Bislang galt es als illusionärer Blütentraum romantischer Wettbewerbsrechtler. Doch mancher Blütentraum im Bürokratenkopf reift, bis er zum offiziellen Diskussionsgegenstand - und damit zum Albdruck einer ganzen Branche wird. Wie im Augenblick für die Energiewirtschaft. Deren marktbeherrschende Konzerne sollen entflochten werden - Erzeuger und Versorger sollen nicht gleichzeitig auch die Strom- und Gasnetze betreiben können, wie das derzeit etwa in Deutschland der Fall ist. So steht es im 3. Liberalisierungspaket der EU-Kommission für den Energiemarkt, das André Piebalgs, EU-Kommissar für Energiefragen, und seine für Wettbewerb zuständige Kollegin Neelie Kroes vorgelegt haben.
Es riecht nach Revolution: De facto will die EU-Kommission e
mmission eine Zerschlagung der Giganten. Zwar müssen die Mitgliedsstaaten der Union schon jetzt dafür sorgen, dass die Strom- und Gasnetze rechtlich und funktional vom Erzeugungsbereich getrennt sind. Aber was heißt "getrennt"? In Deutschland jedenfalls wurde das so verstanden, dass die großen Vier - Eon, RWE, Vattenfall und EnBW - vertikal integriert bleiben durften: Eine Konzerneinheit produzierte, was die nächste durchs eigene Netz jagte. Wettbewerber, die auf die Durchleitung durch die Trassen angewiesen waren, hatten praktisch das Nachsehen - und damit auch die Kunden der Konzerne. Der Wettbewerb im Energiebereich strahlt folglich so schwach wie eine Taschenlampe mit altersmüder Batterie: im Prinzip funktionstüchtig, doch es lässt sich kaum etwas erkennen.Der EU-Kommission ist daraufhin zehn Jahre nach der Liberalisierung ein Licht aufgegangen. Sie hat erkannt, dass in dem Schattengeflecht von hoher Marktmacht, politischen Verbindungen und enormer volkswirtschaftlicher Bedeutung der Wettbewerb nicht von kleinen, findigen Nischenanbietern belebt werden kann, denen sie bislang das Leben zu erleichtern suchte. Deren Strohfeuer wird den großen Unternehmen dauerhaft kaum einheizen. Spannend wird es erst, wenn die großen Anbieter um den besten Preis und die beste Leistung konkurrieren. Das - so die Idee hinter der Vorlage aus Brüssel - funktioniert, indem man die Energiegiganten aufspaltet. Zudem soll der Energiebinnenmarkt gefördert werden: Dann können die nationalen Platzhirsche auch grenzüberschreitend weiden.Das harte Vorgehen gegen Unternehmen, auf deren Payroll ehemalige Bundeskanzler und -minister stehen, die von Kommune bis Bund bestens vernetzt sind und denen keine Kampagne zu teuer ist, erstaunt. Dass die Brüssler Kommissare sich dennoch trauen, hat mehrere Gründe. Zum ersten: die volkswirtschaftliche Bedeutung. Für die Kommission ist es eine Schlüsselfrage, die Energieversorgung günstiger und effizienter zu gestalten. Jeremy Rifkin, der amerikanische Ökonom und Schlagwort-Erfinder, sieht in der Entflechtung der Stromkonzerne den Beginn der "dritten industriellen Revolution". Das Kalkül: Wenn Europas Energiemarkt so vermachtet bleibt, wie er ist, wird die Last für das produzierende Gewerbe und die Konsumenten zu hoch. Treibende Kraft hinter den Initiativen der Kommission sind denn auch die energieintensiven Branchen, etwa Chemiekonzerne und Stahlproduzenten.Zum zweiten spricht für eine Entflechtung die ökonomische Vernunft. Alfred Richmann, Geschäftsführer eines Lobbyverbands der energieintensiven Industrie formuliert es so: "Würde die Autobahn einem einzigen Automobilhersteller gehören, müsste jeder, der sie benutzen will, beim Eigentümer zuvor einen Antrag stellen. Wer dürfte im Zweifelsfall wohl auf die Autobahn und zu welchen Konditionen?" Zum dritten schließlich, verknüpfen die Kommissare Piebalgs und Kroes auch ein eminentes politisches Eigeninteresse mit dem Kampf. Energiefragen mobilisieren Aufmerksamkeit, wer sich hier durchsetzt, profiliert sich mit dem richtigen Thema. In Deutschland hatte dies schon der unkonventionelle hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel erkannt, der als einer der ersten die Entflechtung verlangt hatte.Und die Chancen dieses Vorstoßes? Die EU-Kommission weiß, dass ihr Kampf schwierig wird, auch juristisch. Da kommt das Urteil in Sachen Microsoft, mit dem das Europäische Gericht in erster Instanz die EU-Kommission umfassend bestätigt hat, gerade recht. Seht her, es geht doch, war die Botschaft, die aus den Augen der Kartellwächter glänzte: Die Schlappe von Microsoft ist Beleg dafür, dass eine Behörde auch bei den reichsten und mächtigsten Unternehmen der Welt nicht aufstecken muss.Wie im Fall des Software-Herstellers allerdings droht ein Scharmützel, das allein wegen seiner Dauer die möglichen praktischen Erfolge deutlich schmälern wird. Frankreich und Deutschland sind die heftigsten Opponenten der eigentumsrechtlichen Entflechtung der Konzerne. Für Eon Co. geht es um sehr viel - an den Strippenziehereien wird sich ablesen lassen, wie gut die Kontakte zur Bundesregierung sind. Die erste Runde jedenfalls ist an die EU-Kommission gegangen, die in ihrem Paket vom Vorschlag der eigentumsrechtlichen Entflechtung nicht abrückt. Klipp und klar schreibt sie in ihrem Memorandum, dass sie das "ownership unbundling" wünscht. Einziges Zugeständnis: Diese Aufspaltung des Eigentums könnte vielleicht durch einen Aktiensplit vorgenommen werden. Weniger ist für die Kommission nicht denkbar. Für sie ist die Eigentumsaufgabe Konsequenz marktwirtschaftlich-liberalen Denkens. Diese Radikalität kann getrost als Bruch der Netiquette gewertet werden, mit der sich Energiekonzerne von der Kommission bedacht sehen wollten.Vielleicht nimmt sich die Bundesregierung an den robusten Manieren der Kommissare ein Beispiel und lernt, dass bei Staatsunternehmen a. D. die zupackende Art nicht schadet. Sie könnte daraus für eine andere große Debatte lernen - Parallelen zur Privatisierung der Bahn und ihres Netzes sind unübersehbar.