Eine harte Dosis

Medien Der Text der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy in der "FAZ" hat mehr verdient als eine zweifelhafte Wiedergabe durch Ulrich Wickert

Oft ist sie schrecklich, die Selbstbezogenheit des deutschen Medienzirkus. Ulrich Wickert hatte einen Text der indischen Schriftstellerin Arundhati Roy zur aktuellen Terrorismus-Debatte in der FAZ gelesen. Jeder Mensch, der seine Sinne noch beisammen hat, ist nach der Lektüre dieses Textes angerührt und entsetzt über die politischen Tatsachen, auf die er hier mit der Nase gestoßen wird. Schmerzhaft. Beängstigend. Analytisch und sprachlich eine harte Dosis.

Wickert versuchte in einer Kolumne der Illustrierten Max Frau Roys Gedanken über die Herren Bush und Osama bin Laden zustimmend wiederzugeben. Wickert war ein guter Journalist, ist ein guter Moderator. Auf jeden Fall - Der Ehrliche ist immer der Dumme - ist er ein schlechter Schriftsteller. Das wurde ihm bei diesem Stolperer zum Verhängnis.

Oder zum Heldenglück? Denn wie ein Pawlowscher Köter fiel die Gleichschaltungspolizei von Bild, CSU und CDU über ihn her. Seine sozialdemokratischen Parteibuch-Vorgesetzten vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) nötigten ihn zu einer Entschuldigung auf dem Bildschirm für eine Tat, die die meisten Fernsehzuschauer nie zu Gesicht bekommen haben. Tagelang wurden Zeitungsseiten mit dem Vorgang gefüllt. Grimme-Institutschef Gäbler forderte im taz-Interview: "Jetzt gehört es sich, solidarisch zu ihm (Wickert - M.B.) zu halten - und dem, was an Formierungsabsichten hinter der Kampagne steht, nicht nachzugeben." Richtig.

Aber interessieren wir uns nur für Wickert? Der stellvertretende ARD-Chef Voss schämte sich nicht, in der Wickert-Kontroverse Arundhati Roy in die Ecke der verwirrten Außenseiter einzuordnen ("Tirade einer indischen Schriftstellerin"). Die FAZ dagegen charakterisierte ihre Gastautorin als "die literarische Stimme Indiens", eines Landes, in dem mehr Menschen leben als in ganz Europa. Mit Frau Roys Sicht hat sich in den vergangenen Tagen niemand inhaltlich auseinandergesetzt. Unser Horizont endet derzeit an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Und da die Erde für uns eine Scheibe ist, gibt es das östlich davon gelegene Indien zur Zeit nicht - oder?

Darum hier ein wenig Originaltext von Arundhati Roy: "Was ist Usama Bin Ladin? Er ist das amerikanische Familiengeheimnis. Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten. Der brutale Zwilling alles angeblich Schönen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde ... Nun, da das Familiengeheimnis gelüftet ist, werden die Zwillinge allmählich eins und austauschbar. Ihre Gewehre und Bomben, ihr Geld und ihre Drogen haben sich eine Zeitlang im Kreis bewegt. ... Inzwischen werden sich die beiden auch in ihrer Sprache immer ähnlicher. Jeder bezeichnet den anderen als ›Kopf der Schlange‹. Beide berufen sich auf Gott und greifen gern auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zurück. Beide sind in eindeutige politische Verbrechen verstrickt. Beide sind gefährlich bewaffnet - der eine mit dem nuklearen Arsenal des obszön Mächtigen, der andere mit der glühenden, zerstörerischen Macht des absolut Hoffnungslosen."

Und Roy gibt sicherlich auch den Gefühlen vieler Menschen hierzulande Ausdruck, wenn sie schreibt: "Heute wartet die Welt mit angehaltenem Atem auf den Schrecken, der uns bevorsteht."

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