Im Werbevideo erscheinen die Bilder einer besseren Welt: Prachtvolle Wohnhäuser, Villen, Schulen, gepflegtes Grün. Dazu schmettert ein Kinderchor den Refrain "Bumi Serpong Damai", der nach Glücksversprechen und heiler Welt klingt, auch ohne dass man zunächst versteht, was das heißt: Ruhiges Land Serpong.
Serpong ist der alte Name des Stadtteils am Rand des Molochs Jakarta, der keine Ränder mehr hat. Hier gab es ausnahmsweise noch genug freie Fläche für eine Investorengruppe, um an Peripherie der Megacity deren Gegenbild zu errichten: den von Security umstellten Suburb. Hier baute ein Privatkonzern eine unabhängige Stadt samt Infrastruktur, Versorgungsleistungen, Geschäften, gepflegten Parks. Die Trottoirs sind breit genug, um zu flanieren, d
m zu flanieren, der Verkehr ist mäßig, öffentlicher Raum vorhanden - so etwas gibt es im wirklichen Jakarta nicht.Vorposten der ArriviertenWie wirklich ist Bumi Serpong Damai? Die Häuser imitieren sehr freizügig die Bauweise historischer Epochen, sind aber zugleich Themenpark der europäischen Architektur und variieren vom Eingangsportal bis zum Küchenfenster das Motto eines Bauabschnitts: Napoleon, Vienna, Vivaldi - Häuser wie Stilmöbel. Sie reden in der Sprache der Säulchen, Kapitellchen und Villenfantasien. Manchmal endet eine Zeile mit spanischen Landhäusern abrupt in einer Betonmauer; die unerschlossene grüne Brache dahinter wartet noch.Es gab viel entsetzte Kritik, als in den neunziger Jahren der Disney-Konzern in Florida seine Idealstadt Celebration City baute, in der vom Bürgermeister bis zur Müllentsorgung alles Disney war. Eine Neue Welt. Für die Reichen ein autarkes Stadtgebilde, Sicherheit, gute Schulen, eine respektable Nachbarschaft, während für die Bewohner normaler Städte geschlossene Theater, verdreckte Parks und Kriminalität zum Standard wurden. Hier die moneymaker - dort die Armutsverwalter.Celebration Cities wie Serpong entstehen in Jakarta seit Jahren für 100.000 von 20 Millionen Einwohnern, und niemand schreit auf. "Die Kinder von Jakarta müssen morgens schon um fünf Uhr, im Dunkeln, zur Schule aufbrechen", sagt ein junger Architekt von Serpong und spricht vom Tribut, den Kinder wie Erwachsene dem permanenten Verkehrschaos der Stadt zollen müssten. Dagegen die Kinder von Bumi Serpong Damai - die brauchten nur zehn Minuten zur Schule und könnten ein normales Kinderleben führen, weil das die Einkünfte ihrer Eltern erlauben. Für umgerechnet 100.000 Euro Miete pro Jahr kann man in der self-contained city auch das Authentische bekommen: die charakteristisch versiffte Markthalle, den exotisch verwilderten Stadtpark, sogar eine deutsche Schule.In zehn Jahren, wenn sich die Gewinne realisiert haben werden, will die Entwicklungsgesellschaft ihre perfekte Planstadt an die Stadt Jakarta zurückgeben - und keiner denkt gern über die Frage nach, wie es dann um die Pflege der aufwendigen Grünanlagen bestellt sein wird, wenn Serpong zur öffentlich finanzierten Gemeinde wird.Wer beim Verlassen des Vorposten der Arrivierten die Sicherheitskontrolle an den Zugängen passiert hat, sieht als erstes die in Groß-Jakarta omnipräsenten Straßenverkäufer. Sie haben längst an die gated community angedockt. Vor den Toren der New Town und bei denen, die hier das richtige Leben im falschen führen oder umgekehrt, ist das alltägliche Jakarta längst angekommen.Hierarchie der Mini-ExistenzenIm Verkehr einer Megacity gibt es kein Verharren, sondern ein Wunderwerk an Millimeterarbeit und eine Abfolge sekündlich gefällter Entscheidungen, die aus sechs Fahrspuren