Die Übergänge sind zart und fließend. Mit leichter Hand wird der Zuschauer durch die Zeit geführt. Richmond bei London 1923, Miami 1952 und New York 2001 - drei Schauplätze, elegant miteinander verwoben, mühelos zu unterscheiden. Auch Kamera und Montage drängen sich dem Blick nicht auf. Im Gegenteil: Nichts soll in The Hours ablenken vom Spiel der Darsteller. Der Zuschauer kann sich zurücklehnen und genießen, wenn der Vorhang aufgeht für die Stars auf der Bühne. Stephen Daldry, der bereits mit seinem Debütfilm Billy Elliot einen großen Erfolg feiern konnte, hat in The Hours den gleichnamigen Roman von Michael Cunningham inszeniert. Dessen preisgekröntes Werk kreist um das Verhältnis von Literatur und Leben - ausgehe
atur und Leben - ausgehend von Virginia Woolfs Roman Mrs. Dalloway, in dem das Leben einer Frau an einem Tag aus den Fugen gerät. »Mrs. Dalloway sagte, sie wolle die Blumen selber kaufen«. Es ist bereits dieser erste Satz, der alle Veränderungen, das Aufbrechen der eingefahrenen Gleise andeutet. Nicole Kidman, bleich geschminkt und kaum noch zu erkennen, kämpft als Virginia Woolf im Jahre 1923 mit der Formulierung dieses Satzes, der das weitere Schreiben fließen lässt. Und zugleich kämpft sie mit der Unmöglichkeit eines erfüllten Lebens. Kidman spielt die Autorin als Intellektuelle mit einer fragilen Emotionalität, schwankend zwischen innerer und äußerer Realität. Sie macht ein inneres Drama sichtbar und zeigt, wie sehr Woolf eine Fremde ist in ihrer Zeit. Unverstanden und nur getragen von der Liebe ihres Mannes. Woolf schreibt und lebt mit hoher Intensität ohne Kompromisse und wirkt damit - so erzählt es uns Cunningham in The Hours - weiter auf ihre Leserinnen. Laura Brown (Julianne Moore) ist eine von ihnen. Sie lebt 1952 als »Mrs. Dalloway« in einer Vorortsiedlung von Miami. Laura ist schwanger, hat einen Sohn und einen Mann, der sie liebt. Die Familie wohnt in einem perfekt eingerichteten Haus. Laura könnte glücklich sein, wenn sie sich nicht wie ein Bestandteil des Interieurs fühlen würde. Daldry hat die Idylle als perfekte Hülle inszeniert, deren Kälte einem ganz langsam den Rücken hinaufkriecht. Der Tag von Laura beginnt im Bett mit der Lektüre von Mrs. Dalloway. Am Ende des Tages entscheidet sie sich, die Familie nach der Geburt ihres zweiten Kindes zu verlassen. Julianne Moore spielt eine Frau, die mit plötzlichem, fast kindlichem Erstaunen erkennt, dass für ihr eigenes Leben kein Platz in dieser heilen, wohlanständigen Welt ist und nie war. Ihre Laura Brown bewegt sich in den vertrauten Räumen abwesend, fast somnambul. Ihr Gesicht wirkt wie eingefroren. Sie ist unfähig, ihrem Sohn mehr als ein gequältes Lächeln zu schenken. Clarissa Vaughn (Meryl Streep) ist die andere »Mr. Dalloway«. Wie die Romanfigur verlässt sie am Morgen das Haus, um Blumen zu kaufen. Berge von Blumen, für eine große Feier zu Ehren ihres Ex-Geliebten Richard (Ed Harris). Beide leben im New York der Gegenwart. Er ist Schriftsteller, hat Aids und wird kurz vor seinem Tod noch mit einer bedeutenden Auszeichnung dekoriert. Clarissa richtet die Feier aus, so selbstverständlich wie sie ihn pflegt in seinem Appartement, das hinter Stahltüren wirkt wie eine Todeszelle. Sie erscheint als eine Frau, die alles im Griff