Allein die Tatsache, dass sich am 20. Januar Repräsentanten der Bundestagsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP - die PDS musste vor der Tür bleiben - mit Arbeitsminister Walter Riester zu einem Gespräch über die Zukunft der Renten trafen, löste bei manchem Kommentator Zuversicht aus: Ein breiter, überparteilicher Konsens sei in Sicht, da müsse doch etwas Vernünftiges herauskommen.
Ein Blick auf die jüngere Geschichte sollte zur Vorsicht mahnen: Die als Jahrhundertwerk gepriesene Rentenreform von 1992 - gemeinsam getragen von konservativ-liberaler Regierung und SPD - hielt gerade mal fünf Jahre, die Rentenreform von 1997 brachte es nur auf zwei Jahre, und wesentliche Bestimmungen der Rentenreform 1999 wurden von de
den von der frisch gewählten rot-grünen Koalition gekippt, bevor sie in Kraft treten konnte. Der Bundesarbeitsminister griff zu einem ebenso einfachen wie beispiellosen Mittel: Er setzte die Rentenformel außer Kraft. In den Jahren 2000 und 2001 steigen die Renten nicht wie die Nettolöhne und -gehälter, die Rentnerinnen und Rentner bekommen lediglich einen Inflationsausgleich, das Rentenniveau sinkt binnen zwei Jahren von durchschnittlich 70 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens auf etwa 67 Prozent.Die Halbwertzeiten der Neuregelungen werden immer kürzer, die letzte Reform ist zugleich immer die vorletzte. Das gilt auch für die "Rentenstrukturreform", für die sich Riester um einen breiten Parteienkonsens bemüht. Dass es diesen Konsens geben wird, daran kann kaum ein Zweifel bestehen. Die Akteure sind sich in allen wesentlichen Fragen einig: Neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung soll es eine staatlich geförderte, kapitalgedeckte Privatvorsorge geben, die Beiträge sollen auf absehbare Zeit unter 20 Prozent bleiben, Eltern einen Beitragsbonus erhalten, Hinterbliebenen- und Erwerbsunfähigkeitsrenten sollen neu geregelt werden. Die Geister scheiden sich an der von der Regierungskoalition geplanten sozialen Grundsicherung, die von CDU und CSU abgelehnt wird, sowie an der Einführung eines demographisch bedingten Rentenabschlags ("demographischer Faktor"), den CDU/CSU und die Grünen gemeinsam fordern, der aber von der SPD bislang abgelehnt wird.Die Dissenspunkte sind nicht unüberwindlich. Die steuerfinanzierte soziale Grundsicherung, die Riester ins Auge fasst, ist problematisch, weil Elemente des Sozialhilferechts ins Rentenrecht übernommen würden. Schon aus diesem Grund wird der Arbeitsminister den Rentenkonsens nicht an der Grundsicherung scheitern lassen. Ähnliches gilt für die Frage eines Rentenabschlags, der sich nach der steigenden Lebenserwartung bemisst. Wenn Riester sich entschlossen zeigt, nach den Jahren 2000 und 2001 wieder zur Anpassung nach den Nettolöhnen zurückzukehren, so schließt das einen Abschlag keineswegs aus. Die vom Bundesverfassungsgericht verordnete steuerliche Besserstellung von Familien etwa könnte aus der Rentenanpassung herausgerechnet werden ("modifizierte Nettoanpassung"), so dass die Renten im Ergebnis doch langsamer steigen würden als die Nettoeinkommen.Ob "modifizierte Nettoanpassung" oder "demographischer Faktor": Abschlag bleibt Abschlag, die Voraussetzungen für eine Einigung sind mithin bestens. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt indes. Voraussichtlich in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Renten - eben so wie Pensionen - versteuert werden müssen. Dann nämlich wird man zur Rentenanpassung entsprechend den Bruttolöhnen zurückkehren müssen.Fest steht: Die Renten werden langfristig weiter sinken. Die Lücke zwischen zuletzt erzieltem Einkommen und Rentenzahlbetrag wird größer. Den Lebensstandard im Alter zu halten, wird schwieriger. Und das ist politisch gewollt. Unisono empfehlen daher die Parteien eine ergänzende, kapitalgedeckte Privatvorsorge fürs Alter. Kapitaldeckung, für viele ein Zauberwort zur Sanierung der Renten, oder Umlagefinanzierung - das ist, nach den Worten eines hohen Beamten aus dem Bundesarbeitsministerium, ein Glaubensstreit. Hellhörig muss man allerdings werden, wenn Ulla Schmidt, in der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Soziales, den Rentenbeitragssatz unter 20 Prozent halten will, um den Arbeitnehmern mehr Spielraum für private Vorsorge zu schaffen. Das nämlich ist der faktische Abschied von der paritätischen Finanzierung der Alterssicherung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Unbeantwortet bleibt überdies die Frage, wie die Privatvorsorge - etwa Lebensversicherung oder Aktienfonds - bei Arbeitslosigkeit, längerer Krankheit oder Erwerbsunfähigkeit finanziert werden soll.Auch die positiven Ansätze der angestrebten Reform - die rentenrechtliche Höherbewertung niedriger Einkommen, wenn Erziehungszeiten anfallen, oder die Möglichkeit für arbeitslose Jugendliche, Rentenanwartschaften zu erwerben - können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Grundproblem der sozialen Alterssicherung ungelöst bleibt: Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen sinkt ständig, seitAnfang der achtziger Jahre von rund 72 Prozent auf heutige 66 Prozent. Das Beitragsaufkommen der Rentenversicherung ist abhängig von der Lohn- und Gehaltssumme, mithin rückläufig, und so soll es nach dem Willen der Reformer bleiben. Die Rentenversicherung wird weiterhin ein Einnahmeproblem haben, woran auch die angestrebte Rentenreform nichts ändern wird.Die Lösung kann nur eine allgemeine Bürgerversicherung sein, die jede Art Einkommen, nicht nur Löhne und Gehälter, an der Finanzierung der Sozialversicherungen beteiligt. Nötig sind außerdem starke Elemente der Umverteilung von oben nach unten: Durch die Festlegung einer Höchstrente wird die Finanzierung einer Mindestrente möglich. Das Beispiel Schweiz zeigt: Ein solches System bringt durchschnittlich höhere Renten als hierzulande bei einem wesentlich niedrigeren Beitragssatz (zur Zeit gut zehn Prozent). Solange sich die Bundesregierung nicht zu einer solchen grundlegenden Neuordnung ent schließen kann, wird jede Rentenreform zwangsläufig eine vorletzte sein.