Anfang der neunziger Jahre war mit deutscher Comedy nicht viel los, obwohl sie zu dieser Zeit schon eine kräftige Unterstützung vom privaten Fernsehen erhalten hatte. Oft war es das Format selbst, das Humor signalisieren musste. Noch heute begegnen einem die Ausläufer dieser Zeit in den Retro-Parodien auf anale Spießer mit Kassenbrillen und schrulligen Hütchen, wenn auch mit rückläufiger Tendenz. Hoffnungen, dass aus Regression möglicherweise Transgression zu schlagen sei, wurden ohnehin nicht erfüllt und zudem von dem brachialen und lieblosen Zugang zum Material unterlaufen, ohne den Komik hierzulande sowieso kaum denkbar ist. Eine der Nachwirkungen dieser Situation ist, dass es bis heute keine einzige wirklich witzige Sitcom aus Deutschland gi
hland gibt. Was allerdings funktionierte, waren die verschiedenen TV-Varianten von Stand-up-Comedy, die in den letzten Jahren entwickelt wurden. Je näher die neue Performer-Generation an die Gegenwart heranrückte, umso besser wurde auch die Komik. Bei diesem Wiedereinbruch von Wirklichkeit in die Fernsehkomik spielten auch Erkan Maria Moosleitner und Stefan Lust eine gewisse Rolle. Bekanntlich beruht die Karriere der Figuren Erkan Stefan auf ihrem reduktionistischen und innovativen Zugang zum Thema Bildungsnotstand. In einer Abart der Mundart-Imitation haben sie eine Technik des Radebrechens entwickelt, dessen Wortverstellungen, Auslassungen und rollende Rs (vor allem in Wörtern wie korrekt, krass, konkret) das Deutsche türkisieren und mit Neologismen und Anglizismen garnieren; Auswirkungen auf die Umgangssprache bleiben nicht aus. Zwei proletarische Loser, einer etwas schöner als der andere, der andere etwas weniger cool, beide aber ziemlich albern und nur als Kleingruppe lebensfähig, stolpern von einer Regression in die nächste, was nicht ohne Folgen für ihr Welt- und Frauenbild bleibt. Die Welt ist das Szenario der digitalen Konvergenz: Sechszehn-geteilt-durch-neun-Fernseher sind besser als "normale", Handys so wichtig wie ein Geschlechtsteil und analoge Technik wird als "schwul" etikettiert. Frauen, wir wissen es, heißen Bunnys oder Bräute. Das nennt man sich einen Spielraum erarbeiten. Nach dem Erfolg auf der Kleinkunstbühne folgten Gastauftritte in Fernsehshows, bis die Filmproduktion Hofmann Voges, die schon für die Bullyparade verantwortlich war, noch vor dem Schuh des Manitu den ersten Kinofilm Erkan Stefan drehte, im übrigen mit Michael Herbig als Regisseur. Anfang des Jahres kam, auch dank einer dezidiert anglophilen Unterhaltungsabteilung bei Pro7, mit headnut.tv die erste eigene Fernsehshow der beiden hinzu. Hier konnten sich Erkan Stefan als fiktive Schulversager erst richtig austoben: Ihren Hunger nach Bildung stillten sie vor allem in Interviews mit Repräsentanten gesellschaftlich sinnvoller Arbeitsfelder wie Priester, Jäger, Feministin oder Astrophysiker, die übrigens immer erstaunlich gelassen blieben. Da schon der erste Kinofilm Erkan Stefan als "konkret krasse, fett stabile Kinokomödie" ein großer Erfolg war, gibt es nun einen zweiten. Auch der ist um ein spektaluräres Kinogenre herumgezimmert und fügt sich auf dieser Ebene nahtlos in die lange Tradition der deutschen Kinoklamotte ein, ohne aber den speziellen Charme des Komiker-Duos zu gefährden. Erkan Stefan arbeiten am Flughafen und tragen das Chaos in die Gepäckabfertigung. Die Koffer springen auf und ein Prunkdolch fällt ihnen in die Hände, von dem sie dann nicht mehr wissen, wo er hingehört. Ein türkischer Händler bietet ihnen dafür eine Spielkonsole und da Stefan leicht zu überzeugen ist, glaubt er, dass man mit ihr in die virtuelle Welt hinüberwechseln kann. Aus Naivität wird Wirklichkeit, eine Bezaubernde Jeannie steigt auf Knopfdruck auf, sie heißt Tana, ist schön wie ein Avatar, nur mit wenig bekleidet und kämpft auf der Seite des Guten. Aber es ist vor allem, wieder einmal, die Macht der Zufälle und Umwege, die in diesem magischen Plot nicht nur das Schlimmste verhindert, sondern das Erwünschte hervorbringt. Wer nun annimmt, dass