Vor einigen Wochen geschah etwas Merkwürdiges: Israel entdeckte, dass der Iran der große Satan ist. Es gab keine sensationellen Neuigkeiten, keine neue Entdeckung. Als hätte es dazu den Befehl gegeben, wechselte plötzlich das gesamte offizielle Israel die Richtung. Sämtliche Politiker, alle Generäle, die offiziellen Medien, wie üblich unterstützt von käuflichen Professoren - alle entdeckten über Nacht, dass der Iran die unmittelbare, reale und schreckliche Gefahr sei. Es war wohl ein merkwürdiger Zufall, dass genau zur gleichen Zeit ein Schiff gekapert wurde, das - wie es hieß - iranische Waffen für Arafat geladen hatte. In Washington bearbeitete unterdessen Shimon Peres - Mann für alle Jahreszeiten und Diener vieler Her
eler Herren - jeden Diplomaten, der ihm in die Quere lief, und erzählte Geschichten über Tausende iranischer Raketen, die an die Hizbollah geliefert worden seien. Genau jene Gruppierung also, die Präsident Bush zum gleichen Zeitpunkt als "Terroristische Organisation" brandmarkte, bekam Waffen von eben jenem Staat, den George Bush zur "Achse des Bösen" rechnete. Das klingt verrückt, ist es aber nicht. Diese Idiotie hat Methode und kann eigentlich ganz leicht erklärt werden. Seit dem 11. September befindet sich Amerika immer noch in einem Zustand blinder Wut. In Afghanistan gelang ein unglaublicher Sieg, bei dem nicht ein einziger US-Soldat zu Schaden kam. Und nun steht Amerika da, immer noch wütend und gleichzeitig siegestrunken, und weiß nicht, wen es als nächstes angreifen soll. Irak? Nordkorea? Somalia? Den Sudan? Präsident Bush kann in diesem historischen Augenblick offenbar nicht aufhören, weil eine so gewaltige Machtkonzentration nicht einfach beiseite gelegt werden kann. Zudem verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation, und ein gigantischer Skandal (Enron) erschüttert Washington. Die Öffentlichkeit in den USA könnte womöglich auf die Idee kommen, darüber nachzudenken. Deshalb gerät hier die israelische Führung ins Spiel und schreit von den Dächern: Iran ist der Feind! Iran muss angegriffen werden! Blick nach Süden - US-Basen in Usbekistan, Turkmenistan, KirgistanWer hat diesen Richtungswechsel bewirkt? Wann und wie wurde diese Entscheidung getroffen? Und vor allem: Wo? Selbstverständlich nicht in Jerusalem, sondern in Washington. Doch wer sind diese Leute in den USA, die solche Signale geben? Und wo liegen ihre Interessen? Wir brauchen dazu eine Erklärung, die etwas weiter ausholt. Zu den bedeutendsten Ressourcen dieser Erde gehören die Ölfelder in der Region des Kaspischen Meeres, die mit den Vorkommen in Saudi-Arabien vergleichbar sind. Experten gehen davon aus, dass diese Ölfelder 2010 etwa 3,2 Milliarden Fass Rohöl pro Tag und zusätzlich etwa 4.850 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr liefern werden. Die Vereinigten Staaten sind entschlossen, diese Ressourcen unter ihre Kontrolle zu bringen, potenzielle Konkurrenten auszuschalten, die Region politisch und militärisch für sich zu sichern und Transportwege von den Ölfeldern zu den in Frage kommenden Häfen bereit zu stellen. Die derzeitige Kampagne wird von einer Fraktion aus der Öl-Wirtschaft angeführt, zu der die Bush-Familie gehört. Zusammen mit der Rüstungsfirmen hat es diese Gruppierung geschafft, sowohl Bush senior als auch seinen Sohn wählen zu lassen. Bush junior ist als Präsident eine einfache Person, seine Gedankenwelt scheint seicht und seine Ankündigungen wirken primitiv - die Karikatur aus einem zweitklassigen Western, gut für die Massen. Aber die Leute, die hinter ihm stehen, sind durchaus sehr fähig. Sie sind es, die in den USA die Administration führen. Der Anschlag auf die Zwillingstürme von New York hat ihren Job sehr viel leichter gemacht. Würde ich an Verschwörungstheorien glauben, wäre bin Laden für mich ein amerikanischer Agent. Denn Bushs "Krieg gegen den Terror" ist ein perfekter Hintergrund für eine Kampagne, die von den Leuten hinter ihm geplant wurde und wird. Denn gedeckt durch den Krieg in Afghanistan hat Amerika inzwischen die weitreichende Kontrolle über jene drei islamischen Nationen bekommen, die in der Nähe der kaspischen Ölfelder liegen: Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan. Die ganze Region ist jetzt unter amerikanischer Herrschaft, sowohl politisch als auch militärisch. Alle potenziellen Konkurrenten, Russland und China eingeschlossen, sind beiseite