In der Europäischen Union sind deutlich Risse zu erkennen. Großbritannien stimmt im Juni über einen Austritt aus der Europäischen Union ab, in der Flüchtlingsdebatte herrschen nationale Egoismen vor, das nationalstaatliche Denken erstarkt wieder und das mit besorgniserregenden Tendenzen. Der Zusammenhalt in der Europäischen Union ist gefährdet, dabei ist dieser dringender denn je: zwischen den Staaten und vor allem zwischen den Menschen in einzelnen Staaten. Um die zu beobachtenden Risse zu kitten wäre es gerade jetzt besonders notwendig, das Wohlfahrtsversprechen, das die Europäische Union eigentlich ist und immer war, wieder zu erneuern und auf eine neue Basis zu stellen. Dazu brauchen wir ein starkes soziales Europa, als Garant Ungleichheiten abzumildern und gesellschaftliche Teilhabe für Alle zu schaffen.
Für die Jüngeren ist es völlig normal, sich frei in der Europäischen Union bewegen zu können. Die Freizügigkeit ist tatsächlich eine der wichtigsten Errungenschaften der Europäischen Union und vielen wird erst jetzt angesichts der Debatten um Grenzschließungen und den Bau von Grenzzäunen deutlich, was es heißt, diese Freiheit wieder einzuschränken. Statt neue Barrieren aufzubauen, ist es wichtig, die Freizügigkeit weiter zu entwickeln und Hürden abzubauen. Damit sie in Europa real gelebt werden kann, muss sie sozial flankiert sein. Denn wahre Bewegungsfreiheit der Menschen gibt es nur, wenn auch das Grundrecht auf Existenz garantiert wird. Als einen ersten Schritt ist es sinnvoll, dass Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die in einem anderen Land aktiv nach Arbeit suchen, dabei unterstützt werden und auch Zugang zur jeweiligen Grundsicherung erhalten, sofern sie länger als drei Monate in dem Land leben.
Langfristig sollten wir an der Vision arbeiten, dass sich alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger überall in der Europäischen Union frei bewegen können und sozial abgesichert sind. Dahin ist noch ein weiter Weg, für den Schritt für Schritt die Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
Eine Voraussetzung ist, dass es überall in der Europäischen Union überhaupt angemessene Grundsicherungssysteme gibt, auch damit die Menschen nicht nur aufgrund materieller Not in andere Mitgliedstaaten gehen müssen. Hier hätte die Europäische Union durchaus die Möglichkeit, auf die einzelnen Länder einzuwirken, zum Beispiel durch eine gemeinsame Zielvereinbarung. Noch besser wäre allerdings eine rechtlich verbindliche Festlegung von Eckpunkten in Form einer Mindesteinkommensrichtlinie. Die konkrete Umsetzung bliebe den Mitgliedstaaten überlassen.
All das ist schon heute im Rahmen und ohne Änderungen der Europäischen Verträge möglich und wäre ein wichtiger Grundstock für ein soziales Europa. Wir sollten aber für den sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union noch einen Schritt weiter gehen. Schon lange ist ein wichtiges Ziel der Europäischen Union, die Armut zu verringern. Konsequent wäre eine Europäisierung der Armutsbekämpfung. Eine Brüsseler Behörde, die in allen Mitgliedstaaten die Einkommens- und Vermögensprüfung sowie die Bedarfe von potentiell Bedürftigen übernimmt, wäre allerdings viel zu bürokratisch und vermutlich eher abschreckend. Hingegen ist ein Basiseinkommen, das an alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger in gleicher Höhe ausgezahlt wird, einfach und unbürokratisch umsetzbar. Dieses europäische Basiseinkommen müsste durch nationale und am individuellen Bedarf orientierte Grundsicherungssysteme ergänzt werden. Bereits ein geringes Basiseinkommen von 100 bis 200 Euro kann ein Fundament darstellen, auf das sich nationale Leistungen aufbauen ließen. In den ärmeren Ländern der EU wäre solch ein Basiseinkommen nahezu existenzsichernd. In reicheren Mitgliedsstaaten reduziert es einfach bestehende Sozialleistungen und Steuerfreibeträge. Zur Finanzierung fließt ein Teil der Steuern und/oder Sozialversicherungsbeiträge in einen europäischen Topf, aus dem dann das Basiseinkommen gezahlt wird. Die Menschen, die in der EU leben, erhalten dann jeden Monat eine Geldzahlung direkt aus Brüssel. Das dürfte zu einer anderen, deutlich positiveren Einstellung gegenüber der EU führen, es stärkt den sozialen Zusammenhalt und verringert außerdem den ökonomischen Druck für Migrationsbewegungen, die aus materieller Not entwachsen.
