Im November 2002 erschoss ein Antwerpener Rentner den Jungen seiner Nachbarn, einer aus Marokko eingewanderten Familie. Noch in der Nacht wurde das Viertel zum Schauplatz der ersten gewalttätigen Ausschreitungen nordafrikanischer Jugendlicher in Belgien. Inmitten des Geschehens stand Dyab Abou Jahjah, als Gründer der Arabisch-Europäischen Liga Sprecher einer neuen muslimischen Bewegung in Belgien. Inzwischen wurde daraus eine politische Plattform, der ein Schulterschluss mit radikal linken Gruppen (u.a. den flämischen Kommunisten) gelang. Doch was als Aufruhr begann, könnte bei den Parlamentswahlen am 18. Mai schon soweit ausgereizt sein, dass Abou Jahjahs Partei Resist (Widerstand) an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.
Haben sich die Wogen also geglä
ie Wogen also geglättet? Abou selbst hat die Parole ausgegeben: Wahlen sind nicht das Wichtigste - eine Bewegung misst sich an Aktionen und ihrem Programm. In letzterem findet sich der Satz: »Wir versuchen, die Konsum-Mentalität durch eine militante Mentalität zu ersetzen.« Ein Slogan, mit dem die Arabisch-Europäische Liga auch in den Niederlanden aktiv ist und den Staatlichen Sicherheitsdienst AIVD beschäftigt, der Abou Jahjahs Parteigänger als Gefahr für die Integration von Muslimen einstuft. Ein Urteil, das im Vorjahr auch für die Liste Pim Fortuyn (LPF) galt, die mit 17 Prozent der Stimmen kurzzeitig zur zweitstärksten politischen Formation des Landes avanciert war, um dann allerdings bei den Neuwahlen im Januar auf die Marke 5,7 abzustürzen.Was Fortuyn in den Niederlanden in sechs Monaten gelang, sich deutlich rechts von der Mitte durch eine Politik der Ressentiments hoch zu schaukeln, dazu brauchten in Belgien die flämischen Rechtsradikalen vom Vlaams Blok etliche Jahre, bevor sie in Antwerpen jede dritte Stimme erhielten. Bleibt Dyab Abou Jahjah auf seinem Weg, könnte der in drei Jahren bei den Kommunalwahlen in der größten Stadt Flanderns - der Hochburg des Vlaams Blok - in eine Konfrontation münden, bei der sich die »Alteingesessenen« und die nordafrikanischen Einwanderer gegenüberstehen. Die Marokkaner der zweiten und dritten Generation wurden in rechtlicher Hinsicht vollends integriert, das heißt, Abou Jahjah kann sich nur mit dem Vorwurf hoch stilisieren, in der sogenannten »multikulturellen Demokratie« Belgiens werde weiterhin mit zweierlei Maß gemessen, außerdem grassiere ein verhärtetes Unverständnis für Lebensweise und Milieu der Nordafrikaner. Fauzaya Talhaoui, Parlamentsabgeordnete der flämischen Grünen, fordert nicht zuletzt deshalb, den arabischen Nachrichtenkanal Al Dschasira englisch untertitelt ins Kabelprogramm zu nehmen, damit für die Belgier mehr vom Selbstbild der Einwanderer erkennbar werde, denn viele arabische Immigranten könnten das Gefühl von Ohnmacht, wie es nach dem Irak-Krieg Teile der arabischen Welt heimsuche, in ihrer europäischen Umgebung nachempfinden. Besonders mit Arbeitslosigkeit, Kriminalität und fehlender Achtung haben allochthone Jugendliche zu kämpfen. An die Universität schaffen es die wenigsten. Hier auch liegt die Schwierigkeit für die etablierten Politiker der Einwanderer: Sie pflegen einen repräsentativen Habitus und unterscheiden sich kaum von den üblichen Gebaren der politischen Klasse. Damit geht jede street credibility verloren, sprich: das Vertrauen jener, die auf der Karriereleiter eher unten bleiben. Eine Mehrheit unter Nordafrikanern und Arabern sieht sich von dieser Spezies keineswegs vertreten, was nicht automatisch bedeutet, dass deshalb Dyab Abou Jahjah alle Hoffnungen auf sich zieht.Warum - könnte man fragen - ist diese charismatische Figur bei einer Wahl zu beachten, die völlig abseits von ihr entschieden wird? Bei einem Votum, das den Sozialdemokraten die Chance einräumen könnte, Premier Guy Verhofstadt und seinen Liberalen Konkurrenz zu machen und womöglich einen Regierungswechsel zu bewirken? (Sollten die Grünen mitspielen!) Dyab Abou Jahjah und die Arabisch-Europäische Liga sind insofern von Bedeutung, als sie erstmals die vom Vlaams Blok provozierte Radikalisierung auf der ultrarechten Seite des Parteienspektrums mit einer nicht weniger zugespitzten Position beantworten. Abou Jahjah wurde bereits als »belgischer Malcolm X« beschrieben, der die multikulturelle Perspektive als Fiktion geißelt und zum offenen Bruch mit einer Lebenslüge der belgischen Gesellschaft aufruft. Die Antwort der meisten Immigranten scheint bisher eindeutig: Abou Jahjah wird von ihnen gehört, aber nicht hochgejubelt - sie sind schlichtweg besonnener als ihnen gern nachgesagt wird.Parlamentswahlen 1999ParteiErgebnisin ProzentChistelijke Volkspartij (flämisch)13,9Vlaamse Liberalen13,5Parti Socialiste (wallonisch)9,6Socialistische Partij (flämisch)9,0Parti Liberal (wallonisch)10,0Vlaams Blok9,2Parti Social-Chrétien (wallonisch)5,0Ecolo (Grüne in bd. Landesteilen)8,4Volksunie (flämisch)7,2Andres Gaan Leven7,4Sonstige6,8