Paul Beatty wurde 1962 in West Los Angeles geboren. Er lebt als Dichter, Romanautor und Performance-Künstler in New York City. 1999 erschien der Roman Der Sklavenmessias (White Boy Shuffle 1996). 2000 der in Deutschland noch unveröffentlichte Roman Tuff.
George W Bushs zweite Amtszeit ist fast zwei Monate alt, und wie es scheint hat die vielbeschworene Apokalyse noch nicht begonnen. Andererseits war ich seit zwei Tagen nicht vor der Tür. Die Medienbetriebe überschwemmen uns nicht gerade mit intelligenten, ehrlichen Reportagen, also könnten vermutlich die vier Reiter auch schon aus den Himmeln herabgekommen sein und durch den Sand des Mittleren Osten galoppieren wie ein zum Leben erweckter Dürer-Holzschnitt, unter ihren Hufen zertrampelte Flüchtlinge aus Fa
n zertrampelte Flüchtlinge aus Falludscha. Ich weiß, es gibt da draußen genug Krieg, Hunger, Pest und Tod, aber solange kein trillerpfeifender ehemaliger Abu Ghraib-Gefängnisaufseher, der nun in den Dünen der irakischen Wüste patroulliert, die vier Reiter mit dem Handy fotogafiert und zu Mama mailt, die die Schnappschüsse wiederum der Washington Post zuspielt, werde ich wohl nie wissen, ob die Erlösung schon im Gange ist.Alle Leitartikler und Mediengurus haben diese Wahlen zu den "wichtigsten unseres Lebens" erklärt, aber in diesen Tagen politischer Flaute bis zu Bushs Krönung, ich meine Amtseinsetzung, bin ich zum Schluss gekommen, dass sie eigentlich meinten: "Die wichtigsten Leben unserer Wahlen". Nachdem beinahe zwei Jahre lang unser Fernsehen und Talkradiohören durch öffentliche Mahnungen unterbrochen wurden, wie wichtig unsere Stimmen seien, ging uns plötzlich auf, dass wir wichtig sind. Mein politischer Prozess braucht mich, und offenbar brauche ich ihn.Filmstars und Musiker, ein "Who´s Who"-Konsortium fotogener Typen, für die ich bisher nur als Kartenkäufer oder MP3-Downloader existiert habe, nahmen sich eine Auszeit vom Prominententum, um mir in die Augen zu sehen und zu erklären, dass meine Stimme zählt. Dass ich zähle. Ex-Präsident Bill Clinton hat angerufen und mich beschworen, Kerry zu wählen. Ein musikalisch behinderter Schwarzer, der sich um mein Wohlergehen sorgt, Sean "P. Diddy" Combs, langte aus dem Bildschirm und watschte mich in Trab. "Wähle oder stirb", murmelte er. Könnte es sein, dass der Megahit des Rapimpresarios "It´s all about the Benjamins" gleichzeitig ein Lobgesang auf Benjamin Franklins Porträt auf dem 100-Dollar-Schein und ein unterschwelliger Salut an die Politicos Benjamin Netanyahu und Benjamin Disraeli wäre?Michael Moore, der knuffig-bärtige Weihnachtsmann des Liberalismus, versprach, ich hätte nichts zu befürchten, wenn ich ein guter Progressiver wäre, weil Herden frisch registrierter Erstwähler die Polls stürmten und Bush erdrutschartig verlieren würde. Und zu Weihnachten dürfte ich dann den Transsexuellen meiner Träume heiraten und Senator Kerrys Strategie würde aufgehen, wonach "Investitionen in neue Energiequellen und Technologien" für Stellenwachstum sorgten und den "Wohlstand" von morgen schaffen würden. Wohlstand? Das heißt mehr Moos! Also habe ich gewählt. Und - nichts ist passiert. Ich habe MTV geguckt und die Wahlen gerockt und nichts ist passiert.Früher verbrachte ich einmal eine halbe Weihnacht damit, meine elektrische Autorennbahn aufzubauen. Penibel und peinlichst genau bastelte ich die schwarzen Plastikbahnen zusammen, kroch hin und her, von der Bahn zur Bauanleitung der kurvenreichen Le Mans Strecke. Ich achtete genau darauf, dass alle Kupferdioden stimmten, die Rillen richtig geführt waren und die Steilkurven sich im exakten Winkel hoben. Als ich endlich fertig war und die Pappboxen und Tribünen standen, setzte ich vorsichtig meinen schimmernden Formel-Eins-Wagen auf die Bahn. "Meine Herren, starten Sie ihre Motoren zum Wohnzimmer-Grand-Prix!", dröhnte ich in meinem besten Stadionsprecher-Bariton und drückte den Knopf der Steuerung. Nichts. Still wie mein Wagen stand mein Herz. Als der Nachrichtensprecher in der Wahlnacht den Knopf drückte, der Ohio republikanerrot färbte, war ich genauso geknickt wie damals zu Weihnachten. Ich glaube nicht mehr an den Weihnachtsmann