je nach Bedarf acht oder auch zehn machen. Und zwischen einem Bajai, einer Art motorisierter Rikscha, und einem Bus, die gerade im spitzen Winkel einen Kleintransporter in die Zange nehmen, findet immer noch ein Moped eine Schneise.Niemand braucht Ampeln, was man braucht, sind Hilfskräfte für den Einstieg. Wer immer sich in den Verkehr von Jakarta einfädeln möchte, stößt auf den Mann mit der Trillerpfeife: Der sieht aus, als habe er nur das, was er am Leib trägt, aber mit seiner Pfeife ist er schon ein Kleinunternehmer. Er stürmt auf die Straße, trillert, bahnt einen Weg ins Gewühl, stoppt selbst Busse mit einer gebieterischen Geste seiner Hand, in die der Kunde, gleich ob er ein Taxi fährt, ein Privatauto oder einen Bus, einen 1000 Rupia-Schein legt - zehn Cent sind das.Ein Beispiel für die unvorstellbare Vielfalt winziger Verdienstmöglichkeiten, die sich auch vor Supermärkten, Bars und Restaurants bieten: eine Tür aufhalten - 500 Rupia. Andere setzen sich in Autos, deren Fahrer noch zwei Insassen brauchen, um die Mehrpersonen-Fahrspur benutzen zu dürfen (auch in Jakarta gibt es diese ökologische Verkehrsidee neuerdings).In einer Stadt, deren Bürgersteige, Freiflächen, Fußgängerbrücken praktisch auf jedem Quadratmeter von Verkäufern aller Art besetzt sind, lässt sich die Hierarchie der Mini-Existenzen nicht ohne weiteres entschlüsseln. Ist der Mann, der die an einen Stock gehängten Beutel mit Nüssen anbietet, schon eine Stufe weiter als derjenige, der mit einer Trage und zwei Kesseln eine Hühnchenbraterei betreibt? Weiter oben stehen auf jeden Fall die Garköche mit eigener Karre, die Fleischklößchensuppe, Fruchtsäfte, Obst, Spiegeleier oder Saté anbieten. Die Besitzer eines Bajai - jenen Dreiradflitzern, die den Verkehr quasi unterlaufen - gehören schon zum Mittelstand und sind populäres Vorbild für die Comedy-Serie Bajai Bajai.Der Weg zu sozialer Gerechtigkeit ist noch weit in Indonesien, aber das patriarchale Fürsorgesystem der Regierung schreibt Unternehmern seit einiger Zeit Beschäftigungsuntergrenzen vor: So lassen sich in einer Drogerie auf vielleicht 40 Quadratmetern 15 Angestellte zählen. Dieses Geschäft braucht jedenfalls keinen Hausdetektiv.Der Verkehr in der Megacity ist mit Worten eigentlich kaum zu schildern. Spätestens gegen zehn Uhr vormittags beginnt das immerwährende Vorrücken von vielen Millionen zu klumpen, gerinnt zum Stau und wird für die nächsten zwölf Stunden so bleiben.Der Stau in einem verstädterten Gebilde von 600 Quadratkilometern und 20 Millionen Einwohnern ist kein sporadisches Ereignis, sondern Lebensform - drei, vier oder auch sechs Stunden des Tages kann es kosten, von A nach B zu kommen und damit nicht mehr als die Strecke zwischen Berlin und Potsdam zurückzulegen. Der Blick aus dem Autofenster zeigt die immergleiche Reihung von Hütten, Malls, Hochhäusern.Vorrecht der WohlhabendenAn Sonntagen reicht der Stau weit hinaus in die Agglomeration, die den Unterschied von Stadt und Land eingeebnet hat, aber immer noch machen die "Städter" ihre Ausflüge, und zwar zu Abertausenden. Längs ihrer Route hat sich eine Ökonomie des Staus gebildet. Tausende von fliegenden Händlern bieten den Vorüberzuckelnden tausenderlei Dinge an. Der Tresen, über den Mangos oder Bananen gegen einen Geldschein getauscht werden, ist das herunter gelassene Autofenster. Hier wie anderswo sind die einen drinnen, die anderen draußen.Drinnen: das ist der klimatisierte Mittelklassewagen, in dem das Klacken der Türverriegelung anzeigt, dass man gerade eine unsichere Gegend