Symbolische Politik war schon immer eine Domäne der Chinesen. Präsident Lee hat einen neuen Stein ins gerade einigermaßen ruhige chinesisch-taiwanesische Fahrwasser geworfen. Die letzte Krise war 1996, als im Vorfeld der ersten direkten Präsidentschaftswahlen scharfe Übungsraketen aus der Volksrepublik nahe der Insel einschlugen. Diese Einschüchterungskampagne sollte die Wahl des die Unabhängigkeit Taiwans fordernden Oppositionskandidaten der DPP verhindern - was auch gelang: Wahlsieger wurde der Vorsitzende der Nationalpartei KMT, Lee Teng-hui.
Ausgerechnet der hat nun in einem Interview mit der »Deutschen Welle » kalkulierten Tabubruch begangen und - mit Blick auf die VR China- von »Beziehungen zwischen Staaten« gesprochen. Das hat ni
Das hat nichts mehr mit der von Peking mit Blick auf Hongkong favorisierten Formel »Ein Land - zwei Systeme« zu tun. Wohl aber entspricht es den politischen Tatsachen und schließt zudem eine Vereinigung unter demokratischen Bedingungen keineswegs aus.Die Reaktion der Volksrepublik China ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten und sie war wie eh und je von martialischen Drohgebärden begleitet - diesmal mit der Neutronenbombe, falls die »abtrünnige Provinz« einseitig ihre Unabhängigkeit erklären sollte. Begründung: »Die Wiedervereinigung Chinas ist der Trend der Zeit und der Wille des Volkes.« Mit dem Trend sind zweifelsohne die »Heimführungen« Hongkongs 1997 und Macaos Ende 1999 gemeint, an die sich möglichst widerstandslos die Eingliederung Taiwans in den Staatsverband der VR China anschließen soll. Aber von welchem Volkeswille ist wohl die Rede?Man muß es sich schon auf der Zunge zergehen lassen: Jener Staat, der vor fünfzig Jahren die Befreiung der Chinesen von feudaler Ausbeutung, Unterdrückung und Okkupation verkündete, bedroht die Taiwanesen mit der physischen Auslöschung, unter weitgehender Erhaltung ihrer materiellen Umwelt. Wohlgemerkt, nach volksrepublikanischer Staatsräson handelt es sich bei den Bewohnern der Inselrepublik um »Landsleute«, die lediglich seit Bürgerkriegsende ihrer »Befreiung« harren. Nun hat sich aber in Taiwan seit Aufhebung des Kriegsrechts 1987 eine institutionell voll entwickelte und durch Wahlen auf allen Ebenen legitimierte Demokratie etabliert. Die Chinesen auf dem Festland können - allen wirtschaftlichen Reformen zum Trotz - von solchen Freiheitsgraden nach wie vor nur träumen.Völkerrechtlich war Taiwan ohnehin nie ein Teil der Volksrepublik China. 1895 wurde die Insel vom letzten Mandschu-Kaiser an Japan als Kolonie abgetreten. Während auf dem Festland 1912 das Kaiserreich durch die Republik China (R.O.C.) abgelöst wurde, dauerte der Kolonialzustand auf Taiwan bis zur Kapitulation Japans im Pazifischen Krieg. Im Herbst 1945 erhielt die R.O.C. unter Generalissimus Chiang Kaishek als Gründungsmitglied der UNO die Souveränität über Taiwan zugesprochen. Der kurz darauf ausbrechende chinesische Bürgerkrieg endete mit der Niederlage Chiangs, der sich mit seinen Anhängern von der nationalistischen KMT nach Taiwan zurückzog und dort die R.O.C. mit Alleinvertretungsanspruch für ganz China fortleben ließ. Auf dem Festland rief der Sieger des Bürgerkriegs, KP-Führer Mao Zedong, am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik China aus und deklarierte Taiwan zur »abtrünnigen Provinz« unter einem »Verbrecher-Regime«.Als Bollwerk des Westens im Kalten Krieg war die R.O.C. bis 1971 UNO-Mitglied. Anders als im Falle der beiden Koreas oder der beiden deutschen Staaten, konnte sich die Weltgemeinschaft allerdings nicht dazu durchringen, den Chinesen auf Taiwan auch nach der Aufnahme der VR China bis zur Klärung der ungelösten Statusfragen ihren Platz in der UNO zu belassen.Eifriger als nötig und eindeutiger, als wohl von allen Beteiligten erwartet, schlugen sich jetzt die USA auf die Seite Pekings. Die Erklärung des Weißen Hauses, daß man ohne Wenn und Aber an der Ein-China-Politik festhalten wolle, kommt freilich nicht überraschend. Sie hat Signalwirkung vor allem für die Staaten der EU, nicht zuletzt für die Bundesrepublik: Wer vom Regierungswechsel in Bonn eine selbstbewußtere und differenziertere China-Politik erhofft hatte, wurde bisher enttäuscht. Dennoch wäre die deutsche Außenpolitik gut beraten, sich mit dem zunehmend chauvinistischere Züge tragenden Nationalismus der VR China ebenso auseinanderzusetzen wie mit dem völkerrechtlichen Kern der taiwanesischen Argumentation. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht der ersten Demokratie in der chinesischen Geschichte. Gerade die unverhofft größere Bundesrepublik muß sich hier an ihren Prinzipien messen lassen.