hat. Doch die Fassade hektischer Aktivitäten ist längst brüchig, als dieser Tag beginnt, der ihr Leben radikal verändern wird. Denn Clarissa hat ihre Realität um ein inneres Exil organisiert. Es zählt einzig die Erinnerung an ihre Liebe mit Richard, die nur einen Sommer überlebte, als sie 18 war und glücklich. Das war das Leben, jetzt gilt es nur noch den Alltag zu meistern, die versprengten Reste ihres Selbst zusammenzuhalten. Schwer genug, wenn der Ex-Geliebte, der seit jenem Sommer lieber mit Männern lebte und sie in einem Roman verewigt hat, den Finger immer wieder in diese Wunde, diese Lebenslüge legt. Eine zerrissene Figur, wie geschaffen für Meryl Streep. Der Regisseur Mike Nichols nannte sie eine Erscheinung, wie Greta Garbo, die es nur einmal gibt in jeder Generation. Zielsicher hat Streep über eine Ausbildung an der Yale Drama School die Theater New Yorks erobert, bevor sie in Julia von Fred Zinnemann erstmals in Hollywood vor der Kamera stand. Eine Biografie, die heutzutage seltsam altmodisch und sehr eigenwillig wirkt, in der Schauspielerinnen über Karrieren als Models ihre Eignung für die Arbeit vor der Kamera unter Beweis stellen. Streep hingegen weiß, was es heißt, einsam vor der Rampe zum Publikum eine Figur mit Leben zu erfüllen. Es gelingt ihr in ihren besten Filmen so intensiv, dass der Eindruck in Erinnerung bleibt über viele Jahre hinweg. Wie etwa als Farmerin Tania Blixen an der Seite von Robert Redford in Jenseits von Afrika (1985). Sie zeigt diese Frau zerrissen zwischen Abenteuerlust und Verlässlichkeit. Den Mann hat Tania verlassen, um ihre Liebe zu leben. Doch den Freiheitsdrang des Jägers, der immer wieder für Monate verschwindet, kann sie nicht ertragen. Es sind kleine Gesten mit denen Streep der Verzweiflung ihrer Figur Ausdruck verleiht. Auch wenn der Film oft ins Melodramatische schwenkt, ihr Spiel scheint immer davor gefeit. So auch in Brücken am Fluss (1995), wo sie als Farmersfrau Francesca Johnson in Abwesenheit ihrer Familie eine kurze Romanze mit Clint Eastwood als Fotografen Robert Kincaid beginnt. Wie sie sich schön macht und anzieht für einen Abend mit ihm, und wie dabei das Begehren in ihr erwacht, berührender und schöner kann Kino kaum sein. Solch bleibende Momente gibt es auch in The Hours, etwa wenn mitten in ihre Vorbereitungen hinein Louis (Jeff Daniels), der Ex-Lover von Richard, zu früh zur Party erscheint. Clarissa versucht sich als perfekte Gastgeberin und zugleich als Retterin ihres auf dem Herd stehenden Essens. Doch mit dem Gast tauchen auch die Erinnerungen und all die Fragen an ihr eigenes Leben wieder auf. Sie versucht dagegen anzukommen, doch verliert dabei Stück für Stück die Kontrolle. Die Gesichtszüge entgleisen unwillkürlich für Momente, die Hände wissen nicht mehr wohin. Sie verliert die Fassung, geschüttelt von einem Weinkrampf. Dann ist alles vorüber, Clarissa wischt sich mit der Schürze die Tränen ab. Die Feier muss steigen, die Fassade ein letztes Mal halten. Ein wundersames Fragment der Schauspielkunst, in feinsten Nuancen dargeboten. Chapeau, Mrs. Streep. So unaufdringlich und einladend wie Sie entführt seit vielen Jahren kaum eine Schauspielerin ins weite Reich der Emotionen.
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