20 JAHRE »SOLIDARNOSC« Ohne den Beistand der Katholischen Kirche wären die Gewerkschaftsgründung und die Massenstreiks vom August 1980 nicht denkbar gewesen - aber alles wandelt sich
Vor dem Klostertor am Heiligen Berg zu Tschenstochau, wo »das wahre katholische Herz Polens« schlägt, schärfte Kardinal Jozef Glemp den am 15. August (Maria Himmelfahrt) hierher gepilgerten 250.000 ein, worauf es im Jahr des großen Jubiläums der Christenheit ankommt: »Das Gewissen zu reinigen, es vom Gift des alten Systems zu befreien. Gift bleibt Gift, und so wie die Tschernobyl- oder die Hiroshima-Verseuchung noch nach vielen Jahren nachwirkt, müssen wir uns bewusst sein, das Gewissen Polens war noch mehr verseucht, als wir angenommen haben ...«
Schlimmer noch: Aus den nächsten Worten des Kardinals erfahren wir, »das neue liberale System, eben weil es das liberale System ist, führt ebenfalls gewissenlos zu Tragödien am Organ
n am Organismus von unschuldigen Menschen«.Wie verschwommen dies auch klingen mag - eine positive Wertung der neuen Ordnung, die vor elf Jahren den Sieg über die Gottlosigkeit davontrug, ist es keinesfalls. Wenn Polens höchster Kirchenfürst die weltlichen Begriffe von Demokratie und Freiheit meidet und das in päpstlichen Enzykliken immer wieder kritisierte »liberale System« negativ bewertet, zeigt sich die Position der römisch-katholischen Amtskirche: Sie geht offiziell auf Distanz zur »Politik als solcher«. Auch wenn das nur eine, der Kirche eigene »Ausflucht« sein sollte, die Konfusion der nach 1989/90 noch erstarkten und siegreichen Kirche gegenüber den existenziellen Problemen des Landes und seiner Menschen ist unverkennbar.1980: Das Fernsehen manipuliert den Appell des KardinalsSelbstredend wird Kardinal Glemp am 27. August bei den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 20jährigen Bestehens von Solidarnosc das Hochamt zelebrieren und gewiss auch das Geschehen von 1980 würdigen, doch wie ein Studium von diversen Dokumenten des Episkopats zeigt, Solidarnosc-Chef Marian Krzaklewski darf in seinem Kampf um die Präsidentschaft eher nicht mit klerikalem Beistand rechnen. Vielmehr wird der Kardinal jene Frage stellen, die derzeit von einer Mehrheit der einst zehn Millionen zählenden Solidarnosc-Mitgliedschaft gestellt wird: Was habt ihr aus der erkämpften Freiheit gemacht? Es muss ja auch für die Kirchenfürsten eine erschütternde Feststellung gewesen sein, wenn aus einer Mitte August veröffentlichten Erhebung hervorgeht, dass die Freiheit von nur drei Prozent der Polen zu »den Bedingungen eines gelungenen Lebens« gerechnet wird.Als es vor 20 Jahren mit der gewaltigen Streikbewegung und bei den Gesprächen vor der Unterzeichnung der 21 Punkte der »Danziger Vereinbarung« um die Erkämpfung der Freiheit ging, standen die Bischöfe und Priester aktiv an der Seite der Arbeiter und unterstützten voll und ganz die intellektuellen Beraterdienste von oppositionellen Professoren, Schriftstellern und Regisseuren. Als Journalist habe ich diese Augusttage 1980 in einigen bestreikten Betrieben miterlebt und dabei überall Priester als Seelsorger und Hüter von Verantwortlichkeit gefunden. Auch als Agnostiker und Mitglied der »führenden Partei« fand ich dies in Ordnung, weil mir ja die Streikpostulate - mit Ausnahme der Forderung nach freien und unabhängigen Gewerkschaften - sehr bekannt vorkamen. Sie waren in Anträgen nachzulesen, die im Februar 1980 von der Parteibasis an den VIII. PVAP-Parteitag gerichtet waren und von den Partei-Hierarchen abgeschmettert wurden. Gerade dieser Umstand lässt begreifen, warum dann etwa 1,5 Millionen PVAP-Mitglieder Solidarnosc beigetreten sind.Die Kirche berief sich seinerzeit auf Worte von Karol Wojtyla, der 1979 während einer ersten Pilgerfahrt in seine Heimat dem Volke gesagt hatte: »Bleibt mutig!