In den sechziger Jahren bekannte sich das Deutsche Farbenzentrum zur "Farbenfreude". Heute ist der Spaß vorbei. Trendagenturen und Designer haben eine Vielzahl von Farben kreiert und verschlissen. Die Sinne wurden oft bis zum Überdruss gereizt. Das Farbenkarussell ist durchgedreht.
Sogar die Farben selbst haben gelitten. Diese verblüffende Diagnose bescherte Karl Schawelka den Freunden der Farbe, die sich zum 40-jährigen Bestehen des Farbenzentrums in Berlin versammelt hatten. "Die Farben sind in vieler Hinsicht nichtssagend geworden", schloss der Professor für Geschichte und Theorie der Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar sein Referat, das er als eine Bilanz über die Diskussion im Farbenzentrum verstanden wissen wollte. Der Schwerpunkt hat sich dabei
ich dabei deutlich verschoben. EntzauberungDie wissenschaftliche Einrichtung war 1962 angetreten, um Erkenntnisse aus den Natur- und Geisteswissenschaften, aus der Kunst und dem Design zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Farbe zusammenzuführen. Dabei übernahmen die Naturwissenschaftler Zug um Zug das Wort. Sie konnten sich dabei auf Fakten berufen. Zum Beispiel war mittlerweile bekannt, dass es in der Netzhaut drei Rezeptormoleküle für das Farbensehen gibt, die auf Licht unterschiedlicher Wellenlänge - Rot, Grün, Blau - ansprechen und diese Reize für die neuronale Verarbeitung in den Komplementärpaaren rot/grün und gelb/blau weiterleiten.Der alte Streit über die Anzahl der Primärfarben war nun noch komplizierter geworden. Im Auge, sagt man heute, gelte die Dreifarbentheorie, im Gehirn die Vierfarbentheorie; im sichtbaren Lichtspektrum hatte aber schon Isaac Newton sieben Farben gesehen. Damals - im 17. Jahrhundert - begannen Physiker und Chemiker die "Farbwirklichkeit" zu entzaubern, inzwischen haben Psychologen und Neurowissenschaftler auch die "Farbwirkung" - beide Begriffe stammen von dem Bauhäusler Johannes Itten - weitgehend durchschaut. Die Farbe ist den Künstlern aus der Hand geglitten. Manche haben sich auch bewusst davon abgewandt. Sie werde kaum noch als Raum für die Entfaltung der Kreativität gesehen, sagt Schawelka.Kein Farb-Fauxpas mehrAuch die künstlerisch inspirierten Farblehren, die zur Farbgestaltung anleiten wollen, gerieten aus dem Blick. Sie sind zwar noch Unterrichtsstoff, weiß Schawelka, aber "obsolet geworden". In den sechziger Jahren war zum Beispiel auch auf den Tagungen des Farbenzentrums noch intensiv über Ittens "harmonische Farbakkorde" diskutiert worden; die Flut der Farben, die seitdem über die Fassaden, die Dinge, die Magazinseiten und die Bildschirme geschwappt ist, hat aber nahezu alle Regeln hinweggespült. "Die Kombination von Grün und Blau ist längst kein Fauxpas mehr."Einen groben Eindruck von der Farbenvielfalt vermitteln schon die Musterkarten des RAL-Instituts, das im letzten Jahr 75jähriges Jubiläum feierte. Der damalige Reichsausschuss für Lieferbedingungen hatte in den zwanziger Jahren 40 Standardfarben für die Industrie festgelegt, heute sind es - einschließlich Architektur und Design - fast 2.000. Das reicht bei weitem nicht aus. Mit jeder neuen Fahrzeugserie entstehen auch neue Automobilfarben. In den zurückliegenden Jahren waren es oft Silber- und Grautöne - allein davon sollen zur Zeit rund 6.000 in Gebrauch sein. Auch das ist aber noch wenig gegen die rund 50.000 Rezepturen in der Lackindustrie und gegen die Farbskala von Computer-Grafikprogrammen, die nahezu ins Unendliche auflösbar ist.Collor sellsAngetrieben wird das Farbenkarussell von internationalen Organisationen wie der Color Marketing Group, die jährlich zweimal Trendfarben festlegt. Das sind Empfehlungen - "directions, not directives" - mit einem Vorlauf von bis zu drei Jahren, die von der Haute Couture bis herunter zu "schnelldrehenden Verbrauchsartikeln" adaptiert und zur Variation und Alterung der Angebote benutzt werden - Collor sells. Bei Kunststoffbehältern für den Haushalt galten im Frühjahr 97 zum Beispiel Pastelltöne als angesagt, im Herbst 97 wurde auf erdige Volltonfarben umgestellt, im Frühjahr 98 waren Farbspiele in halbtransparentem Neon der letzte Schrei. 