passiert. Mit dem Auto fährt man in die Malls, die mehrstöckigen üppigen Einkaufszentren, die Plaza Senayan heißen oder Plaza Indonesia. Namen, die Öffentlichkeit suggerieren und einen naiven Europäer vielleicht an einen Platz unter freiem Himmel denken lassen - den Ursprungsort entfalteter Urbanität. Aber solche Orte gibt es in Jakarta noch weniger als Fußwege, sie wurden durch die Plaza ersetzt: den kommerzialisierten, Security überwachten Raum unter dem kühlenden Dach des Konsumtempels. Wer da nicht hineingehört - und das sind die allermeisten -, lebt draußen: in Hitze, Smog und Lärm, tief unten zwischen den Hochhäusern, die der asiatische Boom in riesigen Clustern über die Stadt gestreut hat.Peter Sloterdijk beschreibt das Komfortgebilde, in dem anderthalb Milliarden Globalisierungsgewinner sich einrichten, während die dreifache Zahl an Menschen draußen bleibt, als "Weltinnenraum des Kapitals". Vielleicht wird dieser durch die Malls der asiatischen Superstädte mit ihren zu gut funktionierenden Klimaanlagen am besten repräsentiert. Es ist dort immer sehr kalt.Wenn es die Aufgabe von Hauptstädten ist, symbolische Orte nationaler Identität bereitzustellen, dann hat Indonesiens Kapitale besonders viel zu tun. Im Gegensatz zu europäischen Metropolen ist es allerdings nicht ein historisches Erbe, das der Identifikation dient: Denn Jakarta wurde vom Wildwuchs der Squatter-Siedlungen und des Hochhaus bauenden Kapitals erbarmungslos überrollt. Die Aura des Originalen, die noch schwach über Resten des alten Hafens und über der restaurierten Kolonialverwaltung liegt, gilt nicht viel gegenüber den Reizen der künstlichen Paradiese, die alte Kultur und neue Konsumwelten gleichermaßen perfekt inszenieren.Jakartas Bewohner müssen nicht nach Kalimantan, Sumatra, Bali oder Papua reisen. Deren Flair finden sie als Mikrokosmos auf einem der Inselchen vor der Stadt oder in der Stadt mit dem Themenpark Mini-Indonesia, in dem Langhäuser aus Borneo, hinduistische Tempel, langgieblige Toraja-Wohnhäuser und Königspaläste wie in Sulawesi stehen. Hier verbringen Familien den Sonntag und flanieren durch die Imitationen ihrer nationalen Kulturlandschaft. Unter tropischen Bedingungen ist der Unterschied zwischen Original und Fälschung zu vernachlässigen. Ein halb offenes Holzhaus ist nicht für die Ewigkeit gedacht, seine traditionelle Architektur kaum zu verbessern, aber eine vorzügliche Gelegenheit, um zu lernen, wie ein erträgliches Raumklima auch ohne air condition entsteht.Aber wen interessiert das? Traditionelle asiatische Architektur ist nur in Hochglanz-Zeitschriften ein Thema. Das Klima in den Innenräumen des modernen Jakarta kommt aus dem Gebläse. Die Reputation von Malls und Hotels ist die kalte Luft, in ihr zu wandeln das Vorrecht der Wohlhabenden, die sich hier vor den Menschenmassen der Mega-City geschützt fühlen und dabei auf Authentizität nicht zu verzichten brauchen: Ein Hotel wie das Jakarta-Hilton versteht sich seinerseits als Themenpark à la Mini-Indonesia: Kolonialstil in Restaurant und Lounge, Hindu- und buddhistische Tempel in Originalgröße draußen im Park. Ansonsten ein moderner Service, zu dem ein Sonderangebot für die Festwoche nach dem Ende des Ramadan gehört, wenn Jakartas besser gestellte Hausfrauen verzweifeln, weil sich die Dienstboten in ihre Heimatdörfer verabschieden. Einen Ausweg bietet der Umzug der Bourgeois-Familie für eine Woche oder mehr zum Sonderpreis ins Jakarta-Hilton - die bessere Welt mitten im Großstadtmoloch.
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