Alltag Wer jobbt, ist nicht nur frei, sondern auch frei verfügbar. Beim Messebau arbeiten Studenten, Hazadeure und Gestrandete - sie werden tageweise angeheuert und sind jederzeit kündbar
Wer macht denn heute noch eine Arbeit! Alle machen Geld, irgendwie. Ich mache Messebau. In dieser Branche ist ein seltsames Volk zugange. Sie tragen kreative Brillen oder wilde Rauschebärte, Handwerkertracht, Polohemden oder löchrige Lederjacken mit ausgeblichenen Szene-Sprüchen. Bei der Arbeit hören sie Techno, Punkrock, Spreeradio; in der Pause lesen sie Bild, Mopo, taz und ND, essen Aldi-Volkornriegel, Pizzaservice-Pizza oder belegte Brote aus dem Stullenkasten und rauchen alle Tabakmarken, die es gibt. Es fällt schwer, sie einzuordnen. Es gibt gescheiterte Akademiker, gestrauchelte Handwerker, Ex- und Sub-Proleten und alle möglichen anderen, die es woanders nicht mehr schaffen oder schaffen wollen. Sowie natürlich die kleinen und etwas größe
3;eren Geschäftemacher.Leute wie unser Chef.Unser Chef hat es im Blut. Er hat Grafikdesign studiert, macht aber seit dem ersten Semester Geschäfte und brach nach dem zehnten sein Studium ab. Nein, das war nicht grad neulich, sondern in einem früheren, längst abgeschlossenen Kapitel der Geschichte der Arbeit. Leicht war es auch damals nicht, eher schwerer, aber Leute wie unser Chef kommen immer durch: 1946 war er auf dem Schwarzmarkt zugange, danach dekorierte er, zusammen mit einem Freund, Wohnungen und später Messestände. Mitte der Fünfziger hatte er seinen ersten größeren Auftrag, eine Propaganda-Austellung zur Autostadt Wolfsburg. Mit der Zeit wurde eine kleine Messebaufirma daraus; inzwischen zahlt unser Chef sogar Steuern. Dem akademischen Betrieb blieb er auf seine Weise treu: Er holte sich seine Arbeitskräfte von der studentischen Arbeitsvermittlung, für je ein paar Tage, Anruf genügt. Für das Zusammenstecken der standardisierten Standbausysteme, den Abbau und die Einlagerung oder Verschrottung des Materials waren studentische Leiharbeiter völlig ausreichend. Den kleinen Rest der anspruchsvollen Tischler- und Schlosserarbeiten erledigten Handwerker, die sich der Chef beim Arbeitsamt bestellte.An diesem System hat sich seit Jahrzehnten wenig geändert. Nur werden die Standbausysteme immer einfacher in der Handhabung und die Handwerker entsprechend seltener. Und die Studenten von heute studieren nicht mehr. Sie stehen der Firma so lange und so oft zur Verfügung, wie Bedarf ist, und so brauchen sie nicht einmal vermittelt zu werden, sondern kommen ganz von selber. Von allen Seiten drängen Philosophen, Lehramtsanwärter, Architekturabsolventen auf den Messebau.Leute wie wir.Wir sind Dilletanten wie unser Chef, nur dass uns sein Geschäftssinn fehlt. Unsere Studien haben wir abgebrochen, oder auch abgeschlossen, das ist inzwischen egal. Obwohl wir unseren Freundinnen manchmal versprechen, es irgendwann noch in eine richtige Stelle zu bringen, sind unsere Berufe und Berufungen längst Hobbys geworden. Einer betreibt eine defizitäre Lehmbaufirma, der andere einen Bezahlverlag im Netz, ich schreibe manchmal für linke Zeitungen. Das klappt ganz gut. Zwischen den Messen hat man viel Zeit für kreative Nebentätigkeiten. Und selbst wenn es stressig wird, der Chef hetzt und wir die Wochenenden durcharbeiten, so ist es doch schön, für den Lohn zwar etwas Kraft, aber keine Überzeugungen opfern zu müssen. Wir tragen an keiner Verantwortung, weder für die Firma noch für die Idee. Selbst unsere Bauten, die wir hässlich und überflüssig finden, verderben uns nicht die Laune - schließlich reißen wir nach der Messe alles wieder ab. Nichts ist ernst. Wir sind so frei.Natürlich sind wir nicht nur frei, sondern auch frei verfügbar. Der Chef ruft uns, wenn er uns braucht, manchmal erst einen Tag vorher. Einmal auf der Arbeit, weiß man nie, wann man wieder nach Hause geschickt wird. Protest gibt es keinen, denn wir wissen, wie leicht wir ersetzbar sind. Höchstens arbeiten wir noch etwas langsamer als sonst, damit die Arbeit länger reicht. Nur in der Kneipe, wo wir nach Kräften berlinern und die harten Bauarbeiter spielen, natürlich ironisch, dort fluchen wir dem Chef und geloben, nie wieder für ihn zu arbeiten. Aber bisher ist noch nie einer freiwillig gegangen. Denn eigentlich sind wir ganz zufrieden.Nicht so wie Boris.Boris ist einer der wenigen Profis, die unser Chef sich noch leistet. Früher war er Tischler mit Leib und Seele, Festgehalt und Sozialversicherung. Heute annonciert er sich per Internet und verdingt sich wochenweise an Messebaufirmen. Dennoch ist er immer noch ein richtiger Handwerker, bringt sein eigenes Werkzeug mit und erledigt alle Aufgaben so routiniert, als wäre er außer Tischler auch Schlosser, Elektriker und Innenausstatter. Dafür verlangt er auch ein paar Euro extra. Er braucht das Geld, denn er ist aus seinen besseren Zeiten einen gehobenen Lebensstandard gewohnt, den einzuschränken ihn viel Überwindung kostet. Seine Qualitätshandys, seinen Jahreswagen und seine Sommerurlaube auf warmen Inseln hat Boris zwar inzwischen eingespart. Aber seine Frau und sein Kind konnte er nicht abstoßen, und auch auf das Einfamilienhaus, das er sich in Rotenburg (Wümme) gebaut hat, mag er nicht verzichten. Er ist stolz auf sein Haus und es beruhigt ihn, seine Familie dort zu wissen, während er in den Flughäfen, Messehallen und Billighotels fremder Städte um ihr Auskommen kämpft.Am Vorabend der Eröffnung der letzten Messe, als Richtfest sozusagen, feierte Boris seinen Fünfundvierzigsten. Es gab Wodka und Bier im Pausenraum, die Kollegen waren ausgelassen. Boris wurde redselig: Er erzählte von seinen Lehrjahren, die keine Herrenjahre waren, und wie er später zum Bootsbau kam, der Königsdisziplin der Tischler. Er lästerte über unseren Chef, der von Handwerk keine Ahnung hat; er lallte, dass er unterbezahlt sei, forderte geregelte Arbeitszeiten und zitierte in seinem Suff sogar die berufsgenossenschaftlichen Vorschriften, die bei uns verletzt werden: Führerschein fürs Staplerfahren, Schutzbrillen, Sicherheitsschuhe. Wir lachten.Wie der Chef davon erfahren hat, weiß ich nicht. Aber als eine Woche später der Abbau begann, war Boris nicht mehr da.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.