In der Mitte der Bühne steht ein weißer Flügel, dahinter wechseln auf einer Dia-Projektion Songtitel von Lennon mit Zitaten von ihm, die um die Welt gingen. Das Instant Karma wird heraufbeschworen oder Give peace a chance oder schlicht und einfach nur Yes. John Lennons Botschaften waren zuweilen schlagend simpel: Der Krieg ist vorbei, wenn Ihr es wollt, ließ er die Massen wissen.
Das Musical, das seinen Namen trägt, hat allerdings nicht die Absicht, seine Botschaften in Frage zu stellen. Seit fast 25 Jahren ist das Musikgenie tot, aber die Legende wächst, und ein Liedtitel von Ben Becker mag einer anderen Wirklichkeit in paradigmatischer Umkehrung entsprechen: Wie lange ist John Lennon noch tot? So ganz hat man wohl dem Zauber nicht vertraut, weshalb die Urauff
ht vertraut, weshalb die Uraufführung nicht in New York stattfand, wo Lennon bis zuletzt lebte, sondern im fernen San Francisco. Waren am ersten Abend mindestens ein Fünftel der Plätze leer, so gilt das Haus seither als ausverkauft. Auch Yoko Ono, die Rechte-Inhaberin aller Lennon-Aktivitäten, war zur Premiere angereist. Sie gab von Anfang an ihren Segen dazu und steuerte sogar zwei unveröffentlichte Lieder bei.Zweifellos war Lennon schon zu Beatles-Zeiten der Charismatischste der Pilzköpfe, und machte nach dem Auseinanderdriften der Gruppe am meisten Furore: das Leben mit seiner Partnerin Yoko Ono wurde als Kunst vermarktet, er gab ellenlange Interviews und über all dem ragte die Musik, bei der es ihm wie bei keinem Zweiten gelang, aus ganz persönlichem Kram, aus psychischen Frustrationen und überschwänglichen Glücksmomenten unvergessliche Melodien zu zaubern. Brechtsche Verfremdung und Distanz war seine Sache gewiss nicht. Bei jedem geringer Begabten wären diese Offenbarungseide nur peinlich geraten.Das Musical Lennon verfolgt mehr oder weniger chronologisch diesen Lebensweg, der stets eine Gratwanderung war. 28 Lieder werden präsentiert, wobei nur drei aus dem Beatles-Repertoire sind. Dazwischen gibt es Lennon-Statements, nachgespielte Szenen mit authentischen Dialogen, begleitet und unterlegt von einem Zehn-Mann-Orchester. Neun Schauspieler verschiedener Nationalitäten teilen sich die personality Lennon in wechselnden Charakterrollen auf - eine Idee, die vermutlich John gefallen hätte, fühlte er sich doch die meiste Zeit seines Lebens als zutiefst zerrissene Person.Es beginnt mit Imagine: Auf einer riesigen Leinwand sieht man einen Astronauten im All schweben; dahinter den blauen Erdball. Es heißt, die Astronauten hätten dieses Lied täglich während ihres Weltraumaufenthaltes gehört. Sodann abrupter Szenenwechsel. Fliegeralarm, Bombengetöse, Zweiter Weltkrieg. Einer der Schauspieler mimt Winston Churchill und verkündet Johns Geburt. Es ist der 9. Oktober 1940. Bilder aus dem Familyalbum erscheinen im Bühnenhintergrund, und dabei erfahren wir die traurige Kindheitsgeschichte vom verschwundenen Vater, vom Aufwachsen bei Tante Mimi und dem frühen Unfalltod der Mutter, mit dem das erste Lebenstrauma manifest wurde. Mother don´t go, father come home lautete Jahrzehnte später der Verzweiflungsschrei in Form eines selbsttherapierenden Liedes. ...Die Anekdoten eines im Wesentlichen bekannten Lebens werden aneinandergereiht: Hamburger Starclub, Besuch bei der Queen, später beim Maharishi, und schließlich die Begegnung mit ihr: Yoko Ono. Wie es im Leben war, so spielt auch im Stück die Liebes-, Lebens- und Künstlerbeziehung des Paares die tragende Rolle. Doch vielleicht beginnt hier das Problematische der Inszenierung. Alles, was die Beiden damals machten, stiftete Unruhe, provozierte, stieß auch auf Ablehnung. Die Inszenierung bebildert zwar das Biographische, kann aber den Geist dieser Verstörung nicht einfangen. Choreographisch bietet das gesamte Schauspielerensemble The ballad of John und Yoko als rasanten Tanz dar, als Sinnbild für den Sechziger-Zeitgeist. Dann die Ernüchterung, das Dogma der Wirklichkeit und die Selbstreflexion auf den Soloplatten. The dream is over - die Bühne ist leer. Das Lied God, in dem John uns wissen lässt, dass er vielen Illusionen aufgesessen sei, wird vorgetragen. Und wieder erfahren wir Verstiegenes und Intimes: Ich war das Walross, sagt er. Jetzt bin ich John. Danach ist erstmal Pause.Am Ende wird das Publikum mit einem positiven Bild entlassen. Noch einmal wird Imagine herbeizitiert. John sitzt am weißen Flügel, Yoko setzt sich zu ihm. Man kann sich an dieser Stelle kaum mehr vorstellen, dass es derselbe John ist, der in einem anderen Lied die Zeilen schrieb: "Gott ist ein Konzept, an dem wir unseren Schmerz messen."