und schon gar nicht mehr an Michael Moore. Vermutlich liegen bald alle Briefe, die ich an Herrn Moore, c/o Cannes Film Festival Kommintern, geschickt habe, wieder bei mir im Briefkasten, mit Vermerk "Adresse und politische Überzeugung unbekannt".Nachdem Bush jetzt gewonnen hat, fühle ich mich nicht mehr so wichtig. Ich bin einsam. Meine Aktivisten-Freunde melden sich kaum noch. Moveon.org ruft nicht mehr an, um mich zur Stimmenjagd in den ländlichen Ecken Pennsylvanias aufzufordern. Die neuen Turnschuhe, die ich in Erwartung all der Märsche und Protestkundgebungen gekauft habe, liegen in ihr seltsames Papier gewickelt in der Schachtel. Beim Dienststags-Kränzchen diskutieren wir nicht mehr über die Gefahren des Unilateralismus, sondern heulen den ganzen Arthouse-Filmen und ihren ungeschriebenen Romanvorlagen hinterher. Meine Mailbox quillt nicht mehr über vor Mails, die mich über den Stand der 9/11-Vertuschung und den Aufenthaltsort Osama bin Ladens auf dem Laufenden halten (zuletzt war er, schien´s, in einer muslimischen Provinz im Nordwesten Chinas untergetaucht). Es fehlt einfach etwas, wenn ich keine Spammails mehr bekomme, die Israel für die Probleme der Welt verantwortlich machen.Das Problem einer Widerstandsbewegung aus dem Cyber-Café ist ja, dass ihre größten Stärken, Anonymität und Ausgeglichenheit der Meinungen, zugleich ihre größten Schwächen sind. Eine Bewegung, die aus zehntausend CheGuevara@aol.nets besteht, ist einfach nicht zuverlässig. Die Richtung gibt nicht der beste Motivator oder kritische Kopf vor, sondern die Person mit der längsten Mailing-Liste. Bush gewinnt, der Irak wird plattgemacht, den Schwulen haut man die Toilettentür ins Gesicht und die Aktivisten verflüchtigen sich im Ethernet bis zur nächsten "Massenaktion".Selbst das bisschen Kritik an der Bush-Kabbale wird doppelzüngig verschleiert. Wenn die öffentlichen Intellektuellen von "sanftem Faschismus" sprechen oder das Internationale Komitee des Roten Kreuzes die Misshandlung von Gefangenen in Guantanamo und Abu Ghraib als "gleichbedeutend mit Folter" bezeichnen, klingen sie wie Kinder, die Angst haben, vor ihren Eltern zu fluchen. Sie gebrauchen irgendwelche schamhaften Begriffe, statt einfach "Scheiße" zu sagen.George W. Bush scheint fast eine Art Großmaul-Apotheose zu gelingen. Er ist der Brooklyner Mafia Don, der behauptet, er sei ein Mann von nebenan und wir seine freundlichen Nachbarn, raubeinig zwar, aber dankbar aufgenommen, weil er die Verbrechensrate im Viertel niedrig hält. Zum Teufel mit dem Chaos und der Zerstörung, die seine Gier und Korruption, überall sonst anrichtet.Wir haben es hier nicht mit Personen-, sondern mit Banalitätskult zu tun. Und irgendwie weckt Bush mit seiner fiesen Unfähigkeit und der dauernden "Die-Welt-ist-gegen-uns"-Gereiztheit bei vielen Amerikanern Loyalitätsgefühle. Angesichts seines mediengottgegebenen Mandats würde es mich nicht überraschen, wenn er zur Inauguration eine Mussolini-inspirierte Präsidentenflagge hissen würde, als Motiv ein sprudelnder Bohrturm auf rotem Grund. Nach der Vereidigung wird irgendeiner seiner Gauleiter Rudolf Hess mit den Worten paraphrasieren: "Amerika ist George Bush und George Bush ist Amerika." Und damit hätte er womöglich Recht.Das pessimistische, erschöpfte und leicht erregbare Amerika und George Bush zeigen viele Symptome selbstmordgefährdeter Depressiver. Um die Flut von Selbstmorden einzudämmen, haben die Japaner vor kurzem Spiegel in ihren U-Bahnhöfen angebracht, damit Selbstmordkandidaten im kurzen Blick auf sich selbst vielleicht noch zur Besinnung kommen können, bevor sie vor den einfahrenden Zug springen. Amerika hat keinen Spiegel. Früher einmal war Russland dieser Spiegel. Aber der Spiegel zerbrach, als die Nation unter dem Prozac-Einfluss der Reaganomics stand. Jetzt stolpert das Land übergewichtig und zerfressen vom Medikamentenmissbrauch auf die Selbstzerstörung zu und täuscht dabei Selbstbewusstsein vor. Das ist natürlich Küchenpsychologie; ich kenne noch nicht mal irgendwelche Republikaner.Für New Yorker wie mich sind Republikaner so etwas wie amerikanische Neger in den Fünfzigern, nahezu unsichtbare, geisterhafte