Seit Mitte März sind sie im Netz der Netze und mit den Castor-Transporten hatte sie ihr Coming-out: Indymedia.de (http://de.Indymedia.de.org), die deutsche Sektion eines internationalen und "multimedialen Netzwerkes unabhängiger und alternativer Medien" hat sich ganz dem Widerstand gegen Kernenergie, Faschismus, Rassismus und Globalisierung verschrieben. Werbebanner gibt es keine und das wäre auch nicht mit ihrem Selbstverständnis in Einklang zu bringen. Demnach sind sie nämlich Teil der genannten Bewegungen und fördern bewusst eine subjektive Berichterstattung, die Bestandteil ihres Konzeptes von Gegenöffentlichkeit ist. Von "wirtschaftlichen Interessen gefärbte Informationen", eine Folge der ausufernden Werbe- und Anzeigenwirtschaft, kritisiert Ind
isiert Indymedia.de als wesentlichen Bestandteil der "Zusammenballung etablierter Medienmacht". Ganz allgemein und überhaupt geht es Indymedia.de nicht um "objektiven Nachrichtenjournalismus, sondern um subjektive persönliche Stellungnahmen verschiedenster Menschen auf der Strasse".Bisweilen fühlen sich davon auch Neonazis angesprochen. Dann gerät das Konzept des "open posting", das sich an basisdemokratischen Modellen orientiert, an seine Grenzen und kommt die "eingeschränkte Moderation" zum Tragen. "Zwei oder drei Mal" hätten Neonazis in den ersten Wochen die Publikationsmöglichkeit bei Indymedia.de genutzt, sagt Mr. Burns, einer der Mitbegründer von Indymedia.de, der nicht mit seinem richtigen Namen zitiert werden möchte. Die Beiträge der Neonazis verschwinden dann umgehend im "Müllarchiv", das nur auf gesonderte Anfrage an die Moderatoren zu beziehen ist. Gemessen an den fast im Minutentakt eingehenden Beiträgen von Castor-Gegnern während des Atommüll-Transports stellen die Nazi-Postings jedoch eine untergeordnete Größe dar.Seit Ende 1999 ist Indymedia auf internationaler Ebene einer der nichtkommerziellen Shooting-Stars in den schier unendlichen Weiten des Internets. Mittlerweile gibt es sechzig Independent Media Centers (IMC) weltweit, die meisten davon in den USA und Kanada, im April kamen Neugründungen in Japan, der Türkei und Bolivien hinzu.Indymedia.de will politischen Aktivistinnen und Aktivisten die Möglichkeit geben, ihre Texte, Bilder, Tondateien und Videos einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und im Idealfall zu ihrer besseren Koordinierung beitragen. Doch mit Lenins "kollektivem Organisator" - zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts umriss der Revolutionär so die Funktion einer Zeitung für seine Partei - hat Indymedia.de wenig gemein. Wie ihr Vorbild aus den USA - in Seattle wurde anlässlich der Proteste gegen die Welthandelsorganisation 1999 das erste "Independent Media Center" gegründet - sind sie eher von der dezentralen Struktur des Internets fasziniert. Ebenso wie die mexikanischen Zapatisten und ihr Subcommandante Marcos sehen sie den technologischen Wandel auf dem Gebiet der Telekommunikation nicht nur als Möglichkeit zur Etablierung neuer Herrschaftsformen, sondern auch als neuen Spielraum des Widerstands. Hinter Indymedia.de steht nach eigenen Angaben weder eine Partei noch eine homogene Organisation. Die Berichterstattung entspricht vielmehr dem bunten Bauchladen des politischen Aktivismus.Schreiben, senden und veröffentlichen darf jede und jeder. "Jede Person, die diese Seite besucht und mit-kommuniziert ist eigentlich schon Teil des Ganzen", erklärt Mr. Burns. Dass dieses "open posting" zu Problemen führen kann, wussten auch die zumeist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gründungstreffens Mitte Januar in Hamburg und haben sich für eine "eingeschränkte Moderation" entschlossen. D.h. es gibt zwei Ebenen: Alle können im "open posting" schreiben. Die dort eingegangenen Beiträge werden von den knapp 30 ehrenamtlichen Mitarbeitern, unter ihnen auch einige Medienprofis, gesichtet und eine verhältnismäßig kleine Auswahl auf der Startseite in Themenschwerpunkten rubriziert. Die Kriterien für diese engere Auswahl sind jedoch nicht transparent und liegen im Dunkeln.Das "Müllarchiv" ist eine dritte Ebene der "eingeschränkten Moderation" - nicht nur für Neonazis. "Die Polizei kann es sich nicht nehmen lassen, uns mit Texten zu überhäufen", sorgt sich Mr. Burns um den Proporz im "open posting", "einer von denen schickte uns während des Castor-Transports pro Tag 80 bis 100 Mitteilungen - meistens als Kommentar". Nicht alles davon verschwindet im Müllarchiv, denn "Selbstentlarvung" wird nicht gelöscht. "Sollen wir euch von den Gleisen streicheln [..] oder erwartet ihr vielleicht auch noch, dass wir euch feiern für den ganzen Mist, der teilweise von autonomer Seite gelaufen ist", fragt "ein grüner Mann" auf der Indymedia.de-Homepage. Solche Anmerkungen gehörten noch zu den "gemäßigten Postings", erklärt Mr. Burns. Einige Beamte beschimpften bei Indymedia.de die "Demodeppen" und ihre "lächerlichen und unsinnigen" Anliegen. "Einige meinten auch irgendwas von Kniescheibe brechen und dass der Castor über uns rollen solle", sagt Mr. Burns.Manchmal verlassen diese Attacken auch den virtuellen Raum. Das mussten nicht nur viele der Demonstranten auf der Strasse spüren. Auch eines der drei Infomobile des spendenfinanzierten Indymedia.de-Netzwerkes, als Presseauto gekennzeichnet und während der Transporte im Wendland unterwegs, wurde am 28. März Opfer eines Polizeiangriffs. "Ich konnte meinen Augen kaum trauen, ich sah mehrere Polizisten um ein deutlich als Presseauto erkennbaren Wagen stehen und mit Knüppeln darauf einprügeln", berichtet ein Augenzeuge aus Dahlenburg in seinem Bericht an Indymedia.de. Beamte hätten versucht, den Fahrer aus dem Wagen zu ziehen. Nach Ansicht von Indymedia.de gab es "keine Rechtfertigung für einen derartigen Eingriff in die vom Staat versicherte Pressefreiheit". "Wir verurteilen diese, scheinbar nur aus Frust ausgeübte Beschränkung des Presserechts", heißt es bei Indymedia.de.Während der Castortransporte besuchten bis zu täglich 8.000 User die Indymedia.de-Homepage und konnten diese Nachrichten verfolgen. Zur Zeit hat sich die Besucherzahl auf 4.000 eingependelt. Die wenigsten von ihnen schreiben dort auch etwas nieder. Bis zur Aufhebung der "Trennung zwischen MacherInnen und KonsumentInnen", einem erklärten Anliegen von Indymedia.de, ist es also noch ein weiter Weg.