Schon nach wenigen Stunden hat sich für den jungen, schottischen Arzt Nicholas Garrigan (James McAvoy) die Entscheidung, nach Afrika zu gehen, gelohnt. Bereits auf der Busfahrt macht er die selbstbewusstseins-stärkende Erfahrung der Eroberung: Er kann den ersten sexuellen Erfolg mit einer Afrikanerin verbuchen. Weshalb er auf dem Höhepunkt auch prompt den Schrei ausstößt: "Ich bin in Afrika!" Der König ist gekommen.
In den ersten Minuten von Der letzte König von Schottland zeigt Regisseur Kevin MacDonald ein Afrika, wie es klischeehafter in keinem Reiseprospekt sein könnte: Ewiger Sonnenschein, lachende und winkende Menschen, bezaubernde Landschaften, Buschtrommeln und Tänze. Den Menschen helfen, als Arzt in einer Krankenstation arbeiten, ein paa
arbeiten, ein paar amouröse Verstrickungen in exotischer Kulisse erleben, so stellt sich Garrigan wohl sein zukünftiges Leben vor. Seine Ankunft in Uganda fällt in die Zeit der ersten Diktatur-Jahre von Idi Amin, der, wie wir heute wissen, verantwortlich für den Tod abertausender Menschen war.Aber wie viele grausame Tyrannen, das bringt der Film noch einmal in Erinnerung, begann auch Idi Amin seine Regentschaft als Hoffnungsträger: Als er in die Gegend von Garrigans Krankenhaus kommt, um seine großen Versprechungen für die Zukunft des Landes abzuliefern, sind die Menschen aus dem Häuschen. Vielleicht wird endlich alles besser als unter Obote. Man sieht den jungen Arzt in der Menschenmenge stehen, in der Mitte des Filmbildes, er klatscht, johlt und sieht sich beifallsheischend um. Dabei kennt er gerade einmal Amins Namen, den er irgendwo auf der Reise aufgeschnappt hat. Die Kamera bietet einen peinlich berührenden Blick von außen auf einen Menschen, dem selbst nichts peinlich ist. Weil er sich nie von außen betrachtet.Regisseur Kevin Macdonald hat bisher äußerst erfolgreich Dokumentarfilme gedreht. Für Ein Tag im September, einem Film über die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 in München hat er sogar einen Oscar bekommen. Einmal sieht man darin zwei Sportler in der Parkanlage des olympischen Dorfes Tischtennis spielen, während ein paar Meter weiter Polizeieinheiten zusammen gezogen werden. Man sieht diese Situation von oben und erschrickt darüber, wie selbstverständlich das normale Leben weiterlaufen kann, nur ein paar Meter entfernt von einer Katastrophe. In seinem Spielfilmdebüt Der letzte König von Schottland wählt McDonald im Gegensatz dazu die Froschperspektive als Erzählhaltung, um sich aus der beschränkten Sicht des jungen Garrigan den Schrecken von Amins Diktatur zu nähern. Garrigan ist eine fiktive Figur, basierend auf einer Romanvorlage des britischen Journalisten und Autors Giles Foden, der sich dabei nur grob auf reale Vorkommnisse und Personen stützt. Ein Ausländer mit europäischer Sozialisation darf ins Herz der Finsternis blicken. Er muss nur sehen, verstehen kann er es dann sowieso nicht.Dieses Verfahren ist ein gängiger Trick des Erzählens, auch im Kino, um sich fremden Kulturen und deren Mechanismen nähern zu können ohne der ganzen Sache wirklich gerecht werden zu müssen. Über Richard Attenbouroughs Schrei nach Freiheit wurde schon gestritten, in neuerer Zeit könnte man ähnliche Debatten über Der ewige Gärtner oder Blood Diamond führen. MacDonald umgeht dieses Problem recht geschickt, indem er - konsequenter als die meisten dieser Filme - beinahe ausschließlich Garrigans Perspektive übernimmt. Selbst die Kamera arbeitet sehr kleinteilig. Man sieht viele Detailaufnahmen, oft ist der Bildvordergrund unscharf. Ohne wirkliches Wissen und mit wenig Gespür für seine Umgebung kann sich ein naiver Narziss wie Garrigan da schnell sein eigenes Bild nach seinen Vorstellungen zusammenbauen.Als sich Amin bei einem Autounfall leicht verletzt, wird zufällig Garrigan als Arzt herbei gerufen. Der Diktator, der sich selbst aus Abneigung gegen England einmal den Beinamen "Letzter König von Schottland" gab, findet Gefallen an dem jungen Mann, der darauf besteht, Schotte und eben kein Engländer zu sein. Amin bietet Garrigan an, sein Leibarzt zu werden und die wichtigste Klinik im Land zu leiten. Garrigan nimmt das Angebot natürlich an. Dass der ehemalige Klinikchef zu seinem Zuarbeiter degradiert wird, passt sofort in sein Weltbild, in dem es nur natürlich scheint, dass ein europäischer Uni-Absolvent ohne Erfahrung höher gestellt zu sein hat als ein verdienter, afrikanischer Arzt mit langjähriger Erfahrung.Der Film zeigt Garrigans Geschichte als die eines schwachen Menschen, der leicht zu blenden ist: Teure Geschenke, opulente Parties mit schönen Frauen, ein paar Schmeicheleien zur rechten Zeit und schon glaubt Garrigan das Richtige zu tun und einem ganzen Land zu helfen, während er in Wirklichkeit doch nur dem Charme des Diktators verfallen ist und bald freiwillig dessen Machtspielchen als einer der engsten Berater mitspielt. Dass man der Geschichte so weit folgt, ist vor allem Forest Whitakers Darstellung von Idi Amin zu verdanken. Whitaker macht aus dem Diktator einen sympathischen, einnehmend einfachen und keinesfalls dummen Menschen, der mit Kumpelhaftigkeit und Sinn für Humor leichthin die Zweifel anderer verwischen kann. Und doch liegt in jeder seiner Gesten eine unterdrückte Aggressivität, die zur Vorsicht mahnt. Aber im Zentrum der Macht, in einer Dunstglocke aus Schein und Selbstbetrug lebt es sich einfach zu gut.Solange das so bleibt, ist der Film die beklemmende Charakterstudie eines naiven Europäers, der sich von Einfluss und Macht korrumpieren lässt und kaum merkt, dass er selbst bereits Blut an den Händen hat. Doch leider braucht so ein Filmplot offenbar einen echten Show-Down am Ende. Ohnehin scheint es etwas bieder, dass sich Garrigan ausgerechnet in Kay Amin verlieben muss, eine der Frauen des Diktators, die dieser vernachlässigt. Es kommt zur Katastrophe, die zunächst vor allem Kay trifft. Dass das große Finale dann ausgerechnet während der Flugzeugentführung von Entebbe einsetzen muss, mit Zeitdruck, Dramatik und Flucht in letzter Sekunde, wirkt gezwungen. So dass genau an der Stelle, an der der Film versucht, seinem Hauptcharakter die Augen zu öffnen und ihm den Blick von außen auf Amin und auf sein eigenes schäbiges Leben zu gewähren, die stereotypen Formen eines Thrillers die Oberhand gewinnen. Garrigan wird da fast noch zum Action-Helden. Ein billiger Trick.
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