Die Erzählung, der gesetzliche Maifeiertag sei eine Errungenschaft der kämpferischen Arbeiterbewegung, wäre arg geschönt. Als der internationale Sozialistenkongress 1889 beschloss, an diesem Datum solle ab 1890 für den Achtstundentag gestreikt werden, gingen die Delegierten nicht davon aus, dass zu diesem Zweck eine Art bezahlter Urlaub genehmigt werde. Vielmehr war mit Repressalien der Unternehmer zu rechnen. Auch in der Weimarer Republik gab es keinen staatlich gewährten Maifeiertag. Den führte 1933 Hitler ein und verband dies mit der Zerschlagung der Gewerkschaften.
Pflichtgemäß ist anzufügen, dass es weder hier noch sonst viel Gemeinsamkeit zwischen dem Faschismus und der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung gibt. Nachdem dies gesagt
ies gesagt ist, sollte aber doch Befremden über die Selbstverständlichkeit angebracht sein, mit der in sozialdemokratischen Regierungszeiten der Bundeskanzler, der Finanzminister und andere Gemeinwohlgaranten auf Maikundgebungen sprechen - in diesem Jahr trittt Schröder aus diesem Anlass sogar in einem Freilichtmuseum auf: im Hessenpark bei Neu-Anspach. Dort kann man Spinnräder, Pflüge und Fachwerkhäuser besichtigen und jetzt also auch den DGB. Ein bisschen weniger Staatsnähe und Selbstverhöhnung wäre mehr Gewerkschaft. Dies gilt auch deshalb, weil in diesem Jahr ein spezieller Grund zur Aufregung angemeldet war. Zum Beispiel hätte man sich den 1. Mai als eine Art Gegenkundgebung zum 14. März denken können, an dem Schröder seine »Agenda 2010« zelebrierte.Eine massive Antwort der Gewerkschaften bei vordergründig passender Gelegenheit lag einerseits nahe, war andererseits aber wohl nicht zu erwarten. Allein die IG Metall wollte zum Protest mobilisieren, während der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie - Hubertus Schmoldt - den Kanzler unterstützt. Die anderen werden ihre Kritik jedenfalls nicht so weit treiben, dass sie als Unterstützung des Mitgliederbegehrens in der SPD verstanden werden könnte. Warum? Der Kanzler und Müntefering haben ihren Opponent(inn)en die Instrumente gezeigt: es gehe um die Regierungsfähigkeit der SPD, und es drohe die Wiederkehr der Schwarzen. Das ist die Wiederbelebung der Dolchstoßlegende vom Sturz des Kanzlers Schmidt 1982. Aber nicht über die Gewerkschaften ist damals der Kanzler gestürzt, sondern über die banale Tatsache, dass Genscher und Lambsdorff die Koalition gewechselt haben.Auch die Behauptung, Schmidt habe gehen müssen, weil ihm die SPD nicht mehr folgte, ist falsch, das Gegenteil ist richtig. Nachdem der Kanzler 1977 eine neue Runde des Wettrüstens, diesmal mit Mittelstreckenraketen, gefordert hatte, nickte die SPD den Vorschlag auf ihrem Parteitag 1979 ohne große Diskussion ab. Diese Treue wurde allerdings dann durch den Aufstieg der Grünen bestraft, dadurch erst ist das Abtauchen in die Opposition unvermeidlich geworden.Den Gewerkschaftsführungen dürfte es nicht schwer fallen, sich diese einfachen historischen Tatsachen zu vergegenwärtigen. Noch mehr als die gefälschte Geschichte aber schreckt sie die Erinnerungen an die Zeit seit dem Oktober 2002: eine verlorene Wahl nach der anderen für die SPD, außerdem verheerende Umfrage-Ergebnisse. In sämtlichen großen Medien wurde zur Bürgerlichen Revolution gegen den angeblichen Gewerkschaftsstaat geblasen. Diesen Kampf um die öffentliche Meinung haben SPD und DGB verloren. Jetzt zeigen sie Wirkung. Die Unionsmehrheit im Bundesrat ist ein Faktor, gegen den nicht mehr regiert werden kann. Das macht mutlos.Es sei denn, man traut sich eine langdauernde außerparlamentarische Mobilisierung zu. Der Gewerkschaftsführer Sergio Cofferati hat dies vor einem Jahr in Italien vorgemacht. Aus zwei Gründen meinen seine deutschen Kollegen hier nicht folgen zu können. Bei einem Blick auf die Stimmung in den Betrieben kommen sie sich wie die Dame ohne Unterleib vor. (Natürlich fragen sie sich nicht, welchen Anteil sie an diesem Zustand haben.) Außerdem ging es in Italien gegen Berlusconi. Hier aber - siehe oben.Demobilisierend wirkt auch, dass offenbar einige Gewerkschaftsführer der Gegenseite mehr glauben als sich selbst. Dabei ist noch nicht einmal an Schmoldt zu denken. In der Spitze seiner Gewerkschaft hat man halt schon seit längerer Zeit dieselben Überzeugungen wie die Prinzipale. Schlimmer ist, dass auch einige der linken Regierungskritiker den Eindruck erwecken, als führten sie nur Pflichtübungen vor. Schröders Versprechen, durch Senkung der Lohnnebenkosten würden Arbeitsplätze geschaffen, wirkt offenbar verführerisch auf sie. Wäre es nämlich wahr, hätten auch die Gewerkschaften etwas davon: der Druck der Reservearmee von Arbeitslosen auf die Tarifverhandlungen nähme ab.Bevor man darauf hereinfällt, sollten zwei Gegenargumente zumindest geprüft werden: Eine Senkung der Lohnnebenkosten erhöht zwar die Gewinne. Gegen die Annahme, diese würden in neue Arbeitsplätze investiert, spricht aber die Erfahrung. Und: Die Sanierung der Sozialkassen ist eine vielleicht unvermeidliche buchhalterische Maßnahme zur Vermeidung von Defiziten. Man kann dabei entweder an den Schwachen sparen oder die Starken belasten oder beides. All das hat aber nichts mit Jobs zu tun. Vielleicht ist es doch gut, wenn am 1. Mai nicht zu laut gedröhnt wird. Gekämpft wird werktags. Wenn überhaupt.