2001 kamen Silbertöne in der Küche an.Auch der Büromittelhersteller Pelikan variiert gezielt seine Produkte. Darüber beschwerte sich neulich ein Kunde auf der Webseite des Unternehmens. Er war fixiert auf eine Tintenfarbe, die plötzlich nicht mehr zu haben war. Diese Anhänglichkeit an das Vergängliche ist Hans Magnus Enzensberger schon vor Jahren aufgefallen. "Was heute als Mode grassiert", schrieb er 1993 in einem Essay, "klebt zäh wie Kaugummi" - sei kaum noch aus der Welt zu schaffen. "Am Grellen, Bonbonfarbenen halten die Abnehmer heute bis ins hohe Rentenalter fest."Diese "bunte Schleimschicht" ist nach Enzensberger abgesunkenes Kulturgut, ein trauriger Rest der postmodernen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Farbenfreude kommt dabei weniger zum Ausdruck, eher Gleichgültigkeit. Die geilen Klamotten werden schlicht aufgetragen. Die Kundschaft macht die Trends nicht mit. Auch designbewusste Unternehmen sind meist zurückhaltend. Sie wollen keinesfalls bloß dekorativ sein. Beim Elektrokonzern Braun waren Farben deshalb noch um 1960 "fast verpönt". Laut Dieter Rams, dem langjährigen Chefdesigner, wurden sie "grundsätzlich sparsam" verwendet und stets an eine funktionale Bedeutung gekoppelt: etwa Grün für "Einschalten" und Rot für "Ausschalten" bei einem Taschenrechner.Diese asketische Haltung in der Design-Hochkultur manifestiert sich meist schon in der schwarzen Kluft, an der die Kreativen aller Couleur hartnäckig festhalten. Die Design-Professorin Birgit Weller an der Fachhochschule Hannover hat ihnen deshalb vor kurzem ein gestörtes Verhältnis zur Farbe vorgeworfen. Die Deutschen, meint sie, hätten sogar generell "Farbangst". Karl Schawelka hält dagegen, dass die Menschen eher von den Farben enttäuscht sind. Sie vermissen etwas, denn "Farben", so Schawelka, "werden nicht allein wegen ihres Farbtons geschätzt".Pelzig, matt, schuppig, glänzend - nicht Farbe, sondern EffektEin Farbton - etwa ein bestimmtes Blau - ist nach Schawelka stets nur ein Aspekt im Gesichtsfeld, der durch die Eigenbewegung und Blickfolge des Beobachters in vielfältiger Weise modifiziert wird. Dabei reichert sich die Wahrnehmung an. Formen treten hervor. Man erkennt, ob eine Oberfläche glänzend, matt, pelzig oder schuppig ist und kann meist erschließen, welches Material vorliegt. In vielen Farbbezeichnungen - etwa "Orange" - sind diese komplexen Eindrücke festgehalten. Sie zeigen, "dass die Verbindung von materieller Erscheinung und Farbton sehr eng ist".Den Künstlern war das immer bewusst. Sie haben zu allen Zeiten viel Mühe für das Beizen, Wachsen, Polieren, Lasieren oder Firnissen aufgewandt, um Oberflächen zu veredeln und Wirkungen zu erzielen, die weit über die Wahrnehmung eines Farbtons hinausgehen. Dieser Überschuss, der "Körper" der Farbe, sei für den Gesamteindruck entscheidend, sagt Schawelka. Das habe sich oft erwiesen, wenn in der Denkmalpflege versucht worden sei, einen historischen Farbton mit modernen Farben zu realisieren. Die spektrometrisch festgestellte Übereinstimmung sei dabei wenig aussagekräftig.Auch die Theoretiker haben wenig auf den Farbton geachtet. Von Aristoteles bis Goethe und darüber hinaus wurden die Farben als Geschöpfe von Licht und Schatten angesehen und hauptsächlich nach ihrer Position in einer Hell-Dunkel-Skala - dem Tonwert - beurteilt. Kunsthistorikern fiel es deshalb oft schwer, Farbbezeichnungen zu verstehen. Gelb wurde in diesem Kontext zum Beispiel nur nach dem Tonwert - als hellere Variante - von Grün unterschieden; und Purpur und das sagenumwobene Ultramarin sind auch deshalb besonders geschätzt worden, weil sie Licht und Glanz ausstrahlten. Alles Helle galt als schön.Von solchen Effekten waren die Menschen seit jeher stärker berührt als von Farbtönen und Buntem. Das ist schon anthropologisch begründet und hat auch kulturelle Deutungsmuster geprägt. Glanz verweist zum Beispiel auf Feuchtigkeit und damit auf Wasser, ist also mit der Erfüllung elementarer Bedürfnisse verbunden; und blendendes oder geheimnisvoll durchscheinendes Licht zeigt in religiös motivierten Kunstwerken oft die Nähe göttlicher Macht und Herrlichkeit an. Die Aura dieser lichtumfluteten Darstellungen in Kathedralen, auf Mosaiken und Gemälden ist eng an Materialien und künstlerische Techniken gebunden und nur sehr begrenzt in die profane Farbgestaltung übertragbar.Von all dem ist nur noch ein schwacher Abglanz geblieben. Die Farben haben sich aus dem kultischen Kontext gelöst. Sie stehen gewissermaßen nackt da und wurden auch noch technisch ihrer Kraft beraubt. Über 80 Prozent der Oberflächen werden heute mit Titanweiß als Mischungsbestandteil gestaltet. Die geballte Farbenvielfalt wirkt deshalb wie eine Monokultur. Auf den Bildschirmen ist das Spannungsverhältnis der Farben zur Materialität sogar gänzlich verlorengegangen. Dort sind nur noch Farben ohne Oberfläche zu sehen. Sie können frei flottieren, faszinieren aber nicht mehr.Das Farbenzentrum Berlin arbeitet unter der Leitung von Karl Schawelka mittlerweile in Weimar, wo ein Studienzentrum entstehen soll.
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