Wer im Wirkungsbereich der DDR-Propaganda aufgewachsen ist, kannte die Namen Gehlen und Abs, Thyssen und IG Farben. In den Geschichtsbüchern standen sie neben Fotos von zu Tode geschundenen Zwangsarbeitern, Fässern voller Menschenhaar, aus Viehwaggons starrenden Gesichtern und den riesigen Rauchsäulen, unter denen Osteuropa geplündert und verbrannt wurde. Ein paar Seiten weiter sprach man vom Sozialismus als der friedlichsten, fortschrittlichsten Gesellschaftsordnung, von der "ständig wachsenden Einheit von Volk und Partei" und der "immer besseren Befriedigung der Bedürfnisse". Vielleicht meinten die Ideologen, dass der Tatsachenstatus der NS-Verbrechen ihre Gegenwarts- und Zukunftsbeschreibung beglaubigen würde. Tatsächlich war es wohl umgekehrt: Di
Die für jedermann als geschönt bis verlogen erkennbare Gegenwartsbeschreibung ließ schließlich alle Darstellungen der offiziellen DDR im Bewusstsein vieler Ostdeutschen absinken wie Schwebeteilchen in die dunkleren Schichten der Irrelevanz. Nach dem Ende der DDR reimte sich auf "Vergangenheitsaufarbeitung" vor allem "Mauerschützen" und "Stasiknast". Die bekannten Namen aus den DDR-Geschichtsbüchern kamen nun ganz freundlich daher: Bayer erschien nicht mehr als Nachfahre der IG-Farben, sondern war gut gegen Kopfschmerzen, der grün-orange Stinnes-Baumarkt verkaufte Produkte, die es in der DDR nie gab, und Thyssen verteilte Stipendien an junge Wissenschaftler, die nach ihrer "Abwicklung" mittellos waren. Die Medien zeigten Demokratie und Toleranz als im Westen verwurzelt, während im Osten der Antifaschismus nur verordnet und ansonsten "die zweite deutsche Diktatur" gewesen war. Die SWR-Sendereihe Hitlers Eliten nach 1945 bringt in dieses Absinken und Aufsteigen von Ideen und Erinnerungen gegenläufige Turbulenzen. Sie basiert auf dem im vorigen Jahr von Norbert Frei herausgegebenen, lesenswerten Buch Karrieren im Zwielicht. Hitlers Eliten nach 1945. Die im Buch umfassend behandelte Thematik fokussiert die Sendereihe eindrücklicher auf wenige Personen, die zu Eliten der neugegründeten Bundesrepublik wurden und das Land bis heute geistig prägen. So waren es beispielsweise bei der Bundeswehr-Gründung ausschließlich Wehrmachts-Generäle und -Offiziere, die die neue Uniform überstreiften, im Osten dagegen lag deren Quote unter fünf Prozent. NS-Ost-Aufklärer General Gehlen beriet nun Adenauer und wurde Chef des BND. Im Kalten Krieg brauchte man nicht nur die NS-Militärs, sondern auch wieder die Vereinigten Stahlwerke. Für deren Betrieb durfte nach 18 Monaten Internierung auch Hans-Günther Sohl wieder auf seinen Vorstandssessel zurück. Zwei Jahre zuvor hatte er noch die Gewinne durch Zwangsarbeiter erwirtschaften lassen - damals ein Viertel der Belegschaft, zum Teil waren es 13-jährige Mädchen. In der Hinrichshütte Hattingen hatte man die sowjetischen Sklaven vor den Bombenangriffen an die Maschinen gekettet. Mit Thyssen leitete Sohl eine der Vereinigte-Stahlwerke-Nachfolgefirmen, bis er 1972 Präsident des BDI wurde. Hermann-Josef Abs konnte bereits nach drei Monaten Nachkriegshaft wieder den Reichtum und politischen Einfluss der Deutschen Bank mehren, deren Vorstand er seit 1938 gewesen war. Damals hatte er ohne eine Gegenleistung die größte deutsche Privatbank Mendelsohn Co. geschluckt. Die Böhmische Union Bank, samt der Aktien und Konten ihrer Kunden, hatte die Deutsche Bank für ein Zehntel der Werte übernommen und das Kapital an den NS-Staat weitergeleitet - gegen Provision natürlich. Für die jüdischen Kunden dieser Banken aber hat das stets bedeutet: "Kein Geld, keine Flucht, kein Überleben". Als Angehöriger von Adenauers "wirtschaftspolitischem Küchenkabinett" hatte Abs mehr Einfluss als die meisten Minister, auch international. Er leitete die deutsche Delegation zur Londoner Schuldnerkonferenz 1951 und handelte die Kreditfähigkeit der Bundesrepublik aus - und die Rückstellung aller Reparationsforderungen bis zu einem gesamtdeutschen Friedensvertrag. So gab es kein Geld für das ausgeplünderte und verwüstete Osteuropa. Sohl starb 1989, Abs 1994, beide hochgeehrt und im Wohlstand, erst 2001 begann zögernd die "Entschädigung" von Zwangsarbeitern. Dass dieser Raub und das Weiterwirken der alten Kameraden in den Führungspositionen der Bundesrepublik zur bekannten und massenhaft angenommenen Erfolgsstory vom "Wirtschaftswunder" durch "Demokratie und Freiheit" wurde, dafür sorgten etliche NS-Journalisten in den Printmedien. SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke aus der judenmordenden "Einsatzgruppe B" hatte zur Abteilung "Gegnerforschung des RSHA" und zum "Vorkommando Moskau" gehört. Als "Kommunismusexperte" zeichnete er für die Liquidierung von Funktionären und die Sicherung der sowjetischen Archive verantwortlich. Anfang der fünfziger Jahre war er beim Spiegel - passend zu seiner ersten Karriere - Chef der Auslandsredaktion, dann Chefredakteur von Kristall und ab 1965 der einflussreiche Verlagsgeschäftsführer bei Springer. SS-Hauptsturmführer und SD-Spitzel Giselher Wirsing, Chefredakteur der bis 1963 auflagenstärksten politischen Wochenzeitung Christ und Welt, forderte von seinen Mitarbeitern: "Nicht predigen, sondern den Leuten sagen, wie sie sich politisch verhalten sollen." Sein Blatt empörte sich über die Thematisierung deutscher Verbrechen - ein undercover nazi-paper, meinten die Amerikaner. Die neuen Eliten mussten in der Bundesrepublik vieles aufgeben oder kaschieren: ihren Antisemitismus, den politischen und wirtschaftlichen Antiliberalismus, den Antiamerikanismus. Doch die antikommunistischen, autoritären und antigewerkschaftlichen Positionen blieben ihnen als einender und identitätsverbürgender Kern erhalten. Diesen Werten entspricht auch die "geistig-moralische Wende" der achtziger Jahre, die öffentlichkeitswirksame moralische Delegitimierung der DDR samt der preiswerten Aufteilung ihrer materiellen Substanz und der rabiate Angriff auf Arbeitnehmerrechte in den Neunzigern. Unter dem unmittelbaren Eindruck der aktuellen SWR-Serie könnte man so den jüngsten Sieg dieser Elitengruppierung konstatieren.Hitlers Eliten nach 1945. Die nächsten Teile mittwochs um 23.30 Uhr in der ARD. Teil 3 Ärzte - Medizin ohne Grenzen am 31. 7.; Offiziere - im Geiste unbesiegt am 7.8.; Kalter Krieg mit Naziakten am 14. 8.