« - Es gab auch damals im August eine Maria-Himmelfahrt-Predigt des polnischen Primas. Der hieß zu jener Zeit Stefan Kardinal Wyszynski. Ein weiser Mann, der - nach seiner »Non possumus«-Erklärung 1953 festgenommen - in ein Kloster verbannt, im »Polnischen Oktober« 1956 wieder nach Warschau zurück durfte und seitdem - in kirchlichen Fragen weiterhin streng orthodox - politisch sehr vorsichtig, geradezu staatsmännisch, handelte. Wyszynski war sich der geopolitisch komplizierten Lage Polens wohl bewusst und blieb bis zu seinem Tode ein Realist.Nun - im August 1980 - gab es seine Botschaft an das Volk, die zunächst wegen ihres eindringlichen Appells zur Ordnung Unverständnis hervorrief. Doch wie sich herausstellte, war die Predigt - sie wurde vom Fernsehen übertragen - manipuliert worden; der Ruf nach Ordnung blieb, die Unterstützung für die Streikende wurde weggeschnitten. Es dauerte allerdings keine 24 Stunden, bis landesweit über kirchliche Verbindungskanäle die vollständige Fassung kursierte. Die einfachen Priester waren ohnehin bei den Belegschaften. Damals gingen Fotos um die Welt, auf denen zu sehen war, wie die katholischen Geistlichen hinter den Werktoren Gottesdienste abhielten, die Beichte entgegennahmen und die Streikbewegung unterstützten. Auch später, bei all den folgenden Ausständen und Demonstrationen waren die Priester dabei, sogar unter Tage bei den Bergleuten im oberschlesischen Revier. Diese Präsenz lag sozusagen in der polnischen Tradition.1981: Der Vatikan weiß von der Vorbereitung des KriegszustandesDie Kirche Polens war besonders in schlimmen oder stürmischen Zeiten volksverbunden. Als Hort der Schwachen und Verfolgten spielte sie noch einmal eine besondere Rolle während des vom Dezember 1981 bis Juli 1983 dauernden »Kriegszustandes«. Kirchen und Klöster waren Refugien der polizeilich nicht erfassten (zirka 5.000 Solidarnosc-Aktivisten waren interniert), im Untergrund aktiven Oppositionellen. Das Episkopat - vor allem der Zögling von Wyszynski und spätere Nachfolger, Erzbischof Jozef Glemp, agierte als Vermittler zwischen dem Untergrund und der Staatsführung. Der sogenannte Kriegszustand schwächte das Regime - die Kirche sah sich weiter gestärkt. Um einen Ausweg zu finden, versuchten beide Seiten seit 1985/86 ihre »Arbeitskontakte« zu intensivieren, mit dem Segen des »polnischen Papstes«, Johannes Pauls II. Dies wurde - wie General Pawlow, der Statthalter des KGB in Polen, in seinem 1994 erschienenen Buch zugibt - »laufend beobachtet«.Das KPdSU-Politbüro hatte Informationen nicht nur aus »kommunistischen Quellen«, sondern auch »aus der unmittelbaren Umgebung des Kardinals« (!). Übrigens - wie aus einem Buch des französischen Reporters Gabriel Meretik (»Die Nacht des Generals«) hervorgeht - hielten der Vatikan wie die CIA ihre Hände am Puls des Geschehens. Sie wuss ten alles über die Vorbereitung des »Kriegszustandes« und hielten still. In diversen Publikationen - unter anderem in den Memoiren von Kuron, Gierek, Kania, Jaruzelski, Rakowski und Kiszczak -, die nach 1989 in Polen erschienen, bietet sich dem Leser folgendes Bild: die kommunistische Führung und Regierung wurden angesichts der verschärften Konflikte, besonders nach der Ermordung des Priesters Jerzy Popiluszko durch Beamte des Sicherheitsdienstes (angeblich eine Provokation des gegen jede »Liberalisierung« ankämpfenden »Betons«) immer ratloser und die Kirchenfürsten bei der Suche nach einem Kompromiss immer wichtiger. Das zeigte sich bei den Magdalenka-Vorverhandlungen (*) 1988 und dann mit dem Runden Tisch (Frühjahr 1989), als schon der direkte Weg zur »Machtübergabe« und zum »Sieg über den Kommunismus« vorgezeichnet war.Fragmentarisch habe ich diese Phase seit 1986/87 in quasi illegalen Diskussionsrunden und als Teilnehmer des »Runden Tisches«, in Gesprächen mit Persönlichkeiten »beider Seiten« wie Kardinal Gulbinowicz und Erzbischof Majdanski, aber auch General Jaruzelski miterleben können und bin schon damals zu der Schlussfolgerung gekommen, die der damalige Regierungssprecher Jerzy Urban so formulierte: Ja, die »Schwarzen« haben tüchtig vermittelt, gaben sich ehrlich und um ganz Polen besorgt. Sie hatten aber von Anfang an eines im Sinn - ihre eigene Machtstellung im Volk zu festigen.Bei aller Ambivalenz dieses Fazits, Tatsache ist: die Kirche hat nach 1989/90 alles bekommen, was sie verlangte: Ländereien und Immobilien, Gesetze im Geiste der »christlichen Werte« (im Bildungs-, Kultur- und Gesundheitswesen), neue theologische Hochschulen und eine geistige Vormachtstellung. Heute gibt es bei Streiks und Demonstrationen der »bei der Transformation Zurückgebliebenen« keine Priester mehr. Jetzt - formell als Seelsorger bei einer absolut veränderten Solidarnosc tätig - hadern sie mit dem »Populismus der Basis, sind konzentriert auf ihre kirchliche Aufgaben und sympathisieren mit den »national-christlichen« Parteien. Dabei bleiben sie in demonstrativer Distanz zum politischen Tagesgeschehen und lassen das Volk singen »Unser freies Vaterland segne, bitte, o Herr!«(*) Vorverhandlungen zum »Runden Tisch«
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