Salam, guten Tag!" Wenn Ghassan und Amr durch das Berliner Brunnenviertel gehen, grüßen sie häufig links und rechts. Die beiden sind hier aufgewachsen, man kennt sich. "Merhaba!" Seit einem halben Jahr arbeiten sie als Mittlerpersonen oder Lotsen: Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unterstützen sie ihre Landsleute im Umgang mit den Behörden. "Zunächst sind viele misstrauisch, aber dann fragen sie mich, warum es so was erst jetzt gibt", erzählt Ghassan, der vor 20 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland kam. "Wie ein Lotse das Schiff sicher in den Hafen bringt, führen die Mittler die Probleme unzureichend orientierter Menschen aus dem Kiez schnell und zielsicher einer professionellen Lösung zu", heißt es in der Selbstdarstellun
lung des Projekts namens Die Brücke. Im November 2005 startete das erste Team, dessen ethnische Zusammensetzung ungefähr der im Kiez entspricht. Zuwanderer aus Afrika, dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei und dem arabischen Raum schwärmten aus in die Geschäfte, Cafés und Wettbüros und sprachen die Menschen an.Das Brunnenviertel ist, was gern als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird. Früher traf sich hier eine offene Drogenszene, mittlerweile ist sie vertrieben. Geblieben sind Arbeitslosigkeit und Armut. Ein großer Teil der Bevölkerung stammt aus orientalischen Ländern und dem zerbrochenen Jugoslawien; seit einiger Zeit kommen auch mehr Afrikaner. Viele von ihnen haben von ihren Rechten und Pflichten nur eine ungefähre Ahnung. "Was die so quatschen...", meint Ghassan. Unter den Migranten zirkulieren merkwürdige Gerüchte darüber, was der deutsche Gesetzgeber denn von ihnen erwarte. Die andauernde Welle der Umstrukturierung in den Sozialsystemen verwirrt selbst die Praktiker, umso mehr Nicht-Deutsche.Aber nicht nur Unwissen prägt das Verhältnis von Migranten und Angestellten in der Verwaltung. "Aus Unkenntnis, mangelnder Wertschätzung oder Scheu vor den Ämtern", so die Selbstdarstellung der Brücke, nähmen schlecht Integrierte ihre sozialen Rechte nicht wahr. Hier sollen die Mittlerpersonen helfen und "soziale Prävention" leisten. In Fortbildungskursen werden sie über Themen wie Wohngeld und Ausländerangelegenheiten, aber auch familiäre Hilfen oder häusliche Gewalt ausgebildet und geben dann ihr Wissen an ihre Bevölkerungsgruppe weiter. Ihre Aufgabe ist eine vermittelnde; sie leisten eine oft schwierige Übersetzungsarbeit. Bei Bedarf begleiten sie auch Migranten zu den Behörden. "Manche kommen immer wieder, weil sie glauben, wir hätten besonders gute Beziehungen." Und tatsächlich öffnen sich den Lotsen einige Türen, die sonst fest verschlossen blieben. Und umgekehrt sprechen mit ihnen auch jene, die den Kontakt mit der Beamtenschaft lieber vermeiden.Im Verwaltungsbezirk Berlin-Mitte stammt etwa ein Drittel der Bewohner aus Zuwandererfamilien. Dass es zwischen den verschiedenen Einwanderergruppen und den Beamten keineswegs zum besten steht, ist auch der Lokalpolitik bekannt. Die regierende Koalition aus SPD und PDS vereinbarte bei ihrer Übernahme der Amtsgeschäfte im Jahr 2002, "die interkulturelle Ausrichtung der Berliner Verwaltung konsequent vorantreiben". Daraus wurde bisher wenig: Zwar wurde muttersprachliches Informationsmaterial erstellt, aber der Versuch, mehr Mitarbeiter mit eigenen Migrationserfahrungen zu gewinnen, scheiterte am allgemeinen Einstellungsstopp. Interkulturelle Fortbildungsmaßnahmen sind freiwillig und werden üblicherweise gerade von denen besucht, die sie nicht nötig haben. Die Planer des Brücke-Projekts glauben allerdings nicht, bessere Versorgung mit staatlichen Leistungen führe auch automatisch zur gesellschaftlichen Integration; sie sei höchstens eine Vorbedingung für sie. Wichtiger ist ihnen, dass die Lotsen einen Teil ihres Wissens weitergeben und ein Beispiel für einen selbstbewussten Umgang mit den Ämtern geben.Was für Probleme haben die Migranten? "Es geht meistens um Aufenthaltstatus, Schulden, Ärger mit dem Job-Center", zählt eine deutsch-türkische Lotsin auf. In solchen Fällen erklären sie, wo professionelle Hilfe zu finden ist. Übereinstimmend sagen die Lotsen, dass es weniger kulturelle Fremdheit als die konkrete Lebenssituation ist, die über Integration oder Absonderung entscheiden. Sogar eine ältere Deutsche kam schon in die kleine Anlaufstelle, ein ehemaliges Ladengeschäft, und suchte Rat. "Amtsdeutsch ist eben schwer zu verstehen."Dort sitzen zehn Mitarbeiter auf bunt zusammengewürfelten Stühlen zusammen, das Mobiliar ist gespendet. Für die verschuldete Stadt Berlin hat das Lotsenprojekt auch den Vorzug, äußerst kostengünstig zu sein. Ganze 600 Euro im Jahr stehen zur Verfügung. Die Lotsen verdienen kaum mehr als das Arbeitslosengeld II. "Das ist wie ehrenamtlich!" Immerhin genießen sie es, eine sinnvolle Aufgabe zu haben und Wege durch den Dschungel der Vorschriften aufzuzeigen. Männer und Frauen aus dem Nahen Osten, aus Osteuropa und Afrika arbeiten hier zusammen und machen dabei miteinander unerwartete Erfahrungen. "Wir bauen auch eigene Vorurteile ab."Später geht es um Alltägliches, um Probleme mit der Urlaubsgenehmigung durch die Arbeitsämter, um Vorschriften des Gesundheitsamts - hier ist Fachkompetenz versammelt. Dabei zeigen die Lotsen erstaunlich viel Selbstbewusstsein. "Ich bin für die Araber zuständig", meint einer schlicht. Ghassan, der früher Versicherungen verkauft hat, spricht beharrlich von "Direktakquise", um zu beschreiben, wie er die Leute auf der Straße anspricht. "Wir sind hier elf Chefs." Und überhaupt: "Glaub dem, der es probiert hat, nicht dem, der es studiert hat!" Die Lotsen kennen die Probleme vor Ort und die Arbeitsweise der Ämter genau, sie wissen um das Misstrauen auf beiden Seiten, die Missverständnisse und den Rassismus. Bekanntlich trafen sich Anfang Juli unter der Leitung der Bundeskanzlerin viele Vertreter der Kirchen, Sozialverbände und der Wirtschaft. Was wohl herauskäme, wenn statt den von Merkel eingeladenen Funktionären die Lotsen aus dem Brunnenviertel über Integration beschließen könnten?