Gestalten, die mit ihren Ketten rasseln, wenn du versuchst zu schlafen. Stößt man zufällig im Bus oder Fahrstuhl auf einen Republikaner, stellt er sich meist als wohlerzogen, zuvorkommend und überraschend geruchsfrei heraus, obwohl man ihn nicht gerade als Schwiegersohn wollte. Man sollte allerdings auf der Hut sein, denn angeblich mogeln sich viele Republikaner in der Stadt als Demokraten durch, indem sie öffentlich Eminem auf ihrem iPod hören und ständig erzählen, gerade mitten im letzten Roman von Philip Roth zu stecken.Vor etwa einem Monat saß ich im Flugzeug neben einem echten, leibhaftigen Republikaner. Da ich kein großer Small-Talker bin, begann er das Gespräch und lobte mich erstmal gönnerhaft für meine Kafka-Lektüre. Er kam gerade vom Footballspiel Mississippi State gegen University of Alabama und fühlte sich verpflichtet, mir seinen großen Respekt vor den schwarzen Sportlern mitzuteilen. Ich war trotzdem nicht ganz sicher, wo er politisch stand und fragte daher, sacht und zurückhaltend, wie man es von mir kennt: "Finden Sie nicht auch, dass Bush ein Arschloch ist?"Er versicherte mir, dass Bush, auch wenn seine Haltung zur Schwulenheirat lächerlich sei, im Großen und Ganzen seinen Job gut erledige, und ich, obwohl die Invasion des Irak falsch gewesen sei und die Kluft zwischen Besitzenden und Habenichtsen außerirdische Proportionen annähme, nichts zu befürchten habe, weil die Kräfte des globalen Marktes noch immer alle sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten korrigieren würden. Ich fragte, ob er mir nur einen einzigen Moment der Weltgeschichte als Beispiel nennen könnte. Nach einem Moment sagte er: "Die wirtschaftliche Ächtung Südafrikas in den achtziger Jahren." Ich anwortete, dass ich nicht überzeugt wäre, dass die Apartheid durch kaufmännische Zurechtweisungen beendet worden sei, aber ich würde ihm einen Zweifelsbonus einräumen, wenn er mir erklären könne, warum das nur volle 50 Jahre gedauert habe. Als wir uns verabschiedeten, fragte ich, ob ich seine Persönlichkeit anfassen dürfe. Ich wolle sehen, ob sich seine Selbstzufriedenheit ablösen ließe. Es ging nicht. Die Selbstgerechtigkeit war so fest an seine Psyche geheftet wie meine eigene an mich.Vor kurzem bekam ich eine aufgeregte E-Mail, in der ein Freund von einem seltenen Sieg im Krieg gegen den ganzen Bullshit berichtete. Sophia Stewart, eine afroamerikanische Drehbuchautorin, hatte ihren Prozess gegen Warner gewonnen. Das Gericht hatte das Filmstudio der CopyrightVerletzung und unrechtmäßigen Bereicherung für schuldig befunden, da Warner ihr Script The Third Eye als Grundlage für die Blockbuster Matrix, Terminator und deren Sequels genommen hatte. Misses Stewart wurde eine ordentliche Summe aus den 2,5 Milliarden Dollar zugesprochen, die die Filme weltweit eingespielt hatten. Wenn das stimmte, dann hätte wenigstens jemand genug Geld zur Flucht, wenn die Pogrome losgehen. Ich selbst werde vielleicht Verwalter bei meinem Freund Frederick (das ist natürlich nicht sein richtiger Name), der ein Anwesen auf einer Insel vor der Küste Nova Scotias besitzt. Frederick war einst ein mächtiger Herausgeber bei einem New Yorker Verlag und verbreitete ausdauernd progressive politische Texte. Seit Bushs Amtsübernahme im Jahr 2000 befindet er sich auf dem Pfad einer tantrischen Transformation. Er hat sich mit der Tatsache abgefunden, einer von acht wahren spirituellen Meistern dieser Welt zu sein und beschlossen, die Berufung anzunehmen. Er meint, dass Frauen über eine mächtige, aber unterdrückte Energie verfügen, deren wohltätige Eigenschaften im Universum verbreitet werden müssen. Allerdings kann diese Energie nur freigesetzt werden, wenn er seine eigene heilende Energie in sie überträgt. Es könnte ziemlich amüsant werden in Kanada, man recht ein paar Blätter zusammen und guckt dem ganzen Übertragen und Freisetzen von "Energien" zu. Klingt wie ein Plan. Zwei Jünger hat er schon. Bush dagegen hat Sechzigmillionenachthunderttausendfünfhundertzweiundachtzig hirngewaschene Anhänger, Tony Blair nicht mitgerechnet.Übersetzt von Markus Schneider
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.