Sie tummeln sich mit ihren Texten auf den kleinen Spielstätten unserer Stadttheater, die Jungdramatiker und Jungdramatikerinnen. Wer sich in einer universitären Lehr-Schreibwerkstätte einschreibt, am Leipziger Literaturinstitut oder an der Berliner Universität der Künste (für das Studium des "Szenischen Schreibens"), der erwirbt damit eine Art Uraufführungsgarantie für die Texte, die er noch gar nicht geschrieben hat. Denn die werden dann noch vor ihrer Uraufführung auf einem der zahlreichen Stückemärkte, von München bis Hamburg, von Wien bis Heidelberg oder bei Wettbewerben wie dem Stückemarkt des Berliner Theatertreffens, szenisch gelesen und heftig diskutiert.
Voraussetzung dabei ist: Die Autoren müssen jung sein. Zu
sein. Zu alt, also über dreißig, ist wenig karriereförderlich. Vor allem aber müssen die Texte "heutig" sein, sie müssen von unserer Gegenwart handeln. Und so gibt es eine Fülle von handwerklich ordentlich konstruierten Stücken über das Leiden an oder den Aufbruch und Ausbruch aus der Enge des Alltags von Pubertät und Familie. Es sind immer wieder die gleichen lockeren Mittelstandsgeschichten, mit denen in die Horrorabgründe von Familie und Erziehung geschaut wird, und die Beziehungskisten-Stücke über die Liebe in Zeiten von Globalisierung und Hartz-IV. Diese Theater-Texte und -Themen stammen deutlich direkt aus der erfahrenen Wirklichkeit junger Menschen und transportieren vor allem eines: ein Lebensgefühl. Zusammenhänge und die Vergangenheit überlässt diese Autorengeneration einem Medium, das angeblich das Dokumentarische besser bedienen kann: dem Fernsehen.Indem die Berliner Schaubühne sich "zeitgenössisches" Theater nennt, denkt sie mit diesem Begriff politisch weiter und denkt Geschichte und Erinnerungs(ge)schichten mit. Wer Gegenwart beschreibt, kann dies besser, wenn er weiß, wie sie zu dem wurde, was sie darstellt. Deutschlandsaga - Annäherung an eine unbehagliche Identität heißt das Stückeprojekt, das mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes in 18 Monaten 24 neue Stücke zur Diskussion stellen will. Die erste Stufe, eine Uraufführungswerkstatt mit 18 Texten, wurde nach einem halben Jahr gerade abgeschlossen. Alle vier Wochen hat die Schaubühne drei neue Stücke zu jeweils einem Jahrzehnt (von den 50ern zu den 00er Jahren) vorgestellt. Die Stücke sollten möglichst nicht länger als 20 Minuten sein, damit immer drei an einem Abend gespielt werden konnten. Ein kleines Team aus zwei frisch von der Schauspielschule Ernst-Busch kommenden Regisseuren (Robert Borgmann und Jan-Christoph Gockel) und fünf Schauspielern aus dem Ensemble (zu denen gelegentlich weitere stießen) realisierte die zu einem Stückpreis von 500 Euro bei den meist weniger als 30 Jahre alten Autoren eingekauften Texte in der Werkstatt der Schaubühne. Die ersten zwei der drei Stücke wurden stets im Vorraum vor einer Wohnwagen-Bar zwischen dem Publikum gezeigt, dem auf offener Bühne gespielten dritten konnte man von einer kleinen Tribüne zuschauen. Chefdramaturg Jens Hillje nennt die Deutschlandsaga eine Art Anti-Guido-Knopp-Theaterprojekt, weil es um die Auseinandersetzung von jungen Autoren mit nicht erlebter Geschichte gehen soll. Mit Geschichte, zu der die Jungdramatiker eine persönliche Beziehung haben oder entwickeln sollten. Wobei der Werkstatt-Charakter es den Autoren, die sich für die ersten Jahrzehnte verpflichteten, nicht leicht machte, denn sie hatten am wenigsten Zeit zum Schreiben.Das musste man den ersten Texten (über die fünfziger Jahre) zu Gute halten, die sich vor allem an die Äußerlichkeiten einer fremden, mächtig vergangenen Zeit klammerten. Aber sie verdeutlichten auch schon das Grundproblem der meisten Stücke dieser Deutschlandsaga: Kaum je wird der jeweilige Zeitraum in seinen historischen Aspekten deutlich, kaum je setzt man sich mit den politischen Haltungen und entscheidenden Entwicklungsproblemen der jeweiligen Zeit ernsthaft auseinander. So vereint gleich das erste Stück, Ulrike Syhas Rialto, so souverän wie unbedenklich die in den meisten Stücken verkommenden Gestaltungsmittel des Klischees