ein formaler Kosmopolitismus, die eine Welt des globalisierten Kapitals. Das ist die große Gleichgültigkeit dieser entsubstantialisierten Gesellschaftsordnung.
„Überspitzt formuliert: die Identität des kapitalistischen Individuums ist leer, daher funktioniert es auf der höheren Ebenen nicht in seiner Allgemeinheit, sondern nur als Abstraktion, sein Weltbürgertum ist nur ein formaler Kosmopolitismus, die eine Welt des global.
Ja, das teile ich als Diagnose gerne. Nur ist es nun nicht allein die Entfremdung (ein ohnehin umstrittener Begriff) von oder in der Arbeit, die hier problematisch ist, sondern die Zerstörungen sinnstiftender Instanzen. Was gibt es denn noch an überpersönlichen Instanzen, die nicht attackiert und mindestens teilweise zerstört wurden? Familie, Religion, Staat, Tradition, vieles davon ist doch gerade bei Linken schlecht angesehen, obwohl psychologisch längst rehabilitiert. Womit soll ich mich noch identifizieren? Was bleibt, ist Kultur, aber auch die ist ausdifferenziert und zum nicht unerheblichen Teil verflacht und verprollt.
Identifiziere ich mich aber nur noch mit mir oder Projekten der Verlängerung des Selbst, wird die Misere weiter fortschreiten. Die erhofften Bindekräfte der Rationalität reichen nicht hin. Wer althergebrachte Identitätsangebote zerstört und auf adäquaten Ersatz verzichtet, muss sich nicht wundern, wenn in das Vakuum extremistische Angebote stoßen. Und je weiter weg das Ziel gewählt wird, umso größer der Missbrauch und die Fehlinterpretation. Alles auch Weltrettung ist zu viel, zu groß, zu abstrakt und lockt überdies die falschen an.
Subsidiarität heißt vor der eigenen Türe zu kehren. Wenn man dann keine Kraft mehr hat, okay, ist tatsächlich auch anspruchsvoll genug. Wer dann noch weiter kann und will, kann sich um seine Nachbarn kümmern. Und so, konzentrisch, die Kreise im Sinne des Umfangs und der Bedeutungstiefe immer weiter ziehen. In Weltrettungsprojekten steckt für meine Geschmack oft 90% oder mehr Projektion. Alle sollen so leben, wie ich es für richtig halte, damit ich mich um meine Probleme kümmern muss, denn ich mache sie einfach zu Problemen der Welt. Das hat noch nie geklappt.
Die behauptete primzipielle Übergeordnetheit oder Erstrangigkeit der politischen Rahenbedingungen, erscheint mir zweifelhaft.
kurz: familie,religion, staat ,tradition sind nicht opfer der linken.
das hat sich durch den aufkommenden kapitalismus zersetzt(siehe kommunist.manifest). die aussicht auf ein mehr selbst-bestimmteres leben hat anziehungs-kraft, ein reicheres leben lockt.
was hat psychologie zurecht gerückt ?
das alles nicht ganz so simpel mach-bar ist.
„kurz: familie,religion, staat ,traditionsind nicht opfer der linken.
das hat sich durch den aufkommenden kapitalismus zersetzt(siehe kommunist.manifest).“
Ja, stimmt, besonders in der Frühphase, Du sagtest ja auch „aufkommemden“. Die Industrialisierung konnte halten, was die Stellvertreter Gottes nur versprechen konnten, das überzeugte. Aber dann war erst mal Pause, je nach Lesart und vieles hat sich stabilisiert.
Bis etwas 1970 war das well over 90%, für die beiden Großreligionen, knapp 50 Jahre später sind die zusammen bei etwas über 50%, aber gleichzeitig ist auch das Vertrauen in Politik, aber auch Wissenschaft und sonstige Institutionen massiv gesunken.
„was hat psychologie zurecht gerückt ?“
Die Idee, dass die Bindung an eine Religion oder den Staat schlecht sei.
„das alles nicht ganz so simpel mach-bar ist.“
Das ja sowieso nicht. Die Diagnose hat sich ja noch nicht mal annähernd durchgesetzt. Da reden alle von der Goldpreisbindung, aber hast Du jemals jemanden gehört, der das im real life als Begründung geliefert hat. Da spielen andere Dinge ne Rolle, eben die Unfähigkeit sich auf was einzulassen, was den ersten Regen übersteht. Ex und hopp. Der Kapitalismus erzieht weniger dazu, als die meisten denken, der liefert nur. Aber warum ist auf einmal nichts mehr was wert? Woher all die Zweifel und das Misstrauen. Dass die Verschwörungshansel Konjunktur haben, ist ja nur das Symptom.
ich meinte:
die erfolgreiche anpassung an die imperative
des bürgerlichen erfolgs-kodex ist für die meisten
frustrations-haltig.
den träumen/versprechungen/anreizen stehen steine
im weg in aus-bildung,beruf und paar-findung.
sollte ein quasi-religiöses diesseits-vertrauen bestehen,
gerät das auf einen harten prüfstand(bei zu-züglern umso mehr).
wo herkunfts-familien unter belastung die grätsche machen,
die frühe sozialisation prekär verläuft(wo nicht?),
sind gestiegene anforderungen der modernen gesellschaft
zu vermuten.
sozialisation in traditionellen gesellschaften ist dagegen: fast ein klacks.
oder?
