Zwei Jahre nach ihrer spektakulären Coming Out Party in Seattle ist die amerikanische Anti-Globalisierungsbewegung kaum wiederzuerkennen. Vom durchaus erfolgreichen, die Massen inspirierenden multikulturellen Vielzweckbündnis war angesichts der WTO-Runde in Katar wenig zu sehen und zu hören. Das allgegenwärtige "Volk von Seattle", dem es in erstaunlicher Geschwindigkeit gelang, weltweit neue Koalitionen für soziale Gerechtigkeit zu schmieden und Hunderttausende von Demonstranten im Protest gegen Steueroasen, koloniale Schuldenpolitik und manch andere Unfairness der Globalisierung auf die Straße zu bringen, hat sich nach dem 11. September abrupt zurückgezogen. Überwältigt, wie es scheint, von internen und externen Schwierigkeiten.
"Ich glaube nich
laube nicht, dass wir weiterhin direkt im Rampenlicht stehen werden", meint John Sellers, Direktor der Ruckus Society in San Francisco, einer Human-Rights-Organisation, die in den vergangenen Jahren Tausende Aktivisten in bürgerlichem Ungehorsam trainiert hat. "Viele von uns haben eine Besinnungspause eingelegt, wir gehen wie auf Zehenspitzen und kommunizieren sehr vorsichtig", sagt auch Tim Atwater, ein Sprecher des Jubelee- US-Networks, eines kirchlichen Netzwerkes, das sich sofort nach Seattle 1999 dafür eingesetzt hatte, armen Entwicklungsländern die Schulden zu erlassen. Ruckus Society und Jubilee sind nur zwei von mehr als 100 Gruppen, die sich augenblicklich sehr bedeckt halten, um - wenn nicht dem Absturz aus steiler Höhe - doch einem drohenden Sympathieverlust vorzubeugen. Es hat nicht lang gedauert, bis rechte Polit-Magazine, Scharfmacher im Kongress sowie der für WTO- und Globalisierungsfragen verantwortliche US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick die "Gunst der Stunde" erkannten und die eigenen Globalisierungskritiker in das geistige Umfeld von Terroristen rückten. Für Zoellick ist die vorbehaltlose Zustimmung zum Konzept der Globalisierung der Lackmus-Test patriotischer Loyalität. Terroristen würden Amerikas populäre Ideen vom freien Welthandel hassen, dozierte der Handelsbeauftragte vor dem New Yorker Institut for International Economics. Da sei es doch unvermeidlich, dass sich viele Leute fragten, ob es eine intellektuelle Verbindung zwischen Terroristen und all jenen gäbe, die sich "gewaltsam gegen internationale Finanzsysteme, gegen Amerika und die Globalisierung" gewandt hätten.An solchen Ausfällen lässt sich ermessen, wie drastisch die Terroranschläge eine politische Landschaft umgepflügt haben. Die verschärfte Washingtoner Hackordnung hat die Toleranzgrenze der Öffentlichkeit merklich verschoben. In diesem patriotisch überhitzten Klima weiterhin "business as usual" zu betreiben, sprich: den Protest wie gewohnt über die Straße laufen zu lassen, ist den Gegnern der Globalisierung nicht mehr möglich. Ursprünglich in Washington geplante Demonstrationen gegen Weltbank und Währungsfonds sind abgeblasen, es scheint momentan nicht angebracht, in der genervten Hauptstadt für bedrohte Redwood-Bäume und Seeschildkröten zu marschieren, und dafür den offenen Dissens mit der Regierung oder gar Randale auf der Straße zu riskieren. Demonstranten wie etwa der harte Kern vom International Action Center (IAC) in New York, schließen sich am Potomac zuweilen kurzerhand der dort aufmarschierenden Friedensbewegung an. Daraus auf einen Austausch oder gar die nahtlose Integration beider Bewegungen zu schließen, wäre aber trügerisch - Anti-Globalisierung heißt nicht unbedingt "pro peace". Im Gegenteil: die Bomben auf Afghanistan haben die Bewegung sichtbar gespalten. In Falken und Tauben und alle sonst möglichen Gefieder, die sich ihrer Stimme einstweilen enthalten. Amerikas Gewerkschaften beispielsweise, unverzichtbare Alliierte im Kampf gegen die Globalisierung, haben von Anfang an klar gemacht, dass sie hinter dem Präsidenten stehen und Militäraktionen voll tragen. Ein Großteil der Campus-Gruppen, Umweltschützer, Frauen- und kirchlichen Organisationen stecken ihre Energien jedoch ins Anti-War-Movement und haben von Anfang an "Gerechtigkeit statt Rache" gefordert - sie wollten keinen Krieg, sondern eine internationale Strafverfolgung der Terroristen.Wird die Anti-Globalisierungsbewegung in den USA ohne ihr effektives Straßenforum nun bald dahin schwinden? Muss sie möglicherweise überholte Botschaften ändern wie die vom schwachen Staat als Marionette omnipotenter Konzerne? Doch wenn sogar die New York Times Wohlwollen artikuliert, kann das Volk von Seattle wohl aufatmen. Zitat: "Viele der von der Bewegung gestellten Fragen über globale Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich scheinen in diesen Tagen relevanter geworden zu sein ... Sogar die Regierung Bush hat jüngst eine Verbindung zwischen Armut und den Wurzeln des Terrorismus gezogen."