und der Parodie, und Regie und spielwütige Darsteller machen das ganze zum Kabarett. Viele der Stücke retten sich gleich aus der unbekannten Wirklichkeit in die Wirkungssicherheit des Kabaretts. So halten sich Autoren und Darsteller oftmals die Vergangenheit kabarettistisch vom Leib und kommentieren damit etwas, was sie zuvor weder genau beschrieben noch analysiert haben. Heraus kommt so eine sehr eigene und eigenartige Form politischen Theaters, der die Schaubühne vielleicht auf eine andere Reflexionsebene hätte helfen können, wenn sie die Autoren dramaturgisch begleitet und unterstützt hätte.Ulrike Syha begibt sich in ihrem nach einer Filmproduktionsfirma benannten Stück Rialto mitten in den Trubel der Dreharbeiten zum ersten deutschen Edgar-Wallace-Film Der Frosch mit der Maske. Die Sekretärinnen streiten sich, der Drehbuchautor will eine Edgar-Wallace-Serie schreiben und der Produzent will nur eines: keine Experimente. So verkürzt die Autorin die fünfziger Jahre auf den Begriff "Lust auf Amüsement", und die Regisseure bedienen die Unterhaltungslust des Publikums mit schrägem Spiel und schriller Ausstattung. Wer einen Toast Hawai isst und mit grellgelbem Petticoat um den Nierentisch fegt, den identifizieren wir sofort als fremdes, komisches Wesen aus den Fünfzigern. So sieht ein Theater der Accessoires statt der Analyse aus. In Rebekka Kricheldorfs Backfischtod Bad Nauheim bildet sich ein Mädchen vor lauter Elvis-Presley-Begeisterung ein, von diesem schwanger zu sein, was (Achtung, kritisches Zeitstück) zu einer blutigen Abtreibung führt, während Johanna Kaptein in ihrem Fräuleinwunder immerhin Unbelehrbarkeit wie Traumata von Kriegsteilnehmern ausstellt. Hier sind die von Flucht- und Bombenkeller-Erfahrungen geprägten Menschen (mental) noch nicht im Wirtschaftswunderland angekommen. Kapteins Stück begibt sich immerhin nicht wie etliche andere der Deutschlandsaga-Texte, durch die deutsche Vergangenheit wie durch ein Kuriositätenkabinett. Doch die Ernsthaftigkeit ihres Stückes blasen die beiden Jungregisseure mit szenischen Metaphern und Symbolen arg expressiv auf. Wenn sie den Stücken nicht mit kabarettistischen Mitteln beikommen, dann versuchen es die Regisseure mit saurem Bedeutungskitsch und benutzen als vorherrschendes Stilmittel die Übertreibung.Diese Beschreibung von Mitteln und Mängeln wird nicht allen der 18 Stücke gerecht. Doch sie benennt Tendenzen. Tendenzen, die Ausdruck der Schwierigkeiten einer jungen Generation beim Beschreiben von nicht erlebter und nur oberflächlich recherchierter Wirklichkeit sind. In den gelungeneren Stücken der Deutschlandsaga verbinden sich analytischer Witz und einstiger wie heutiger Zeitgeist zum fragenden Spiel. So bei Ewald Palmetshofer, der in Das Ende kommt schon noch (in den Neunzigern) die deutsche Identität mit unendlichen Talkshow-Phrasen umkreist. Bei Palmetshofer werden die Klischees selbstbewusst und selbstironisch auseinander genommen. Am Ende steht die Furcht vor dem Ende der Politik wegen einer Talkshowisierung des Prekariats und der Eindruck, hier einen Pollesch-Schüler erlebt zu haben. Simon Froehling ist in seinem Mashup (in den 00ern) nicht weiter, sondern endlich im bekannten Feld der Jungdramatiker. Denn seine Medienarbeiter, die sich in einem Käfig im Slapstick-Kampf Begriffe handgreiflich wie wortgewaltig um die Ohren hauen, toben uns die Auflösung aller Kontexte und (deutschen) Identitäten vor. Identitätssuche als Groteske liefert zum Schluss Dirk Lauckes Stück gegen sich selbst. Ein Autonomenpaar zwischen Erbschaft vom SS-Opa und Hartz IV, dazu ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur, der Peter Hartz entführt und ihm erzählt, dass die Reform noch zu gut mit den Arbeitslosen umgehe: Das ist eine feine, kleine Klischeemaschine, die niemandem wehtut.Das tun auch die anderen Stücke dieser Deutschlandsaga nicht: mit ihr hat die Schaubühne kein neues Feld für politische Gegenwartsstücke bestellt, sondern leider nur wieder einmal den Boden für eine kabarettistische Aufbereitung von schlecht recherchierten Geschichts-Erzähl-Stücken bereitet.