gedrängt worden. Bereits seit längerer Zeit haben die Amerikaner unter sich darüber diskutiert, welche Routen für das kaspische Öl am besten geeignet sind. Routen, die unter russischem Einfluss stehen, kommen selbstverständlich nicht in Frage. Die tödliche britisch-russische Konkurrenz des 19. Jahrhunderts, die man später das Große Spiel nannte, wiederholt sich, diesmal allerdings zwischen Amerika und Russland. Bis vor kurzem schien eine westliche Route, die zum Schwarzen Meer und durch die Türkei führt, am besten geeignet, aber die Amerikaner trauten ihr nicht. Russland war viel zu nah. Die bessere Trasse führt daher nach Süden, zum Indischen Ozean. Natürlich wurde zunächst nicht der Weg über den von "islamischen Fanatikern" regierten Iran in Erwägung gezogen. So blieb aus amerikanischer Sicht nur eine Alternative: Vom Kaspischen Meer durch Afghanistan und den westlichen Teil Pakistans zum Indischen Ozean. Zu diesem Zweck hatten die Amerikaner geheime Verhandlungen mit dem Taleban-Regime geführt. Ohne Erfolg. Dann begann der "Krieg gegen den Terror", die Vereinigten Staaten eroberten Afghanistan und setzten ihre Protegés als Regierung ein. Wenn man sich nun auf der Landkarte die Positionen der großen US-Militärbasen anschaut, die für den Krieg geschaffen wurden, dann nimmt man erstaunt zur Kenntnis: sie liegen genau auf der geplanten Pipeline-Route zum Indischen Ozean. Osama bin Laden - entweder im Iran oder bei der Hizbollah im Libanon?Das wäre nun eigentlich das Ende der Geschichte - aber der Hunger wächst beim Essen. Aus ihrer Erfahrung in Afghanistan haben die Amerikaner zwei Lehren gezogen: Erstens kann jedes beliebige Land mit technisch ausgefeilten Waffen in die Knie gezwungen werden, ohne einen einzigen Soldaten zu opfern. Und zweitens ist man in der Lage, mit militärischer Macht und Geld überall dort, wo sie es sich anbietet, abhängige Regierungen zu installieren. So wurde in Washington eine neue Idee geboren: Warum eine unnötig lange Pipeline um den Iran herum verlegen, wenn doch auch eine viel kürzere mitten durch Iran denkbar ist? Man muss doch eigentlich nur das Ayatollah-Regime beseitigen und eine neue pro-amerikanische Regierung einsetzen. In der Vergangenheit schien das unmöglich. Aber jetzt, nach der Episode Afghanistan? Alles, was für einen Angriff auf den Iran noch fehlt, das sind eine entsprechend gefärbte öffentliche Meinung und die Unterstützung durch den Kongress. Genau dafür braucht man die guten Dienste Israels mit seinem Einfluss auf Capitol und Medien. So weisen israelische Generäle tagtäglich darauf hin, dass der Iran Massenvernichtungswaffen produziert und den jüdischen Staat mit einem zweiten Holocaust bedroht. Sharon erklärt, die iranische Schiffslieferung entlarve Arafat als Teil der iranischen Verschwörung. Peres verkündet sogar, iranische Raketen seien eine Bedrohung für die ganze Welt. Jeden Tag erzählt irgendeine israelische Zeitung ihren Lesern, bin Laden sei entweder im Iran oder unter dem Schutz der Hizbollah im Libanon. Ein sehr einfacher Deal: Ihr besorgt mir die Unterstützung des Kongresses und der Medien, und ich liefere euch die Palästinenser auf einem silbernen Tablett. All dies würde nicht passieren, wenn Amerika immer noch von den Verbündeten in Europa und der arabischen Welt abhängig wäre. Doch Afghanistan hat ihnen gezeigt, dass sie niemanden mehr an ihrer Seite brauchen. Sie können den bemitleidenswerten arabischen Regimes, die ständig um Geld betteln, ins Gesicht spucken. Auch Europa sieht sich mit Nicht-Beachtung bedacht. Wer braucht noch die Hilfe Großbritanniens und Deutschlands, wenn Amerika allein mächtiger ist als alle anderen zusammen? Für Sharon ist die Idee einer amerikanisch-israelischen Kooperation gegen den Iran nicht neu. 1981, als er gerade zum Verteidigungsminister ernannt worden war, offerierte er dem Pentagon einen kühnen Plan an: Im Falle eines Sturzes von Ayatollah Khomeini würde die israelische Armee sofort Iran besetzen, um die UdSSR außen vor zu halten und den nachrückenden Amerikanern das Land zu übergeben. Zu diesem Zweck hätte das Pentagon vorsorglich die modernsten Waffen unter eigener Regie in Israel bereithalten müssen, damit sie für diese Operation schnell zur Verfügung standen. Damals konnte Washington dieser Idee nichts abgewinnen. Übersetzung aus dem Englischen: Hans Thie
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