Die Idee eines Basiseinkommens kann als erster Schritt auch nur für Teilgruppen konzipiert werden. So zum Beispiel als ein Europäisches Basis-Kindergeld, das von der Europäischen Union an alle Kinder von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern ausgezahlt wird. Dies nähme der aktuellen Kindergelddiskussion, die die Briten angestoßen haben, ein Stück weit den Wind aus den Segeln. Denkbar ist auch ein Basis-Arbeitslosengeld. Die Einführung einer Europäischen Basis-Arbeitslosenversicherung wird zurzeit vor allem aus ökonomischen Gründen diskutiert und gefordert. Ein gut durchdachtes Konzept einer Europäischen Basis-Arbeitslosenversicherung wirkt dabei als automatischer Stabilisator, der in Krisenzeiten das wirtschaftliche Gleichgewicht der Europäischen Union stützt. Gleichzeitig kann sie ein sinnvoller Einstieg in eine Europäisierung der sozialen Sicherung sein.
All diese Maßnahmen können das geschwächte Miteinander aller Nationen der EU und ihrer Menschen wieder stärken, denn sie sind lebensnah und real. Sie ermöglichen den Menschen zu erfahren, dass die Europäische Union mehr ist als „Die in Brüssel“ und mehr als ein lebensfernes Ungetüm, das nichts mit ihnen und ihrem Leben gemein hat.
Kommentare 11
"...das Wohlfahrtsversprechen, das die Europäische Union eigentlich ist und immer war, wieder zu erneuern und auf eine neue Basis zu stellen."
Und morgen kommt der Osterhase.
Wie lange gibt es die EU schon?
Wie lange gibt es die Grünen schon?
Was von all dem hätte, sollte, müsste, könnte, würde ist realisiert?
Der Unterschied zwischen einem "Politker" und einem voll in der Realität stehenden Menschen ist, dass sich Letzterer für unverbindliches Gesabbel nichts kaufen kann ...
WischiWaschi.
Ein absolut nichtssagender, unnötiger Text.
Früher hatten die Grünen jedenfalls eine Kernkompetenz.
(Pause)
>>Wie lange gibt es die EU schon?<<
Schon lange. Früher war sie kleiner und hiess "EWG", "europäische Wirtschaftsgemeinschaft". Das war ehrlicher, denn dass "Wirtschaft" ein Synonym für "Privatprofit" ist weiss ja jeder Depp.
Grundsätzlich stimme ich den Ideen zu, würde wahrscheinlich in anderer welt- und eu-politischer Lage mich mit dafür einsetzen. Was hält mich davon ab? 1. Die Partei Die Grünen sind für mich in höchstem Maße unglaubwürdig geworden. Das politische Personal dieser Partei wirkt auf mich entweder elitär oder schon faschistoid. Ich weiß, das ist ein harter Ausdruck. Zu Beginn des Ukrainekonflikts gab es einen DLF-Beitrag, in dem der O-Ton von Frau Rebecca Harms eingespielt wurde. Ich war geradezu entsetzt über das was und wie diese Frau über Russland sprach. Mir ist klar, dass beim größer werden einer Partei die Unterschiede in Haltung und Ausdruck der Personen zunehmen, jedoch geht das hier eindeutig zu weit. Die Grünen haben grundsätzliche Haltungen verloren. Übrig bleibt ein aggressives und elitäres Klientelgetue (von einzelnen Parteimitgliedern abgesehen). 2. In einem Moment, in welchem die Grünen maßgeblich die Nah-Ost-Erweiterung durch grenzenlose Grenzen mittragen, geht der Wert einer EU-Politik verloren. Die Grünen sind Kriegspartei geworden und haben sich in der Dialektik des Elend herstellen und humanitäre Maßnahmen bei Angriffskriegen mitzuliefern eingerichtet und glauben tatsächlich, in irgendeiner Form, damit moralische Überlegenheit präsentieren zu können. Oder anders gesagt: Es gibt weit und breit keine schlüssigen Gesamtkonzepte (erst bomben und dann Wunden verbinden ist kein Konzept, sondern bleibt Gewalt) 3. Die EU selbst gibt kein konsistentes Gebilde mehr ab. Man könnte jetzt jahre(zehnte)lang dafür streiten, dass Formen von Solidarität und Gerechtigkeit etabliert werden, nachdem neoliberale Walzen über die Länder gerollt sind bzw. wurden. Macht das Sinn? Kann Herr Strengmann-Kuhn annähernd erklären, was dort in Brüssel eigentlich abgeht? Wie EU-Mechanismen tatsächlich funktionieren, dass gerade Spanien und Griechenland so dermaßen ins gesellschaftliche Elend entlassen wurden und weshalb die EU nicht reformiert werden müsste, wenn die gleichen Mechanismen zu entweder Solidarität oder Elend führen? Etwas muss reformiert werden und das sind mMn nicht die Menschen in den EU-Ländern, sondern zu förderst z.B. die Beziehungen und Verflechtungen mit anderen Institutionen wie dem IWF, die Einbindung in Nato-Strategien, die Verhältnisse zu anderen Ländern und Regionen der Welt (USA, Russland usw.). Prioritäten müssen geklärt werden. Sowas wie Frau Merkel, die nur noch Welt denkt oder Herr Schäuble sind keine adäquaten Vertreter. Prioritäten müssen geklärt werden. Und das geht ganz klar nicht ohne reformerische Aktivitäten. Mit solchem Personal wie die zwei letztgenannten (und sehr vielen von den Grünen), wird das aber m.E. nicht gehen.