Jetzt habe ich verstanden, was Du meintest.
Der letzte Punkt ist schwierig:
"sozialisation in traditionellen gesellschaften ist dagegen: fast ein klacks.
oder?"
Ich weiß es nicht. Sicher haben die klarere Rollen gehabt, die es zu erfüllen gab (irgendwann zwischendruch vielleicht auch mehr Menschen als Rollen), aber wenn die auch in größerer Zahl vorhanden waren, so waren die vermutlich mitunter auch schwer zu erfüllen, wenn der Schuh nicht passte und/oder man in die Rolle geprest werden sollte. Der Aufstand gegen die Rollen war ja lange Zeit Thema und ein Teil der Misere heute ist vielleicht auch, dass wir oft einen Phantomkampf führen. Vermutlich war es nie so leicht wie heute, aus den Rollen auszubrechen. Wir bellen den falschen Baum an, die Rollen enegen uns nicht ein, sie geben uns nichts mehr zurück, keine Identität, die trägt. Wir sind immer öft niemand mehr, weil einfach jeder alles sein uns spielen kann.
Darauf sind wir stolz, aber wir erkennen den Dolch im Gewand nicht.
ein un-moderner, traditioneller jäger zu werden
in einer jäger-gesellschaft(hirte unter nomaden)ist nicht so schwer:
man muß ungeschicklichkeiten meiden lernen,
die den erfolg erschweren.
um der beste zu werden, brauchts keinen übertriebenen ehrgeiz. oder?
moderne soziale rollen in differenzierten gesellschaften
sind nichts anderes als erwartungen anderer an einen.
und es gibt eine menge erwartungen mehr
als die eines traditionellen familien-verbands.
die übernahme einer rolle(role-taking) ist einfacher bei eindeutigen
erwartungen.
die eigen-ausgestaltung der rolle(role-making) hängt auch vom grad
der selb-ständigkeit/un-abhängigkeit ab.
wenn man einem ehrgeizigen,selbständigen script
(entwurf eines films, in dem man haupt-darsteller ist) folgt,
braucht man soziale kompetenz, nicht zu scheitern.
probleme gibts also durch:
zahlreichere kontakte/verpflichtungen in modernen gesellschaften,
rigidität der erwartungen(diplome,ansprüche an belastbarkeit, selbst-verleugnung, etc.) oder un-erkannte erwartungen.
ich-stärke vorausgesetzt, ist realitäts-sinn in kommunikativen situationen gefragt: was andere erwarten erkennen,
rückmeldungen senden,sicherheitenzu stärken
und mögliche modifizierungen der erwartungen finden,
die einem spielraum verschaffen, macht das glück.
aber das un-glück hat offensichtlich zahllose quellen...
nötiger zusatz eines sicht-verengten machos:
den ehemann zu beglücken und den kindern eine mutter zu sein,
der gierigen institution(greedy institution, coser) familie
zu dienen ist eins, anderen institutionen(ausbildung,beruf) zu dienen,
potenziert die in-anspruchnahme der lebens-energien..
„ein un-moderner, traditioneller jäger zu werden
in einer jäger-gesellschaft(hirte unter nomaden)ist nicht so schwer:
man muß ungeschicklichkeiten meiden lernen,
die den erfolg erschweren.
um der beste zu werden, brauchts keinen übertriebenen ehrgeiz. Oder?“
Man muss nicht nur gut sein, sondern auch fair. Teilen z.B. wer gut ist, aber nichts abgibt, wird zur Jagd nicht mehr mitgenommen und ist sozial nicht zu gebrauchen. Ein netter Kerl zu sein, zahlt sich aus.
„um der beste zu werden, brauchts keinen übertriebenen ehrgeiz. oder?
moderne soziale rollen in differenzierten gesellschaften
sind nichts anderes als erwartungen anderer an einen.
und es gibt eine menge erwartungen mehr
als die eines traditionellen familien-verbands.“
Vor allem gibt es viel Beliebigkeit. Sei frei, mach was aus deinem Leben. Nicht jeder kann was damit anfangen und viele hätten es gerne etwas präziser.
„die übernahme einer rolle(role-taking) ist einfacher bei eindeutigen
erwartungen.
die eigen-ausgestaltung der rolle(role-making) hängt auch vom grad
der selb-ständigkeit/un-abhängigkeit ab.“
Genau.
„aber das un-glück hat offensichtlich zahllose quellen...“
Es gibt nicht mehr die klare Linie, weil jeder irgendwas anderes erwartet und es auch kaum noch Leute gibt, deren Erwartungen eindeutig mehr wert sind. (Die Geschichte mit dem zurückgedrängten Ödipuskomplex.) Wenn einem fast alle gleich nah oder fern sind, dann ist das mindestens mal merkwürdig. Dass das aber in den seltensten Fällen die Ouvertüre zum Weltmeschen ist, der mit allen gut kann, sonder viel öfter die des Narzissten, dem einfach alle egal sind, ist das was kapiert werden muss.