die zweite Filmepisode wegen dem Fehlen von Michael Herbigs Regiehand völlig in sich zusammenfiele, überschätzt die Rolle, die eine aufgeweckte Regie und Story hier spielen könnten. Den Schauspielern Moosleitner und Lust wird sogar mehr Raum zugestanden, was ein Segen ist, denn die Teile zwischen ihren Auftritten wirken nicht selten uninspiriert und langweilig, die beteiligten professionellen Schauspieler agieren ohnehin übertrieben oder schwerfällig. Aber soviel Mystery und Professionalität musste eben sein. Vor allem schieben die Filme aber die psychologischen und sozialen Einzelheiten zu den Figuren nach, die in ihrer Fernsehperformance oft etwas zu kurz kommen: Die Diktatur von Mutter Lust, bei der Stefan noch lebt, sein Respekt vor dem großen Bruder oder die Angst vor Frauen. Aber selbst mit der inzwischen durchgesetzten Lesart, dass es eine latente Homoerotik ist, die über Männerpaaren wie Laurel Hardy, Beavis Butthead oder Erkan Stefan schwebt, wird hier produktiv und offensiv umgegangen. Wie schon im ersten Film landet die Traumfrau auch in diesem wieder als Käsescheibe zwischen den beiden im Bett. Vorher wurde oft gestöhnt: "Ich habe mich voll in sie reinverliebt." Aber so invasiv wird es dann auch wieder nicht. Verbalität, nicht Aktivität ist hier das Gesetz des Humors, und Sex hat es in Stefans Leben noch nie gegeben. Diese Selbstverharmlosung könnte einer der Gründe dafür sein, warum diese ansonsten so absichtsvoll unkorrekte Androzentrik auch von denen witzig gefunden werden kann, die als Zielgruppen nicht unbedingt mitgemeint sind. Im Übrigen hat man keine Wahl. Was in Deutschland überdurchschnittlich witzig ist, ist im Augenblick männlich und hetero. Während sich die Comedy von Frauen und offen Schwulen hierzulande gern in einer Gemütlichkeit zwischen bissiger Launigkeit und Nöligkeit einrichtet, ist der regressive Witz von Erkan Stefan, aber auch der nicht weniger regressive von Harald Schmidt unterm Strich immer wesentlich abstrakter, spielerischer und spezifischer. Schmidt hat seiner sozial genau bestimmten Mittelstandsegozentrik inzwischen den Rang der Allgemeingültigkeit verschafft, sie eigentlich schon zum nationalen Kulturgut erhöht. Erkan Stefans Komik zielt dagegen auf ein offensichtlich proletarisches Dumm-und-Dümmer, lässt dabei aber Bruchstellen entstehen, durch die etwas wie Diversität und soziale Realität dringen kann. Dass sie abwertende Annahmen über ethnische Minderheiten verstärken, indem sie ihre TV-Repräsentationen des Türkischen auf die expansiven Codes von Kleinkriminalität und Hiphop spannen, das ist die eine Seite. Auf der anderen steht die positive Rolle, die popkulturelle Codes als Identifikationsrahmen spielen. Deshalb sind die Hiphop-Accessoires höchstens auf den ersten Blick - anders als zum Beispiel beim englischen Komiker Sasha Baron Cohen - parodistisch zu verstehen. Cohens Show Ali G, von der sich Erkan Stefans headnut.tv ansonsten recht großzügig inspirieren ließ, aktualisiert vor allem die Figur des "white nigger" als einen beflissenen Kopisten popkultureller Codes. Aber in Cohens Parodien gibt es immer auch den Einklang mit den Ideen des Originals, deren Wahrheit gerade in dem Maße außer Zweifel steht, wie sie sich parodistisch nutzen lassen. Bei Erkan Stefan geht es im Vergleich dazu wesentlich stumpfer zu, aber auch weniger penibel. Aus einem seit etwa fünfzehn Jahren stabilen Hiphop-Repertoire, bestehend aus Sneakers, Trainingsanzug, Goldkette und Wollmütze/Kappe, haben sie die Verbindungen zum US-Ursprung fast völlig gekappt und die Referenzen auf das Konto einer proletarischen Binnenverständigung umgebucht. Der Kult um Originalität und Originalzustände ist in diesem Kontext gleichgültig; der popkulturellen Mehrwert wird für das nachbarschaftliche Projekt einer deutsch-türkischen Assimilation genutzt. In diesem Verhältnis ist Stefan der "white nigger", er wird Türke, weil es cool ist, weil sein Freund einer ist, beziehungsweise einen spielt.
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