Laut grünem Neusprech haben wir es gegenwärtig dann also mit einer ESU zu tun, einer Europäischen Sozial-Union. Ist nur Schade, dass kein Europäer das bisher mitbekommen hat ...
Grüne Politik material ist als Mitverantwortung für massiven Sozialaabbau in der BRD greifbar geworden.
Was hier an 'Vorschlägen' umrissen wird, ist mit Sinn weder sozial noch politisch zu nennen. Es ist die degoutante Charité einer verkommenen, kapitallogikhörigen Bionaden-Bourgeoisie, die zudem noch jeden Respekt vor den Symbolen des europäischen Citoyen verloren hat.
Schade, der Beitrag scheint von den Kommentatoren nur überflogen und deshalb nicht verstanden worden zu sein. Die Vorschläge von Herrn Strengmann-Kuhn sind konkret, bezahlbar und - sofern sie umgesetzt würden - sozial und integrierend. Leider wird vom Autor kein Wort darüber verloren, wie seine Vorschläge politisch umgesetzt werden können. Damit fehlt die Komponente, die jedem Anfang inne wohnt.
Ich bin zwar kein Grünen-Wähler, aber dies ist einer der konstruktivsten und besten Beiträge zur aktuellen Diskussion, die ich bisher gelesen habe. In dem Beitrag drücken sich sowohl sozialwirtschaftliche Kompetenz als auch Empathie aus- beides Eigenschaften, die Sozialpolitik unabhängig von der Parteizugehörigkrit dringend benötigt ! Daumen hoch !
Korrekt, da kann ich mir nix von kaufen, von dem Gesabbel über "frei bewegen können" und so.
Keine Fahrkarte, also keine Bewegung. Wenn ich also nicht in Europa umherreisen kann, weil ich keine Fahrkarte kaufen kann, dann braucht auch kein anderer sich Grenzenlos bewegen können.
Ich finde das eine ziemlich demokratische Regelung. Also Grenzen dichtmachen.
Misslungenes Produkt der europäischen Politiker
Die gesamte politische Prominenz einschließlich Papst glorifizieren die Europäische Union und agitieren die Bürgerinnen und Bürger mit dem Begriff „westliche Wertegemeinschaft“. Dabei ist die EU nichts anderes als ein misslungenes Produkt der europäischen Politiker, vor allem der Wirtschaftspolitiker. Für Herrn Schäuble ist sie zudem vor allem ein Mittel zur Disziplinierung der Bevölkerung.
Eine EU-Bürgerabstimmung über einen EU-Verfassungsvertrag ist nie erfolgt.
Als die europäischen Einwohner Mitte 2005 über die EU-Verfassung abstimmen sollten, lehnten Franzosen und Niederländer sie im Rahmen eines Referendums gar ab, was die anderen Staaten veranlasste, ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger gar nicht erst zu befragen - so auch die Bundesrepublik Deutschland.
Der EU-Verfassungsvertrag sollte ursprünglich am 1. November 2006 in Kraft treten. Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden ratifizierte eine Reihe von Mitgliedstaaten den Vertrag nicht, wodurch er keine Rechtskraft erlangte.
Stattdessen schlossen im Dezember 2007 die europäischen Staats- und Regierungschefs unter portugiesischer Ratspräsidentschaft den Vertrag von Lissabon ab, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat. –
Man brauchte die „unmündigen Bürgerinnen und Bürger“ dafür nicht, man schloss sie aus. Europa braucht nach ihrem Verständnis offenbar lediglich Regierungen, Eurokraten und Banken.
Außerdem wurde die EU nach dem Niedergang der Sowjetunion hastig gen Osten erweitert. Nichts ist organisch gewachsen – und da wundert man sich über die europäische Kakofonie, wenn sie sich dann wirklich mal bewähren soll.
>>Misslungenes Produkt der europäischen Politiker<<
Ob misslungen oder nicht ist eine Frage der Perspektive.
Aus der Sicht der „unmündigen Bürgerinnen und Bürger“ ist sie misslungen, aber für die war sie nie konzipiert. Das erklärt auch, warum die "EU" gegen alle Vorschläge, die im Interesse der "Normalbürger" liegen, vollständig resistent ist.