Dissenter Konsens

Linker Familienkrach Am Main formiert sich Schwarz-Grün

Mit einer Intensität, die schon an die politischen Kampagnen der seeligen Siebziger erinnerte, wurde in den vergangenen Wochen in Frankfurt am Main das Buch des einstigen KBW-Funktionärs Gerd Koenen, Das rote Jahrzehnt, vermarktet. Nach der Lektüre bleibt als einziger Schluss: Linker Radikalismus und politische Prinzipienfestigkeit können günstigenfalls als bedenkliche Symptome adoleszenten Irreseins gedeutet werden.

Diesen Vorwurf muss sich die grüne Rathaus-Fraktion in Frankfurt nicht machen lassen. Nicht nur, weil ihre Mitglieder der Adoleszenz seit geraumer Zeit entwachsen sind. Vielmehr beweisen sie ihre neue Beweglichkeit, indem sie ein schwarz-grünes Bündnis schmieden. Neuland betreten sie damit zwar nicht, denn in Saarbrücken und (nicht zu vergessen!) im benachbarten Bad Homburg werden derlei Koalitionen bereits praktiziert, aber ein Frankfurter Modell hätte seinen besonderen Gusto, weil es hier nach den Kommunalwahlen durchaus eine linke Mehrheit gab, freilich unter Einschluss der bei der SPD wie bei den Grünen ungeliebten PDS, der "Flughafen-Ausbau-Gegner" und der bei den Grünen Realos ganz besonders ungeliebten Jutta Dittfurth von der Liste "Ökolinx".

Frankfurt also ein Musterbeispiel für die legendäre ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung. Ungleichzeitig nicht nur, weil man sich am Main just dann auf den Weg nach rechts begibt, wenn in Berlin die Öffnung nach links zumindest erwogen wird. So wird für Stabilität in der Bundesrepublik gesorgt! Ungleichzeitig auch, weil man sich wieder mitten im Familienkrach von ´68 und den Jahren danach befindet. Die Kränkungen von dazumal erweisen sich noch immer als politisch wirkmächtig.

Es stimmt ja: Wohl in keiner Stadt wurden die Auseinandersetzungen zwischen grünen Fundis, dazu zählte Jutta Dittfurth, und den Realos so erbittert geführt wie in Frankfurt. Doch wer meint, dies liege doch nun fast zwei Dutzend Jahre zurück und könne als verjährt gelten, der irrt. Und so sehen sich die grünen Stadtverordneten auf ihrem Weg hin zur CDU zu den merkwürdigsten Verrenkungen gezwungen. Denn Frankfurts Grüne sind anders als Grüne anderswo nicht nur die politischen Erbverwalter der Post-68er- und Friedensbewegung, nicht nur des Häuserkampfes und des Protestes gegen die Kernenergie; sie sind stark geworden in der Auseinandersetzung um den Ausbau des Frankfurter Flughafens, der Startbahn West.

Nun ist allen Beteiligten aber klar, dass das entscheidende, das zentrale politische und ökonomische Projekt in Hessen wie in Frankfurt in den kommenden Wahlperioden der abermalige Ausbau des Flughafens sein wird. Da sind CDU (wie auch die FDP) natürlich dafür, die SPD ist anders dafür als die CDU, die Grünen sagen, sie seien dagegen, die Fraktion der Flughafen-Ausbau-Gegner, die PDS und Ökolinx sind ganz entschieden dagegen. Nicht ganz einfach, unter diesen Bedingungen eine Koalition zu zimmern, wenn die CDU zwar stärkste Partei ist, aber nicht die Mehrheit hat.

So haben sich die Grünen und die CDU zunächst mehr als zwei Monate Zeit gelassen bis das vernehmliche Grummeln der Basis (das der Grünen wie das der CDU) abgeklungen war. Nun warteten sie mit einer Positiv-Liste auf, die allerdings in einer Form der Geheimdiplomatie gegenüber den Wählerinnen und Wählern der Öffentlichkeit (zumindest bis Redaktionsschluss) nicht preisgegeben wurde, "um einem Dritten nicht Gelegenheit zu geben, unsere Positionen zu interpretieren". So jedenfalls drückte sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, Uwe Becker, aus.

Einiges wurde dann aber doch bekannt. Hier ein Parkhaus, dort eine Fußgängerzone. Auch lag die Liste den anderen Fraktionen vor, damit sie entscheiden könnten zwischen "Stadtgestaltung oder Opposition", formulierte die Grünen-Sprecherin Jutta Ebeling diese Variante einer Friß-Vogel-oder-stirb-Politik.

Auch das Wichtigste drang an die Öffentlichkeit: In der Frage des Flughafenausbaus bestehe "Dissens". Nun mag es für den mehr tradionell gestimmten Betrachter etwas ungewohnt sein, sich auf eine Koalition einzustellen, in der die Koalitionäre - stehen sie denn zu ihren Worten - letztlich gegeneinander klagen werden; und zwar die Grünen zusammen mit den Rathausfraktionen, mit denen sie nicht koalieren mögen. Doch wer sich an so etwas stößt, beweist nur, dass er von der ja auch im Arbeitsleben geforderten neuen Flexibilität nicht das Geringste verstanden hat.

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